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KULTUR/1040: Klimakampf - Priorität der menschlichen Gesellschaft ... (SB)



Jeder Versuch, sich der Katastrophe zu entziehen, muss das materialistische Prinzip beherzigen: der Mensch ist immer noch ein Tier. Damit er endlich ein Mensch werden kann, muss der Kampf gegen die innere und äußere Natur aufhören.
Marco Maurizi - Marxismus und Tierbefreiung [1]

Die anwachsende Bedrohung durch die Klimakatastrophe ist auf breiten sozialen Widerstand gegen die menschengemachte Genese dieser Entwicklung gestoßen. Allerdings wird der Kampf um die Durchsetzung dem Klimaschutz zuträglicher Bedingungen meist unter dem Vorzeichen eigenen Lebenserhaltes geführt. Die propagierte Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen dient allein menschlichen Zwecken, wie einschneidend die dazu getroffenen Maßnahmen auch sein mögen. Die anthropozentrische Sicht auf den Klimawandel bringt zweckrationale Konstrukte wie die Einteilung der Natur in Funktionssysteme hervor, die das Leben der Menschen mit ihren Dienstleistungen sichern sollen. Die als Payment for Ecosystem Services (PES) bezeichnete Monetarisierung sogenannter Ökosystemleistungen wie die Kommodifizierung etwa eines Waldes in Form von Emissionszertifikaten ist die logische Konsequenz einer Objektivierung der Natur, deren Subjektcharakter dadurch von vornherein negiert wird.

Die von führenden Akteuren in Politik und Wirtschaft propagierte Anrechnung des individuellen Verbrauches durch einen CO2-Preis erweckt den Eindruck, beim Klimawandel handle es sich letztlich um ein Marktversagen, das mit vereinten Kräften korrigiert werden müsse, um wieder zur Tagesordnung kapitalistischer Warenproduktion und transnationaler Bewirtschaftung des Weltmarktes übergehen zu können. Zwar ist allgemein bekannt, daß die Aufheizung der Atmosphäre maßgeblich der fossilen Brennkraft der Industrialisierung und damit der Reproduktionsweise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft geschuldet ist, doch soll an dieser auf Privateigentum an Produktionsmitteln und sozialdarwinistischer Konkurrenz basierenden Gesellschaftsordnung nicht gerüttelt werden.

Wer an dem in früheren Jahrzehnten in radikalökologischen Gruppen vorherrschenden Gedanken, der Kampf gegen Naturzerstörung werde zugunsten des prinzipiellen Existenzrechtes anderer Lebewesen geführt, festhält, dem kann der an die Modalitäten der Kapitalverwertung gebundene Klimaschutz nur inakzeptabel sein. Wo Natur - uneingedenk dessen, daß Menschen ihr untrennbar angehören und ihre einseitige Nutzung nur durch das binäre Mensch-Natur-Konstrukt legitimieren können - als bloßer Produktionsfaktor begriffen wird, liegt die Vorstellung ihrer Unerschöpflichkeit nicht fern. Zwar scheint die Endlichkeit des Verbrauches von trinkbarem Wasser, atembarer Luft und lebendigen Organismen immer mehr Menschen einzuleuchten, doch gibt man sich schnell mit einer grünen Modifikation der Naturzerstörung zufrieden, die das kapitalistische Wachstumsmodell im Kern und mit absehbar katastrophalen Folgen reproduziert.

Die im Postwachstumskonzept verankerte Idee, Bioorganismen und anorganische Materialien so schonend wie möglich zu nutzen, anstatt sie in ein Wirtschaftswachstum einzuspeisen, das der Kapitalakkumulation dient, ist bis heute eine Minderheitenposition geblieben. Eine Wachstumskritik, die den Subjektcharakter nichtmenschlicher Organismen in den Mittelpunkt stellt, ist erst recht nicht mehrheitsfähig, hätte die Anerkennung des prinzipiellen Lebensrechtes eines Baumes oder eines Hasen doch Konsequenzen, die die zivilisatorische Entwicklung im Grundsatz in Frage stellen. Nicht von "Ressourcen" zu sprechen, weil damit die Natur insgesamt zur Quelle menschlicher Reproduktion erklärt wird, sondern die Autonomie anderer Lebewesen wie elementarer Lebensprozesse anzuerkennen, ist in indigenen Kulturen seit jeher selbstverständliche Praxis. Ohne die Teilbarkeit und Zählbarkeit objektivierter Natursysteme können diese keine Produktionsfaktoren und Handelsgüter sein, sondern nehmen eine eigene, dem Menschen verfügbare Position ein.

Dieses Denken ist dem europäischen Kolonialismus und seiner industriellen Expansion so fremd wie dem Christentum, in dessen Namen nicht nur die Natur, sondern auch als "heidnisch" abgewertete Kulturen unterworfen wurden. Was den auf anderen Kontinenten lebenden Menschen mit Feuer und Schwert geraubt wurde, bildet die Basis einer weißen patriarchalen Suprematie, deren Gültigkeit bis heute in antagonistischen Klassenstrukturen und rassistischen Ideologien fortgeschrieben wird. Die vom Brand fossilen Feuers angetriebene und durch die mechanische Kraftübersetzung des Rades potenzierte Produktivität dieser Zivilisation stößt heute an absolute Grenzen. Das bestätigen auch die Wissenschaften, die für sich beanspruchen, über eine unbestechliche Ratio kognitiver und empirischer Erkenntnis zu verfügen. Leicht vergessen wird dabei, daß eben diese Wissenschaften die christlich-europäische Zivilisation in eine Größenordnung des Naturverbrauches katapultiert haben, die deren Fortdauer selbst in Frage stellt.

Alternative oder ganz andere Lebens- und Wirtschaftsweisen zu Rate zu ziehen wäre denn auch so vernünftig, wie es ein kapitalistisch vergesellschafteter Wissenschaftsbetrieb dann doch nicht ist. Obwohl seine FunktionsträgerInnen seit über 30 Jahren mit der Problematik des menschengemachten Klimawandels vertraut sind, waren sie nicht in der Lage, eine Kritik des herrschenden Akkumulationsregimes zu entwickeln, die den Schritt in eine postkapitalistische Postwachstumsgesellschaft überhaupt in Aussicht gestellt hätte. Heute propagiert das Gros der KlimawissenschaftlerInnen, wenn sie sich überhaupt so weit aus dem Fenster lehnen, daß sie eine Aussage über die gesellschaftliche Zukunft wagen, einen grünen Kapitalismus, dessen Verträglichkeit mit der Natur durch technologische Effizienzgewinne und eine auf marktwirtschaftlichen Mitteln beruhende Dekarbonisierung erlangt werden soll. Allein die materiellen Voraussetzungen in Form von Landfläche, Mineralien und Kohlenwasserstoffen für die die Produktion erneuerbarer Energie sind so erheblich, daß jede Mobilitätsform, die sich aus dieser Energiebereitstellung speist und zudem großen Bedarf an durch Zement und Asphalt versiegeltem Land hat, in direkte Konkurrenz zu den Erfordernissen menschlicher Ernährung gerät.

Die radikalökologischen AktivistInnen der 1990er Jahre, die noch Wälder und Tiere um ihrer selbst willen gegen die Abholzung für Industrieansiedlung, Straßenbau und Viehzucht verteidigt haben, sind heute eine Randerscheinung der seit einem Jahr von Fridays for Future und Extinction Rebellion dominierten Klimaschutzbewegung. Gleiches gilt für ÖkosozialistInnen, die die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Aufhebung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung als zwingende Voraussetzung für die Eindämmung des Klimawandels verstehen, für Ökofeministinnen, die sich mit Frauen in den Ländern des Globalen Südens solidarisieren und die kapitalistische Landnahme, die sich im verbrauchsintensiven grünen Kapitalismus der E-Mobilität und der erneuerbaren Energien bruchlos fortsetzt, bekämpfen, wie für die AktivistInnen der Total Liberation-Bewegung und anderer Gruppen, die einen intersektionellen, nichtmenschliche Lebewesen einbeziehenden Ansatz antirassistischer und queerer Art verfolgen.

Um nicht in der Breite einer Bewegung unterzugehen, die die Reformierung kapitalistischer Warenproduktion propagiert und an die Funktionäre in Politik und Wirtschaft appelliert, doch endlich ihren Job zu tun, als bestände dieser in etwas anderem als das herrschende Akkumulationsregime abzusichern, bedarf es unbescheidener und konfrontativer Fragen. Wieso erhalten die militärischen Gewaltorgane, die dafür zuständig sind, die Gated Communities des grünen Biedermeiers und ihren Luxuskonsum zu schützen, ein Mehrfaches an Haushaltsmitteln dessen, was für konventionelle Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden soll? Bei den primären Gewaltorganen, die die große Maschine kapitalistischer Aneignung am Laufen halten, klafft in den Forderungen der neuen Klimabewegung eine Leerstelle, die schon deshalb nicht zu verstehen ist, weil die Streitkräfte kriegführender Staaten bereits zu sogenannten Friedenszeiten zu den größten Emittenten von Treibhausgasen gehören.

Wie kommt es zu der expliziten Ablehnung fundamentaler Prinzipien der radikalen Linken, so zum Beispiel durch den Mitbegründer von Extinction Rebellion, Roger Hallam? In einem Vortrag vor XR-AktivistInnen polemisiert er gegen "extremen Veganismus", gegen "extreme Linksradikale", gegen "extremen Intersektionalismus" wie auch gegen "Anarchismus" [2]. Er lastet den Genannten einen kontraproduktiven Perfektionismus an, der aus Sicht der angesprochenen Bewegungen nichts als eine notwendig radikale Positionierung darstellt. Zwar bestreitet Hallam die inhaltliche Gültigkeit der von ihnen vertretenen Forderungen nicht, er unterstellt aber so etwas wie einen ethischen Totalitarismus, mit dem sich keine Massenbewegung aufbauen lasse.

Angesichts der stark verzögerten gesellschaftlichen Reaktion auf die Klimakatastrophe, deren folgenschwere Entwicklung bereits unausweichlich ist, wird mit einem solchen Extremismusvorwurf großer Schaden bei Menschen angerichtet, die sich jetzt erst dazu entschlossen haben, aktiv zu werden. Ohne die grundsätzlichen Streitpunkte gesellschaftskritischer Bewußtseinsbildung überhaupt kennenzulernen, werden sie in die Bahnen eines Konformismus gelenkt, der staatlichen Instanzen Mittel in die Hand gibt, die schwerwiegende Folgen für diejenigen AktivistInnen haben können, die ernsthaft für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungsprozesse kämpfen. Zudem wird der Weg in eine internationale Solidarität, die KritikerInnen des europäischen Kolonialismus und patriarchaler weißer Suprematie einbezieht, zu Lasten einer emanzipatorischen Entwicklung versperrt, die in den Zentralen des grünen Kapitalismus aus gutem Grund gefürchtet ist. Sie könnte die mit aller Kraft und dem Blendwerk eines grünen Kapitalismus verteidigten Privilegien der EigentümerInnenklasse ernsthaft der Gefahr aussetzen, dem kollektiven Anliegen sozialer Gleichheit und der Respektierung allen Lebens geopfert zu werden.


Fußnoten:

[1] entnommen aus: Susann Witt-Stahl (Hrsg.): Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen, Aschaffenburg 2007, S. 107

[2] https://www.youtube.com/watch?v=jX7iDv0jfkY
How to build a mass movement- Roger Hallam
Von Zeitmarke 1:01:00 bis Zeitmarke 1:05:00

6. Oktober 2019


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