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KULTUR/1031: Paris - Kathedralenbrand erstickt Gelbwestenquote ... (SB)



Die Mutter Gottes schlug und gewann schon seit dem 6. Jahrhundert für Byzanz die Schlachten, wie einst Astarte oder Athene, sie führte die Byzantiner auch gegen die Perser zum Sieg. Auch der nordspanischen Reconquista hat sie in Covadonga, noch vor der Erfindung des apostolischen Jakobs des Maurentöters, im antiislamischen Kampf beigestanden. Jakob hat die Kriegsgöttin Maria später ersetzt, um dann im Zuge der französischen Kreuzzüge von Cluny der Himmelsgöttin wieder weichen zu müssen. Maria hat den ersten Kreuzzug so wie den Sieg über die Türken in Lepanto angeführt.
Claudio Lange: Die älteste Karikatur Muhammads. Antislamische Propaganda in Kirchen als frühes Fundament der Islamfeindlichkeit [1]

Man nimmt, was des Weges kommt. Der Brand der Kirche Notre-Dame de Paris wird als Gelegenheit zu neuer nationaler Einigkeit wie EU-europäischen Zusammenhaltes beschworen. Wo mit aller rhetorischen Macht der xte europäische Gründungsakt beschworen wird, da tanzen bereits die Geister neuer Eroberungen und Kriege in den Flammen. Außer einem terroristischen Anschlag könnte kaum etwas besser zum Anlaß der Stärkung EU-Europas genommen werden als die weitgehende Zerstörung eines Bauwerkes von hoher Symbolkraft. Das suggestive Momentum, die vielbeklagte Stagnation der EU-Integration sei endlich an einem Wendepunkt angelangt, ist lange überfällig. Wo Politik aufgrund vermeintlicher wie objektiver Sachzwänge keine großen Handlungsspielräume bleiben, wird um so heftiger in die Tastatur mythisch überhöhter Identitätspolitik gehauen. Auf welche historischen Vorbilder man sich dabei beruft, will keiner so genau wissen, denn das entzöge dem schaurigen Schein katastrophaler Illumination die irrlichternde Hoffnung auf einen Neubeginn so wirksam, daß nichts als Asche bliebe.

Die gotische Kathedrale wurde zur Zeit der Kreuzzüge errichtet, mit denen die Römische Kirche der Islamischen Expansion eine eigenständige kriegerische Eroberungspolitik entgegensetzte. Im Duopol von Thron und Altar etablierte sich der Klerus als von imperialen Ambitionen durchdrungener Machtfaktor, der den äußeren Feind des Islam auch deshalb bekämpfte, um die eigene Herrschaft zu konsolidieren. Der für die Kathedrale Notre-Dame de Paris namensgebende Marienkult ist nicht nur eine Brutstätte des christlichen Antijudaismus, er ist auch ein Hort der im Zuge der europäischen Rechtsentwicklung um sich greifenden Islamfeindlichkeit. Wo die Neue Rechte Angst vor dem sogenannten "Volksaustausch" durch MigrantInnen aus mehrheitlich islamischen Ländern schürt, sorgen neokolonialistische Kriegsstrategien der EU in Nordafrika und im Nahen Osten dafür, daß die moderne Reconquista nicht auf diesen Begriff gebracht werden muß, um zu verstehen, wer zu wessen Gunsten untengehalten und niedergemacht werden soll. Auch das wird mit der Rettung der Kirche und des medialen Propagierens, gerade jetzt bedürfe es der Besinnung auf den großen Wert europäischer Traditionen und die Notwendigkeit vertiefter EU-europäischer Integration, mitgeteilt.

Die in den Berichten über den Brand häufig erwähnte Besonderheit, daß der geographische Fundamentalpunkt des Kilomètre zéro vor dem Haupteingang der Kirche den zentralen Bezugspunkt der Landvermessung in Frankreich darstellt, unterstreicht den imperialen Anspruch der französischen Könige, ihr Reich in Kollaboration mit den Bischöfen auch auf die unmittelbare Nachbarschaft auszudehnen. Der Albigenserkreuzzug zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde gegen sogenannten Häretiker geführt. Die vor allem in Okzitanien, einer Region im Süden mit eigener Sprache und einer dezentralen politischen Struktur aus kleinen Fürstentümern, lebenden Katharer wurden im Zuge dessen praktisch vernichtet. Es handelte sich um eine antifeudale Laienbewegung, deren Mitglieder mehrheitlich ein Leben in materieller Armut führten, in der Frauen Priesterinnen werden konnten, und denen es verboten war, Menschen, vierbeinige Tiere und Vögel zu töten. Sie lebten nach heutiger Definition vegetarisch und praktizierten Formen des Gemeinschaftseigentums, was der römisch-katholische Machtapparat aufgrund der Anziehungskraft, die die Katharer auf die eigene, kurzgehaltene und unterdrückte Anhängerschaft ausübten, nur als Gefahr ausmachen konnte.

"In ihrer Gleichgültigkeit gegenüber allen Formen der Herrschaft und in der Art, wie sie die kirchliche Ordnung verwarfen, finden wir schon so etwas, was wir heute 'Befreiungstheologie' nennen. Es war Theologie in der Tat, jedoch eine Theologie, der es in Wirklichkeit darauf ankam, sich von diesen Fesseln, sowohl des Feudalsystems als auch des kirchlichen Systems, zu befreien." [2] Dementsprechend wurden die Katharer im Rahmen eines regelrechten Vernichtungsfeldzuges ausgelöscht, und der französische König konnte sich Okzitanien einverleiben. Die Ära der Kreuzzüge war nicht nur ein Akt imperialer Expansion nach außen, sie diente auch der Konsolidierung innereuropäischer Macht und der Unterdrückung sozialkämpferischer Bewegungen, die sich häufig auf die sozialen Ideale Jesu Christi beriefen.

Den Gelbwesten ist nichts Besseres zugedacht, als daß mit dieser Zäsur ein Schlußpunkt hinter ihre Protestserie gesetzt wird. Im Hausblatt des deutschen Kapitals wird bereits das Hohe Lied der alle Klassenwidersprüche einebnenden Besinnung auf die nationale Einheit gesungen: "Der Brand hat das Wahrzeichen eines zerrissenen, zerstrittenen Landes getroffen. Seit vergangenem November hat die Gelbwesten-Bewegung mit ihren teils gewalttätigen Protesten die Staatsführung aus der Reserve gelockt. In einer urplötzlichen Wendung der Geschichte hat die Brandkatastrophe kurz vor dem Osterfest Frankreich innehalten lassen. Kurzzeitig hat das Entsetzen über die lichterloh brennende Kathedrale Notre-Dame jenen Zusammenhalt gestiftet, an dem es in den vergangenen Monaten so sehr mangelte." [3]

Was für ein Zusammenhalt soll gemeint sein, wenn die einen ihre Rechnungen nicht bezahlen können und die anderen gerade deshalb im Überfluß leben? Die Nation soll alle Brüche und Risse der kapitalistischen Klassengesellschaft kitten, was zwingend erforderlich macht, die aus sozialen Antagonismen hervortretende Aggression gegen einen gemeinsamen Feind anderer Herkunft und Zugehörigkeit zu kehren. Um wen es sich dabei handeln könnte, davon kann die Geschichte der Kreuzzüge, die nicht selten gerade von dieser Kathedrale ausgingen, ein heilig Lied singen.

Wo so viel Gutes geschieht, da möchte niemand abseits stehen. Nicht nur die erste Riege der Unternehmerdynastien Frankreichs, sondern staatliche Institutionen und Wirtschaftskonzerne in aller Welt übertreffen einander darin, den Wiederaufbau der Kathedrale zu finanzieren. Menschen verrecken in den Kriegsgebieten und Hungerzonen der Welt zu Hunderttausenden elendiglich, ganze Tierpopulationen gehen unter, Wälder werden in großflächigem Maßstab plattgemacht - diese Probleme zu beheben kostet zu viel Geld und stellt vor allem die kapitalistische Eigentumsordnung in Frage. Daran ist also nicht zu denken. Ein klerikales Kulturdenkmal im Rahmen eines massenmedial zum Weltereignis aufgeblasenen Spektakels zu retten ist nicht nur billiger, sondern als vorzeigbare Maßnahme des Social sponsoring auch viel lukrativer für das eigene Reputationsmanagement.

Das gilt auch für die Bundesregierung, die Frankreich am Beispiel der Kathedrale gerne attestiert, führende Sachwalterin europäischer Kulturtradition zu sein, wenn nur die eigenen, auch zu Lasten der französischen Bevölkerung gehenden Geschäfte florieren. Die Stärkung der Hegemonie Berlins über Deutsch-Europa ist eine solche Handreichung an den Juniorpartner in Paris allemal wert. Die Krise der Politik und Demokratie, der Ökonomie und Ökologie bedarf vieler Wundpflaster, um vergessen zu machen, daß ihre Bewältigung weit mehr verlangt als das Vortäuschen bester Absichten. Die freischwebende Erregung über das Abbrennen eines Kulturdenkmals ist eines davon, wobei die politische Dechiffrierung der dadurch beförderten Absichten nicht schwerer fallen sollte als etwa bei der Reinszenierung von Preußens Glanz und Gloria am Beispiel des Berliner Stadtschlosses und der Potsdamer Garnisonskirche.


Fußnoten:

[1] in: Thorsten G. Schneiders (Hrsg.): Islamfeindlichkeit - Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, Wiesbaden 2009, S. 52

[2] Johannes Agnoli: Die Subversive Theorie - "Die Sache selbst" und ihre Geschichte, Stuttgart 2014, S. 122

[3] Pressestimme aus der F.A.Z.
https://www.deutschlandfunk.de/presseschau-aus-deutschen-zeitungen.2287.de.html

17. April 2019


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