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KRIEG/1399: Freund-Feind-Identifikation ... Problem geheimer Kriegführung (SB)



Wie sich herausgestellt hat, wurde der Anschlag auf die CIA-Basis im ostafghanischen Khost von einem Jordanier begangen, der sich langfristig und umfassend auf diese Tat vorbereitet hatte. Der 36jährige Arzt Hammam Khalil al Balawi wurde laut Al Jazeera (06.01.2010) bei seinem Besuch auf der geheimen CIA-Basis Forward Operating Base Chapman am Mittwoch, den 30. Dezember, von dem jordanischen Geheimdienstoffizier Sharif Ali bin Zeid begleitet. Das als Führungsoffizier Balawis fungierende Mitglied der jordanischen Königsfamilie soll diesen in der Annahme angeworben haben, daß er Informationen über den Aufenthaltsort des zweithöchsten Al Qaida-Führers Ayman al Zawahiri besäße.

Balawi war Ende 2007 von den jordanischen Sicherheitsbehörden verhaftet worden, weil er an Treffen mit Al Qaida-Mitgliedern teilgenommen haben soll. Laut dem Jordanien-Korrespondenten Al Jazeeras, Nisreen el Shamayleh, wurde Balawi in Haft gefoltert. Die Anwerbung durch den jordanischen Geheimdienst soll nicht allzulang vor seinem Selbstmordattentat erfolgt sein, um so mehr muß Balawi es verstanden haben, den Eindruck belastbarer Loyalität zu vermitteln. Anders wäre es kaum möglich gewesen, daß er ohne eine gründliche Kontrolle in die CIA-Basis gelangt wäre. Laut der Nachrichtenagentur AFP (06.01.2010) habe ein CIA-Agent sich für Balawi verwendet, um ihm die entwürdigende Prozedur zu ersparen. Einer islamistischen Website, auf der bis vor wenigen Tagen ein Blog Balawis zu lesen war, hat AFP die Information entnommen, daß der Attentäter monatelang zwischen Afghanistan und Pakistan hin und her gereist wäre, um die US-Agenten mit Informationen zu versorgen, die er von islamistischen Hintermännern erhalten habe. Weil diese Informationen sich stets als zuverlässig erwiesen, habe Balawi bei den US-Diensten den Eindruck erzeugt, eine besonders wertvolle Quelle zu sein. Laut der Website habe der Attentäter kurz vor seinem Anschlag einen Operationsplan gezeichnet und die umstehenden Agenten an den Tisch gerufen, bevor der die Bombe zündete. Neben sieben CIA-Mitarbeitern, darunter die Stationschefin, kam der jordanische Geheimdienstoffizier Zeid ums Leben.

Da die Hintermänner des Attentäters die CIA erfolgreich mit Informationen fütterten, die ihrer Absicht in die Hände spielten, einen tödlichen Schlag gegen ein Nervenzentrum der Besatzer, von dem aus Drohnenangriffe auf das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet geflogen werden, zu führen, sehen sich die US-Dienste bei der Schadensanalyse mit einer neuen Qualität der Bedrohung konfrontiert. Offensichtlich hat man Al Qaida, den Taliban oder wer auch immer die Fäden hinter Balawi gezogen hat, eine derart komplexe Unterwanderung nicht zugetraut. Die unmittelbare Reaktion auf den Angriff, die 150 meist afghanischen Angestellten der Basis ersteinmal für drei Tage festzusetzen, verrät ebenfalls, daß die CIA von diesem Schlag völlig überrascht wurde.

Der nun vieldiskutierte Bericht des für Afghanistan zuständigen Chefs aller dort operierenden Geheimdienste der USA und der NATO, US-General Michael Flynn, wird dem Problem, daß die Besatzer es mit Überzeugungstätern zu tun haben, die ihr Leben opfern, um militärische Erfolge zu erzielen, kaum gerecht. Sein Urteil, daß die Aufklärungsarbeit der Dienste für die Kriegführung im Land nur bedingt relevant sei, da sie sich nur mit dem Feind befasse und die regionalen wie lokalen Umstände der Wirtschaft und Politik, der einheimischen Gesellschaft wie der Arbeit der internationalen Hilfsorganisationen außer Acht lasse, soll die Gutheißung des Oberbefehlshabers der NATO-Truppen in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, genießen. Dieser propagiert schon seit längerem die angebliche Erfolgsstrategie, sich sehr viel mehr mit dem sozialen und kulturellen Feld zu beschäftigen, auf dem die Streitkräfte agieren. Die Zuträger und Agenten der Dienste sollten mehr Informationen aus dem direkten Umfeld generieren, um die Voraussetzungen für eine Befriedung zu eruieren, die in Übereinstimmung mit der einheimischen Bevölkerung erfolge, meinen Flynn und McChrystal übereinstimmend.

Natürlich dient eine solche Vorgehensweise vor allem dazu, Kenntnisse über diejenigen Teile der Bevölkerung zu erlangen, die den Besatzungsgegnern Rückhalt geben, um sie um so wirksamer bekämpfen zu können. Geheimdienste sind nicht nur dann, wenn sie im Rahmen eines offenen Krieges agieren, keine Sozialvereine, sondern Agenturen der Überwachung und Gewaltanwendung. Was vor allem deutlich wird, wenn die Strategen der Besatzungspolitik und Kriegführung in Afghanistan ein ums andere Mal betonen, wie wichtig es sei, die Bevölkerung auf die eigene Seite zu ziehen, ist die Tatsache, daß dies kaum gelingt. Es gibt für die Bevölkerung angesichts der großen materiellen Not, in der sie lebt, keinen anderen Grund, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, als bei ihnen mehr Geld zu verdienen, als sie unter ihren Verhältnissen können.

Daraus erwächst bestenfalls ein kolonialistisches Nutzungsverhältnis, das im Extrem dazu führt, daß junge Männer sich tagsüber bei der afghanischen Nationalarmee oder Polizei ausbilden lassen, während sie nachts für die Taliban kämpfen. Die Afghanen haben keinen Grund zu glauben, daß die Besatzer zu ihnen in einem andersgearteten Verhältnis ständen, sehen sie doch mit eigenen Augen, daß das, was für sie an lebensnotwendiger Hilfe bleibt, nicht mehr als die Krümel sind, die von dem unter dem materiellen Aufwand imperialistischer Kriegführung ächzenden Tisch herabfallen. Sie sehen, daß die eigene Oligarchie mit den Besatzern paktiert, um Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse fortschreiben zu können, die den davon Betroffenen einen frühen, armutsbedingten Tod bescheren. Sie sehen, daß ausländische NGOs mit Geldmitteln ausgestattet sind, von denen afghanische Familien nur träumen können, was zu einer typischen Besatzungsökonomie führt, in der sich einheimische Mädchen prostituieren, um ihre Angehörigen ernähren zu können.

Geheimdienste wurden per Definition geschaffen, um rechtliche Regeln und demokratische Kontrollen zu unterlaufen. Sie in Agenturen einer menschenfreundlichen Politik zu verwandeln widerspricht ihrem herrschaftsichernden Charakter. Das Ansehen der US-Dienste wurde im Terrorkrieg ohnehin auf das einer Bande von Folterern und Mördern reduziert, wie Bagram und Guantanamo oder die über 700 pakistanischen Todesopfer belegen, die laut der Regierung in Islamabad letztes Jahr bei 44 Luftangriffen mit US-Drohnen im eigenen Land ums Leben kamen. Verdeckte Operationen zu organisieren, deren Urheber im Zweifelsfall schlicht leugnen, für die von ihren unbemannten Flugkörpern angerichteten Schäden verantwortlich zu sein, gehören zum Aufgabenbereich der CIA in Afghanistan. Naheliegenderweise wird ein Attentäter wie Balawi von den Betroffenen nicht als Terrorist bekämpft, sondern als Held verehrt. Mit dieser Realität können die Nachrichtendienste der NATO und USA schon deshalb nicht auf eine ihnen dienliche Weise umgehen, weil sie Partei in einem Krieg sind, den sie auf der Seite der Aggressoren führen.

Wie auch der Anschlag vom 5. November auf der texanischen Militärbasis Fort Hood [siehe POLITIK--> Major Nidal Malik Hasan mit dem angeblichen jemenitischen Al Qaida-Führer Anwar al Awlaki in Zusammenhang gebracht wird, stehen die USA in Kriegen, die sie angeblich als Polizeioperation gegen einen nichtstaatlichen Gegner führen, zusehends vor dem Problem einer klaren Freund-Feind-Identifikation. Wenn ein Mitglied der eigenen Streitkräfte sich mit dem Gegner identifiziert, weil er die eigene Kriegführung für ungerecht hält, dann handelt es sich um ein ähnlich gelagertes Problem als das eines Informanten, der nicht käuflich ist, weil er aus Überzeugung für die andere Seite arbeitet.

Die daraus resultierende Verdächtigung letztlich jedes Menschen, möglicherweise zu den Feinden zu zählen, zeitigt so destruktive Folgen für die Verfaßtheit demokratischer Gesellschaften, daß die Bekämpfung des Terrorismus weit mehr Schaden anrichtet als die angeblich mit der eigenen Gewaltanwendung unverknüpfte terroristische Bedrohung. Die geheime Kriegführung, die im Terrorkrieg von Anfang an eine dominante Rolle spielte, basiert auf Strategien der Unterwanderung, Irreführung und Konteraktion. Wenn die Fronten bis zur Ununterscheidbarkeit verschwimmen und die eigenen Methoden immer mehr jener Merkmale aufweisen, die unter dem Titel "Terrorismus" dem Gegner zugeschlagen werden, dann ist die Eskalation einer Grausamkeit, die die davon Betroffenen zu Todfeinden macht und die eigene Gesellschaft zerrüttet, vorprogrammiert.

7. Januar 2010