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KRIEG/1391: Offensivdoktrin für Afghanistan ... deutsche Kriegführung folgt US-Vorbild (SB)



Die Nachricht des Tages in der sich zur Daueraffäre auswachsenden Bombardierung zweier Tanklaster am 4. September in Nordafghanistan besteht zweifellos in der von der Leipziger Volkszeitung (12.12.2009) verbreiteten Information, daß sich das Bundeskanzleramt, das Verteidigungsministerium und die mit der Koordination der Geheimdienste beauftragten Regierungsbeamten schon vor diesem Luftangriff auf eine neue Eskalationsstufe in Afghanistan geeinigt hatten. Dabei sei es auch um die gezielte Liquidierung der Taliban-Führungsstruktur gegangen. Dies wiederum erfolge in Zusammenarbeit mit dem Auslandsgeheimdienst BND, des Kommandos Spezialkräfte (KSK) sowie dem US-Auslandsgeheimdienst CIA.

Die aktuelle Lesart zur Begründung des Luftangriffs lautet nun, daß es bei der Bombardierung gar nicht um die Zerstörung der Tanklastzüge, sondern die Vernichtung der Taliban gegangen sei. Die Süddeutscher Zeitung (12.12.2009) zitiert aus dem ISAF-Untersuchungsbericht, Oberst Georg Klein "wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge". Wortwörtlich soll er in einem von ihm selbst verfaßten Bericht erklärt haben, die Taliban "vernichten" zu wollen.

Spiegel Online (12.12.2009) allerdings zitiert aus einer Meldung, die Klein am 5. September verfaßt haben soll: "Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten." Er habe die Bombardierung befohlen, "um Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwenden und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit nur Feinde des Wiederaufbaus zu treffen".

In jedem Fall scheint die von Anfang an unglaubwürdige Behauptung, daß von den Tanklastern eine akute Bedrohung für das Feldlager der Bundeswehr ausging und sie daher zerstört werden mußten, vom Tisch zu sein. Man nähert sich der schnöden Wahrheit, daß es im Krieg immer auch darum geht, dem Gegner maximalen Schaden zuzufügen und ihn auf vernichtende Weise zu treffen, scheibchenweise an. Dabei ist das sukzessive Aufgeben bisher bezogener Rechtfertigungspositionen von ambivalenter Wirkung. Zum einen beschädigt es die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, wenn deutlich wird, daß die bei diesem Angriff verfolgte Offensivstrategie im Grundsatz von ihr abgesegnet wurde und Produkt einer Geheimkriegführung ist, die für den Terrorkrieg der USA, dessen Auslandsgeheimdienst offensichtlich in die Abstimmung dieser Operationen einbezogen ist, seit jeher signifikant ist.

Das "Vernichten" einer möglichst großen Anzahl von Gegnern fordert auch bei den unter US-Befehl durchgeführten Luftangriffen in Afghanistan zahlreiche zivile Opfer. Es handelt sich um eine Hinrichtungspolitik, die alle Menschen trifft, die sich in der Nähe der Ziele dieser Kriegführung befinden. Das soziale Umfeld feindlicher Strukturen in Mitleidenschaft zu ziehen ist im militärischen Sinne durchaus erwünscht, geht es doch darum, die sogenannten Aufständischen von der Bevölkerung, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist, zu isolieren.

Die von der Bundesregierung abgesegnete aggressive Eskalation des Afghanistankriegs sorgt dafür, daß die Praktiken der Bundeswehr sich immer mehr an die der US-Streitkräfte angleichen werden. Hielt man sich bisher ein defensives Vorgehen zugute, um sich als Freund der Bevölkerung des besetzten Landes darstellen zu können, so gewinnt der Krieg durch planmäßige Operationen wie die vom 4. September an Rücksichtslosigkeit und Brutalität. Weitere Steigerungen der Aggressivität wie die Folterung gefangener Gegner durch deutsche Geheimdienste sind vorprogrammiert.

Die schrittweise Enthüllung der deutschen Offensivstrategie verfolgt allerdings auch die Absicht, die Bundesbürger an die weitere Brutalisierung der Kriegführung zu gewöhnen. Indem sachliche Aufklärung betrieben, die Konsequenzen dieser Enthüllungen allerdings nicht vor dem Hintergrund der Geschichte kolonialer Kriegführung und den Prämissen militärstrategischer Logik zuendegedacht werden, immunisiert man die Bevölkerung gegen die unmittelbare Einsicht und empathische Realisierung der Grausamkeit des Krieges. "Feinde des Wiederaufbaus" umzubringen hat ja auch etwas positives, wird dadurch doch der gute Zweck einer Besserung der Lage der afghanischen Bevölkerung unterstützt. Nicht nur die absehbare Eskalation der deutschen Kriegführung in Afghanistan, sondern auch die Art und Weise, wie sie an der Heimatfront verkauft wird, dokumentiert, daß mörderische Gewalt und systematische Irreführung zwei zentrale Merkmale imperialistischer Politik sind.

12. Dezember 2009