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KRIEG/1357: Jetzt erst recht ... Abzug der NATO aus Afghanistan! (SB)



Wer nach dem Bombenangriff vom Freitag auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastzüge konstatiert, nun befinde sich die Bundeswehr endgültig im Krieg, kommt zu spät. Schon vor der Offensive im Juli, bei der Soldaten der Bundeswehr unter Einsatz von Schützenpanzern und Mörsern zusammen mit Einheiten der afghanischen Regierungsarmee eine größere Offensive gegen die Taliban im Raum Kunduz durchführten, war es bei kleineren, sogenannten Aufklärungsoperationen zu Kampfhandlungen gekommen, wie sie für eine offensive Kriegführung typisch sind. In mindestens einem Fall hatte die Bundeswehr auch Luftunterstützung angefordert.

Mit dem Luftangriff auf die Tanklastzüge hat sich der offensive Charakter des Bundeswehreinsatzes qualifiziert. Es bestand im Unterschied zu Situationen, in denen Truppen der NATO in bedrängter Lage Kampfflugzeuge anfordern, keinerlei direkte Notwendigkeit, die Tanklastzüge zu bombardieren. Es handelte sich um einen Akt gezielter Eskalation. Die Taliban hatten einen erfolgreichen Schlag gegen den Nachschub der Bundeswehr geführt, sie hatten die Schwäche der deutschen Truppen exponiert, die über Tadschikistan verlaufende Nachschubroute zu sichern und sollten im Nachhinein dafür abgestraft werden. Ohne jede Not wollte man dem Gegner die Beute abjagen und ihm seinerseits Verluste beibringen, was ihn wiederum zu Angriffen auf die Bundeswehr treibt, wie kurz darauf geschehen.

Laut Aussage eines westlichen Militärsprechers, den die Los Angeles Times (05.09.2009) zitiert, erfolgte die Zerstörung der Tanklastzüge, weil man befürchtete, sie könnten für einen Anschlag auf die deutsche Militärbasis in Kunduz genutzt werden. Dies vertritt auch Verteidigungsminiser Franz Josef Jung, so daß man es als offizielle Einsatzdoktrin der Bundeswehr bezeichnen kann, mögliche Angriffe durch Präventivschläge aller Art zu verhindern. Es handelt sich eben nicht um eine "Panne", wie Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn auf dem EU-Außenministertreffen in Stockholm kritisierte. Wer die Strategie verfolgt, dem Gegner die Waffen aus der Hand zu schlagen, bevor er sie erhoben hat, der riskiert nicht nur das Leben von Zivilisten. Zur Logik dieser Kriegführung gehört auch die Bereitschaft, eine Bevölkerung zu terrorisieren, die einer Guerilla Unterschlupf und Versorgung bietet. Die Überwachung der entführten Tanklastzüge durch Drohnen verstärkt den Eindruck, daß mit diesem Luftangriff nicht nur die Taliban von einem möglichen Angriff abgehalten, sondern die Bevölkerung davon abgeschreckt werden sollte, sich in die Nähe der Kämpfer zu begeben.

So wird ein NATO-Sprecher, der sich die Aufnahmen der Luftüberwachung angeschaut hat, in der New York Times (04.09.2009) mit der Aussage zitiert, der Bundeswehroffizier, der den Luftangriff anordnete, hätte allen Grund zu der Annahme gehabt, "daß das, was sie anschauten, Gruppen von Aufständischen beim Entladen der Tanker waren". Dieser Vorgang soll sich über mehrere Stunden hingezogen haben, was ein Grund mehr dafür gewesen wäre, an Stelle der Flugzeuge Bodentruppen einzusetzen, wenn die LKWs schon zerstört werden sollten. Währenddessen führt die Los Angeles Times (05.09.2009) Quellen in der Einsatzführung der NATO an, laut denen zwischen der Anforderung des Luftangriffs und seiner Ausführung mehr als eine halbe Stunde verstrichen wäre, innerhalb derer sich die Bewohner der umliegenden Dörfer auf den Weg gemacht haben könnten, um sich an der Ladung der LKWs zu bedienen.

Bei beiden Stellungnahmen handelt es sich um Ausreden, wie leicht ersichtlich ist, wenn man bedenkt, daß sich alles nachts abgespielt hat und die Taliban keine Uniform tragen, die sie als solche kenntlich macht. So kann bei der Auswertung der Luftaufnahmen kaum Gewißheit bestanden haben, daß sich in der direkten Umgebung der LKWs ausschließlich Kämpfer befanden. Zudem werden in Presseberichten aufgrund von Angaben aus Krankenhäusern bereits jugendliche Opfer vermeldet, was die angebliche Gewißheit bei der Analyse der Luftaufklärung noch fragwürdiger macht. Schließlich kann eine Zeitverzögerung kein Grund dafür sein, den Angriff auf ein Ziel, das unter Luftbeobachtung steht, nicht kurzfristig abbrechen zu können.

Die vielzitierte Einsatzdoktrin des NATO-Oberbefehlshabers in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, keinesfalls Luftangriffe durchzuführen, wenn Zivilisten betroffen sein könnten, um die Bevölkerung nicht den Taliban zuzutreiben, erweist sich einmal mehr als impraktikable Maßnahme zur Beschönigung des Krieges. Die durch Luftangriffe verstärkte Feuerkraft trägt erheblich zur Überlegenheit der NATO-Truppen auf dem Gefechtsfeld bei und ist praktisch unverzichtbar, wenn man größere Opferzahlen unter den eigenen Truppen, die politisch noch schwieriger zu vertreten sind als Opfer unter der Zivilbevölkerung, vermeiden will. Je deutlicher wird, daß Unterscheidungen zwischen Kämpfern und Zivilisten nur sehr schwer zu treffen sind, desto mehr muß die NATO Kreativität bei der Erfindung von Ausreden entwickeln.

Um Ausreden sind jedoch nicht nur die Militärs, sondern auch die Regierungen, die ihren Einsatz befehlen, nie verlegen gewesen. Schließlich beruht die gesamte Eroberung und Besetzung Afghanistans auf dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, dessen Rationalität schon an der niemals nachgewiesenen Täterschaft Osama Bin Ladens für die Anschläge des 11. Septembers 2001, an der ohnehin nicht gegebenen Beteiligung der Taliban an ihnen und an der Provokation möglicher Anschläge durch eine aggressive Kriegführung gebrochen wird. Längst ist klar, daß die UN-Resolutionen, auf die sich die Regierungen der NATO-Staaten berufen, keine völkerrechtliche Mandatierung dieses Krieges hergeben. Zahlreich sind die Entwürfe der Befriedigungsoptionen, aus denen hervorgeht, daß dieser Krieg im Rahmen der größeren Transformation des Nahen und Mittleren Ostens zugunsten US-amerikanischer und EU-europäischer Hegemonialbestrebungen erfolgt. Nicht zu unterschlagen sind zudem die Dokumente und Verlautbarungen der NATO, aus denen hervorgeht, daß das Militärbündnis über eigene Gründe wie den Nachweis seiner Existenzberechtigung und die Weiterentwicklung seiner militärischen Fähigkeiten verfügt, aufgrund derer es diesen Krieg führt.

Nun haben die Kampfbomber der NATO nicht nur zahlreiche Menschenleben vernichtet, sondern aufgrund ihres Einsatzes im Rahmen einer Bundeswehroperation hierzulande eine Explosion der Aufmerksamkeit erzeugt, die diesen Krieg unabänderlich auf die Liste der im verbleibenden Wahlkampf zu diskutierenden Themen hebt. Während man mit Propagandameldungen zum Erfolg der Präsidentschaftswahl in Afghanistan bei oberflächlichen Beobachtern den Eindruck erzeugte, es gebe Fortschritte bei der Demokratisierung des Landes, und das Thema so an den Rand drängen konnte, wird nun mit einem Schlag deutlich, daß die Menschen, die die Bundeswehr angeblich durch ihre Anwesenheit beglückt, durch deren Präsenz sterben. Angriffe wie dieser, bei denen die präventive Logik des frühzeitigen Verhinderns möglicher feindlicher Attacken zum Zuge kommt, dokumentieren eine Vernichtungslogik, wie sie für alle langwierigen und entwickelten militärischen Konfrontationen typisch ist. Dem Gegner wird nicht nur in letzter Konsequenz der offenen Schlacht, sondern in jeder ihm nützenden Hinsicht zugesetzt, und das schließt in modernen Militärdoktrinen seine materielle Bemittelung, die diese ermöglichende Infrastruktur und nicht zuletzt die ihn stützende Bevölkerung ein.

Die jüngste Entwicklung im Einsatzgebiet der Bundeswehr ist für die Gegner dieses Krieges, die seit langem deren Abzug fordern, keine Genugtuung, wohl aber Anlaß, dies noch entschiedener zu tun. Der Widerstand gilt nicht nur dem konkreten Versuch der Bundesregierung, diesen Luftangriff schönzureden, sondern dem gesamten Komplex einer imperialistischen Aggressionslogik, die bis auf die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO und die Existenz dieser Militärallianz bestritten werden muß. Bisher hat Die Linke als einzige im Bundestag vertretene Partei eine klare Position gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr und ihre Einbindung in das supranationales Kriegsbündnis vertreten. Bei allen Problemen, die man auch aus linker Sicht mit der Linken haben kann, ist schon dies Grund genug, sie zu unterstützen.

5. September 2009