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KRIEG/1341: Bundeswehr im Angriff ... endlich Klartext zum Kampfauftrag (SB)



Die Regierungskoalition sieht sich genötigt, dem veränderten Einsatzprofil der Bundeswehr in Afghanistan eine Korrektur der Darstellung nachzureichen, mit der die Anwesenheit der Soldaten bislang der bundesrepublikanischen Öffentlichen verkauft wurde. So erklärte der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich, Mitglied im Außenpolitischen Ausschuß des Bundestags, zum Kampfeinsatz der deutschen Truppen im Norden des Landes:

"Wir haben in den vergangenen Jahren wahrscheinlich auch mit einer falschen Wortwahl reagiert und haben sozusagen auch das Problem, was in Afghanistan existiert, heruntergeredet. Ich glaube, es ist richtig, daß wir eben deutlich machen: Wir haben an die Bundeswehr einen Kampfauftrag auch gegeben zur Unterstützung der afghanischen Armee im Inneren mit einem internationalen Mandat der Vereinten Nationen."
(Deutschlandfunk, 22.07.2009)

Vorbei die schöne Vision von Brunnen bohrenden und Schulen errichtenden Aufbauhelfern in Uniform. Die Bundeswehr kehrt mit dem offensiven Einsatz schwerer Waffen gegen die Taliban und andere Besatzungsgegner zu dem blutigen Handwerk zurück, für das ihre Soldaten vor allem ausgebildet wurden. Was lange währt, wird endlich schlecht, war deren Anwesenheit doch nur in den Wunschträumen hiesiger Politiker eine von der einheimischen Bevölkerung bejubelte Friedens- und Demokratisierungsmission. Wie sehr die Bundeswehr von nicht wenigen Afghanen als Teil einer Besatzungsarmee betrachtet wird, belegen die zahlreichen, meist wirkungslos verpuffenden Raketenangriffe auf deutsche Feldlager. Daß die Aktivitäten der Besatzungsgegner in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen haben und diesen Sommer einen Höhepunkt erreichen, dokumentiert das Scheitern einer Befriedungspolitik, die dem betroffenen Land mit militärischer Gewalt aufoktroyiert wird.

Eine ausschließlich zivile humanitäre Mission, die den Afghanen von vornherein das Recht auf politische Selbstbestimmung vorbehalten hätte, stand nie zur Debatte, war das Mandat der ISAF doch von Anfang an Bestandteil des nach dem 11. September 2001 von der US-Regierung ausgerufenen Terrorkriegs. Dessen geostrategische Implikationen wurden von den verantwortlichen Bundesregierungen rundheraus mit der Behauptung geleugnet, man verteidige am Hindukusch die Sicherheit der Bundesrepublik. Mit der neuen Kriegsdoktrin des US-Präsidenten Barack Obama wird vollends deutlich, daß die anfangs so hoch gehängte Jagd auf Osama bin Laden und Al Kaida niemals zu etwas anderem als der Legitimation einer Aggression diente, mit der Afghanistan unter Kontrolle der NATO-Staaten gebracht werden soll.

Wenn Mützenich davon schwärmt, daß die Bundesregierung nach der schwierigen Zusammenarbeit mit der vorherigen US-Administration nun Dank Obama über einen "regionalpolitischen Ansatz" verfüge, mit dem versucht werde, Pakistan und Iran für die Stabilisierung Afghanistans zu gewinnen, dann spricht er im Klartext über die Ausweitung des Krieges. Die Taliban sind Geschöpfe der pakistanischen Hegemonialpolitik, und unter den Planern in den Stäben der NATO und des Pentagon ist es Konsens, daß die Befriedung Afghanistans nicht ohne die Ausschaltung islamistischer Kräfte in Pakistan erfolgen kann. Für die US-Regierung ist Pakistan nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, und die Tatsache, daß die US-Regierung Indien verstärkt in die Befriedung Afghanistans einbindet, verkompliziert die Lage zusätzlich. So ist kaum zu erwarten, daß man sich in Islamabad seiner strategischen Ressourcen entledigt, um am Ende von beiden Seiten in die Zange genommen zu werden.

Der massive Druck, mit dem Washington die pakistanische Regierung zum Eröffnen einer zweiten Front im eigenen Land genötigt hat, geht an dessen Gesellschaft nicht schadlos vorbei. Die Offensive der pakistanischen Armee gegen die Taliban in den nordwestlichen Provinzen wirft die Frage auf, wie belastbar dieses Land durch eine Kriegführung ist, die in das eigene Fleisch schneidet und zudem dem Ausbau US-amerikanischer Kontrolle über die eigene Regierung gewidmet ist. Auszuschließen ist eine Ausweitung des Kriegs auf Pakistan jedenfalls nicht, und das bedeutete dem Anspruch der US-Regierung, eine militärische Lösung für ganz AfPak herbeizuführen, gemäß, daß die Bundeswehr auch an dieser Front gefragt sein könnte.

Mit dem Eingeständnis des SPD-Abgeordneten, den Afghanistaneinsatz nicht auf zutreffende Weise dargestellt zu haben, kündigt sich auch die Revision des Irrglaubens an, die deutschen Soldaten könnten in ihrem nördlichen Einsatzbereich eine ganz andere Politik betreiben als die US-amerikanischen und britischen Truppen im Osten und Süden des Landes. Wie zu erwarten war, hat die US-amerikanische Großoffensive in der Provinz Helmand dazu geführt, daß die Taliban sich neue Operationsfelder unter anderem im Norden suchen. In die Fläche auszuweichen entspricht der Guerillataktik, mit der die leichtbewaffneten Besatzungsgegner die militärisch haushoch überlegenen NATO-Truppen herausfordern. Gleichzeitig hat die den Taliban allgemein attestierte Verbesserung ihrer Kampffähigkeit dazu geführt, daß im Juli bereits um 56 NATO-Soldaten gefallen sind.

Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, spricht den Taliban eine Professionalisierung der Kriegführung zu, allerdings trifft der von ihm behauptete "Übergang von Sprengstoffanschlägen auf eher militärähnliche Verhaltensweisen" nur bedingt zu. So hat die Zahl der Angriffe mit Sprengfallen kontinuierlich zugenommen, von 361 im März auf 407 im April und 465 im Mai bis zu 736 im Juni. Laut Schneiderhan soll der jetzige Einsatz der Schnellen Eingreiftruppe der Bundeswehr dazu dienen, einen "Abschreckungseffekt" zu erzielen, was zweifellos die Verharmlosung einer Offensive ist, an der neben 300 deutschen 800 afghanische Soldaten beteiligt sind.

Der Begeisterung der von den Besatzern ins Leben gerufenen und aufgebauten Afghanischen Nationalarmee für diesen Bürgerkrieg ist ohnehin gering. Nicht nur, daß sich so gut wie keine Paschtunen unter den Rekruten befinden, da die Angehörigen der größten Ethnie Afghanistans den Taliban meist näherstehen als der NATO oder der von den Invasoren eingesetzten Regierung. Die US-amerikanische Militärführung in Helmand beschwert sich zudem lautstark darüber, daß auf die afghanischen Soldaten wie Polizisten kein Verlaß wäre, da sie entweder gar nicht erst in Erscheinung träten oder die Kriegführung durch kontraproduktive Aktionen behinderten. Wenn Verteidigungsminister Franz Josef Jung hervorhebt, daß die Führung dieser Offensive in der Hand der Afghanen liege, redet er die Lage auf nicht minder irreführende Weise schön, als er es bisher mit der Behauptung tat, in Afghanistan werde kein Krieg geführt. Das erklärte Ziel der NATO, das Land mit afghanischen Soldaten und Polizisten zu befrieden, ignoriert die vielfältigen inneren Konflikte um Interessen und Loyalitäten auf sträfliche Weise.

Dies ist zwar nicht die erste Offensive, an der die Bundeswehr beteiligt ist, sie findet jedoch im Kontext einer größeren Parallelaktion im Süden des Landes statt. Es ist nicht davon auszugehen, daß sich die Situation anschließend wieder beruhigt. Statt dessen wird man sich auf mehr Verluste bei der Bundeswehr und vor allem unter der afghanischen Zivilbevölkerung einstellen müssen, was die Besatzer in den Augen der Bevölkerung immer verhaßter machen wird. Unter diesen Umständen zu behaupten, man führe Krieg, um demokratische Wahlen zu sichern, ist so lächerlich, wie die strikte Weigerung, über einen baldigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan nachzudenken, erkennen läßt, daß es bei diesem Feldzug um alles andere als das Wohlergehen der afghanischen Bevölkerung geht.

22. Juli 2009