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KRIEG/1351: EUISS-Studie - Blaupause für Zukunft der EU-Kriegführung (SB)



Die weitere Militarisierung der EU sei mit oder ohne Lissabon-Vertrag nicht aufzuhalten, meint zumindest ein Teil der Militärexperten, die in einem am 28. Juli veröffentlichten Dokument des Europäischen Instituts für Sicherheitsstudien (EUISS) Progonosen zur Entwicklung der EU-Kriegführung bis 2020 entwerfen. Das 170 Seiten starke Papier mit dem Titel "What ambitions for European Defence in 2020?" erinnert daran, daß die ohnehin kaum zu erreichende Verhinderung des Lissabon-Vertrags nur wenig an einer geostrategischen Aufstellung der EU änderte, die von der angeblichen Notwendigkeit globaler militärischer Projektionsfähigkeit im Rahmen einer Weltordnung getrieben wird, die das herrschende Regulationsmodell an die Erfodernisse synchron auftretender Krisen des Klimas, der Verknappung fossiler Energien, des anwachsenden Hungers und der kapitalistischen Ökonomie anpassen soll.

Auch angesichts der geringen Zustimmung, die der Krieg in Afghanistan in der EU erhält, ist nicht zu verkennen, daß die prinzipielle Kritik am Militarismus es in einer von Krisen gebeutelten Welt, deren Bürger sich an das wenige klammern, was ihnen vermeintlich bleibt, anstatt nach dem zu greifen, was ihnen lange zuvor genommen wurde, schwer hat. Dem Versuch der PR-Abteilungen der EU und ihrer Regierungen, die Kriegfähigkeit der EU in den Kontext einer Bestandssicherung zu stellen, von der angeblich jeder profitiert, ist daher Aufklärung über den sozialfeindlichen Charakter der globalen Kriegführung entgegenzustellen. Wie in früheren Kriegen versuchen die daran beteiligten Regierungen, mit Blick auf die eigene Überlegenssicherung Zustimmung unter ihren Bevölkerungen zu generieren.

Zu diesem Zweck wird nicht nur vergessen gemacht, daß der dabei zu leistende Blutzoll in überdurchschnittlichem Maße von Menschen aus unterprivilegierten Schichten zu erbringen ist, sondern daß die eigene Gesellschaft von der nach außen gerichteten Aggression niemals unbeschadet bleibt. Dies gilt um so mehr in Anbetracht der zu erwartenden Verschärfung sozialer Widersprüche, die im Report der EUISS deutliche Spuren hinterlassen hat. Man ist sich weitgehend einig darin, daß ein Entwicklungsmodell der weltweiten Schaffung sozialer Gerechtigkeit nicht zu leisten wäre und die Streitkräfte daher vor allem damit beschäftigt sein werden, die Wohlhabenden vor den Armen zu schützen. Daß dies nicht für die EU gelten wird, sondern nur die Menschen außerhalb ihrer gutgesicherten Außengrenzen betreffen wird, ist eine fromme Hoffnung, die nicht umsonst nach Kräften genährt wird.

Da das EUISS 2002 mit dem Status einer EU-Agentur gegründet wurde, die die Aufgabe hat, die Institutionen der Union mit Analysen zur Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) der EU zu versehen, repräsentieren die von ihr formulierten Ziele durchaus Leitlinien der EU-Politik. Dies wird durch die Tatsache unterstrichen, daß kein geringerer als der Generalsekretär des Rates der EU, Javier Solana, in seiner Eigenschaft als Hoher Vertreter für die GASP das Vorwort der Studie verfaßt hat. Darin erklärt er, daß es "für unsere zukünftige Glaubwürdigkeit in einer Welt, in der wir bereit sein müssen, uns in immer komplexeren und riskanteren Unternehmungen zu engagieren, zwingend ist, daß wir bei der Beschaffung und Entsendung von Ausrüstung und Personal effizienter werden". Die Mitgliedstaaten sollten die Solana unterstehende Europäische Verteidigungsagentur (EVA) unterstützen, diese Aufgabe zu bewältigen, sprich gemeinsame Anstrengungen zur weiteren Aufrüstung, zur Angleichung der unterschiedlichen Waffensysteme wie zum operativen Krisenmanagement zu unternehmen.

Dabei erklärt Solana die Debatte um den Vorrang der NATO respektive der EU auf sicherheitspolitischem Gebiet für beendet. Nun gehe es darum, "einen flexibleren Rahmen für die Zusammenarbeit zu entwickeln". Generell lobt Solana die Entwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) als ein "Werkzeug, das Europa befähigt, sich mit Aktionen in Antwort auf Krisen zu projizieren".

Während sich Solana eher gewunden und vorsichtig ausdrückt, wird EUISS-Direktors Alvaro de Vasconcelos in der Zusammenfassung der Studie, die als Summe der verschiedenen Beiträge betrachtet wird, deutlicher. Die von ihm aufgelisteten zehn Forderungen sollten in jedem Fall, also unabhängig von der Verabschiedung des Lissabon-Vertrags, verwirklicht werden. Für den Portugiesen ist die NATO der wesentliche Akteur, wenn es um die Bewältigung internationaler Konflikte geht, was allerdings nicht bedeute, daß die ESVP ohne eine kampffähige "aktive militärische Komponente" auskomme, die unter anderem gegen Terrorismus und Cyberterrorismus vorgehen soll. In jedem Fall sollten sich die beiden Strukturen nicht gegenseitig bremsen, sondern dynamisieren.

Zur Gewährleistung "Menschlicher Sicherheit" müsse der Einsatz von Militär ausdrücklich anerkannt werden, so Vasconcelos, der mit dem keineswegs trivialen Sprung von human rights zu human security eine erweiterte Schutzdoktrin in Anspruch nimmt, die sich dementsprechend weitreichender Handlungsmotive bemächtigt. Wie Solana legt Vasconcelos großen Wert auf den Ausbau der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit und setzt sich für einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt der EU ein. Die Forderung nach Etablierung eines gemeinsamen europäischen Markts für Rüstungsgüter soll von der EDA vorangetrieben und durch zentralisierte Einrichtungen der Militärforschung gefördert werden.

Vor allem jedoch sollen die politischen wie militärischen Entscheidungszentralen ausgebaut werden und mehr Kompetenzen erhalten, was insbesondere für ein EU-Kommando für Zivil-Militärische Operationen und die Schaffung einer EU-Agentur für Geheimdienstarbeit gilt. Natürlich darf auch die Demokratie nicht zu kurz kommen, was sich in der Forderung ausdrückt, die Verteidigungsausschüsse der nationalen Parlamente zu "europäisieren", indem der Austausch zwischen ihnen und den entsprechenden Ausschüssen des EU-Parlaments intensiviert und eine Parlamentarische Versammlung für Sicherheits- und Verteidigungsfragen geschaffen wird. Letztlich läuft diese Forderung auf eine von oben moderierte Einbeziehung der Volksvertretungen in die Logik der GASP hinaus, werden die Parlamentarier doch nach Maßgabe der weiteren EU-Integration mit der bereits erfolgten Etablierung eines sicherheitspolitischen Apparats auf EU-Ebene konfrontiert, der seiner eigenen Ratio folgt, die wie der Lissabon-Vertrag eher dekretiert denn debattiert wird.

Der autokratische Charakter der ESVP geht auch aus der Forderung des EUISS-Direktors hervor, die Möglichkeit sicherzustellen, "Missionen zu beginnen, bevor die finalen politischen Entscheidungen getroffen wurden". Die "Minimierung kritischer prozessualer Verzögerungen" soll durch die Etablierung von "Mechanismen" unter vorrangiger Einbeziehung der EU-Kommission möglich gemacht werden, die "Einsatzbereitschaft" sicherstellen. Erklärtes und im Zweifelsfall militärisch zu erzwingendes Ziel der ESVP ist, den "Fluß der Globalisierung offenzuhalten, um effiziente multilaterale Kooperation zu ermöglichen". Staaten, die sich diesem Ziel verweigern, werden per Definition zu Angriffszielen, und derartige Interventionen müssen auch nur "normalerweise" im Rahmen der Vereinten Nationen erfolgen.

Das auf der Website des EUISS einzusehende Dokument bietet auch in den Beiträgen der einzelnen Autoren interessante Einblicke in die Logik einer Kriegspolitik, die in wachsendem Maße ein vom Anspruch auf demokratische Partizipation abgekoppeltes Eigenleben entfaltet. Gerade weil das Thema der Kriegführung auf nationaler wie europäischer Ebene in Anbetracht der prekärer werdenden sozialen Lage vieler Bürger ins Abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit zu geraten droht, ist es erforderlich, die unauflösliche Verbindung zwischen sozialer Emanzipation und antimilitaristischem Aktivismus ins Bewußtsein der Menschen zu heben.

19. August 2009