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KULTUR/1062: Haftstrafe in den USA - wenn lebenslang, dann ohne Hoffnung ... (SB)



Ich fühle mich wie lebendig begraben und alle laufen über mich drüber. Ich kann sie hören, aber sie mich nicht. So fühle ich mich - vergessen.
Quincy über die Isolationshaft im Supermax-Gefängnis

Du bist wirklich allein, und alle die sagen, ich wäre gerne allein, ich glaube nicht, daß die schon mal alleine waren. Denn wenn sie es erst einmal sind und erleben, dann werden sie es hassen.
Vito über die Isolationshaft im Supermax-Gefängnis [1]

Bis zu 80.000 Strafgefangene sind in den USA unter Bedingungen eingesperrt, die der damalige Beauftragte der Vereinten Nationen für Folter, Juan Mendez, 2013 als der Folter gleichkommend und damit menschenrechtswidrig verurteilte. Was einmal als befristete Disziplinarmaßnahme eingeführt wurde, ist zu einem System potentiell unbegrenzter Aufbewahrung von Strafgefangenen unter Hochsicherheitsbedingungen ausgebaut worden, die Fluchtversuche unternommen oder Wachpersonal angegriffen haben. Ein weiterer, häufig als Vorwand zur Infiltration widerständiger Netzwerke unter Gefangenen angeführter Grund für Isolationshaft ist die Mitgliedschaft in einer Gang. Insassen, die im Strafvollzug politisiert wurden und Widerstand gegen das Knastregime organisieren, wurden dieser Maßnahme besonders häufig unterzogen. Dies zeigte sich insbesondere 2013, als bis zu 30.000 Gefangene in Kalifornien gegen ihre Haftbedingungen in den Hungerstreik getreten sind [2].

"Life without parole" ("lebenslänglich ohne Begnadigungsmöglichkeit") - die immer häufigere Verhängung dieses Strafmaßes ist eine Folge der Kampagne gegen die Todesstrafe in den USA. Was deren AktivistInnen sicherlich nicht beabsichtigt haben, ist, daß auf diese Weise eine Form der Grausamkeit durch eine andere ersetzt wurde. Wer mit solch einem Urteil in Isolationshaft sitzt, ist auf gewisse Weise bereits gestorben, denn der einzige Weg nach draußen dürfte im Sarg oder in der Urne auf den Gefängnisfriedhof führen. Im Knast zu sterben ist für viele Langzeitgefangene die schlimmste Zukunftsperspektive, denn sie bietet nicht einmal einen letzten Funken Hoffnung, der alltäglichen Routine des Gefängnisalltags irgendwann doch noch einmal zu entkommen.

Albert Woodfox und Herman Wallace, zwei Black Panther-Aktivisten, die zusammen mit Robert King zu Beginn der 1970er Jahre unter dem Namen Angola 3 als politische Gefangene bekannt wurden, die ihre Strafe im berüchtigten Angola-Gefängnis in Louisiana absitzen mußten, wurden über 40 Jahre lang in Isolationshaft gehalten [3]. Mit 71 Jahren konnte der an Leberkrebs leidende Herman Wallace am 1. Oktober 2013 als Ergebnis einer internationalen Kampagne zu seiner Freilassung noch einmal die Knastmauern von außen betrachten, bevor er 3 Tage später, nicht ohne vom Staat Louisiana noch einmal angeklagt zu werden, seiner Krankheit erlag. Albert Woodfox wurde am 19. Februar 2016 als Ergebnis einer Wiederaufnahme seines Verfahrens entlassen. Der antirassistische Aktivist saß 45 Jahre im Gefängnis, davon 43 Jahre in Isolationshaft, worüber er in seiner 2019 veröffentlichten Biografie Solitary: Unbroken by Four Decades in Solitary Confinement. My Story of Transformation and Hope berichtet.

Was diese beiden politischen Gefangenen in der von ihnen in Einzelhaft verbrachten Rekordzeit an Entbehrungen, Krisen und Überforderungen erlebt haben, ist für zahlreiche Insassen der Isolationstrakte in den USA alltägliche Normalität. Der unlängst auf 3sat noch einmal ausgestrahlte Dokumentarfim "8m2 Einsamkeit - Einzelhaft in Virginia" vermittelt anhand längerer Interviews mit mehreren Insassen ein eindrückliches Bild der extremen Situation, mit der die Menschen in Isolationshaft konfrontiert sind. Die im Rahmen eines Jahres unter der Regie von Kristi Jacobson gedrehte, von WDR und SWR in Zusammenarbeit mit ARTE produzierte und 2018 mit einem Emmy preisgekrönte Dokumentation wurde 2016 auf dem Tribeca Film Festival in den USA uraufgeführt und 2018 erstmals im deutschen Fernsehen gezeigt.

Die Aufnahmen aus dem Red Onion State Prison in West-Virginia, einem ausschließlich Isolationsgefangenen vorbehaltenen Supermax-Gefängnis, führen dem Publikum auf erschütternde Weise vor Augen, daß es sich bei dieser Form des Bestrafens um eine technologisch und organisatorisch hochentwickelte Form der Inhaftierung handelt, von der auf die Gesellschaft zu schließen, die derart perfekte Formen der Freiheitsberaubung hervorbringt, wenig erfreuliche Ergebnisse erbringt. Solitary Confinement läßt von den Inhaftierten nicht viel mehr übrig als ein Bündel von Reflexen, Gefühlen, Träumen und Gedanken, die in endloser Rotation an den nackten Wänden und Stahlflächen der Zelle entlangwandern. Die naheliegende Frage danach, ob die Betroffenen dieses Schicksal aufgrund der Schwere ihrer Taten nicht verdient hätten, hebt allerdings auf eine gesellschaftliche Schuldmoral ab, die in der Lebensfeindlichkeit dieser Einrichtung auf einem Berg inmitten bewaldeter Natur wie eine ferne Erinnerung daran wirkt, daß Recht Unrecht hervorbringt und nicht umgekehrt.

Was nach dem bedrückenden Anschauen des rund 80 Minuten langen Films bleibt ist die Erkenntnis, daß die zivilisatorische Errungenschaft, Menschen 23 Stunden des Tages in kleine Kammern einzusperren, die über ein Fenster zum Gang hin verfügen, von dem aus das Essen oder andere Dinge durch eine Schublade übergeben werden, mehr mit einem Todeskult als einem Beitrag zur Förderung einer gewaltfreien Gesellschaft zu tun hat. Die offenkundige Überwältigung einiger Insassen durch schieren Wahn scheint noch das rationalste Ergebnis einer Strafkultur zu sein, die Menschen auf das denkbarste Minimum des Existierens reduziert. Zwischen der klinischen Sterilität der Einrichtung und den sozialen Verwerfungen der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft zeigt sich ein innerer Zusammenhang, der dieser Form des potentiell nur durch den Tod begrenzten Wegsperrens den Charakter eines Krankheitssymptoms verleiht, das nur durch die radikale Veränderung dieser Gesellschaftsform beseitigt werden kann.

"Solitary", so der englischsprachige Titel des Dokumentarfilms, ist sehenswert, weil die Schilderung der Situation in dieser wie einem dystopischen Science-Fiction entsprungenen Monstrosität und der Abgründe, die sich beim Hören dessen auftun, was die Gefangenen über sich zu erzählen haben, frei von jedem moralisierenden Kommentar bleibt. Was hier zu sehen ist, bewegt sich jenseits von Schuld und Strafe. Wer erfährt, wie flüchtig und nichtig Identität und Subjektivität eines Menschen sein können, wenn alle Lebenssinn produzierenden Tätigkeiten auf Null gestellt werden, kann jeden Bezug zur regulativen Befriedungslogik des Strafens verlieren. Die Einsamkeit in dem aus Beton und Stahl geformten Kubus läuft sich an sich selbst tot, denn es gibt keine AdressatIn, der sie sich mitteilen kann. Dieser Schmerz wird auch nicht dadurch gelindert, daß die Insassen sich eine Stunde am Tag unter Aufsicht eines Wärters in einem Drahtkäfig bewegen können, der nur wenig größer als ihre Zelle ist und vielleicht ein wenig Tageslicht von einer Öffnung in der Decke erhält.

Das komplexe Strafvollzugssystem in den USA, das 2,3 Millionen Menschen ihrer Freiheit beraubt, 3,6 Millionen Entlassene mit Bewährungsauflagen versehen hat, deren Bruch sofort zurück in den Knast führt, und fast 5 Millionen ehemalige Häftlinge durch verschiedene Formen des Entzuges von Bürgerrechten auch noch Jahre nach ihrer Entlassung sanktioniert [4], ist Ausdruck einer von schwerwiegenden Klassenwidersprüchen nicht zuletzt rassistischer Art durchzogenen Kontrollgesellschaft. Diese sozialen Konflikte werden in einer eskalierenden Kaskade zwangsbewehrter Unterdrückungen und gewaltsamer Disziplinierungen nicht etwa gelöst, sondern in eine Form negativer gesellschaftlicher Produktion eingespeist, aus der Sklavenexistenzen hervorgehen sollen. Die Formel von der nach außen gewendeten Aggression und der im Innern ausgeübten Repression zwecks Stabilisierung imperialistischer Herrschaft könnte nicht mehr Gültigkeit entfalten als unter dem Sternenbanner, das von einer Freiheit kündet, der die Zerstörung und Vernichtung des Lebens zum maßgeblichen Inhalt geworden ist.


Fußnoten:

[1] "8m2 Einsamkeit - Einzelhaft in Virginia"
https://www.youtube.com/watch?v=PtT6Ng9LJdo

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1501.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1502.html

[4] https://www.prisonpolicy.org/reports/pie2020.html

20. Mai 2020


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