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KULTUR/0993: Sportspektakel im Schatten globaler Krisenkonkurrenz (SB)



Olympia 2016 - eher durchwachsen wirken die Resümees, die in Rundfunk und Presse zu den Spielen in Rio gezogen werden. Hinter Klagen über sportpolitische Versäumnisse, das widersprüchliche Taktieren des IOC bei den Dopingvorwürfen gegen Rußland oder organisatorische Mängel bei der Austragung des Megavents zeichnet sich anwachsendes Unbehagen mit dem gesamten olympischen Spektakel ab. Der ethische Zweck einer sogenannten Völkerverständigung tritt desto mehr in den Hintergrund, als der sportliche Nationenwettbewerb der globalökonomischen Krisenkonkurrenz zwischen den Nationalstaaten immer ähnlicher wird. Auch gingen die sozialen Verwüstungen, die an den Austragungsorten Olympias angerichtet wurden, nicht spurlos am weltweiten Publikum und den beteiligten Athletinnen und Athleten vorbei. Zehn Flüchtlinge in einem eigenständigen Team antreten zu lassen macht die Vertreibung von 77.000 eher ärmeren Menschen aus ihren Wohnorten, die für olympische Zwecke geräumt wurden, ebensowenig wett, wie die 60 Millionen weltweit vor Krieg und Not flüchtenden Menschen in ihnen eine angemessene Repräsentanz fanden.

Warum überhaupt Nationalstaaten gegeneinander antreten lassen, wenn weder Krieg und Hunger noch Ausbeutung und Unterdrückung durch ein Ereignis verhindert werden, das einer Ästhetisierung physischer Leistungsfähigkeit gewidmet ist, die historisch wie formal große Nähe zu kriegerischer Ertüchtigung aufweist? Wer inmitten massenhaften Elends und politischer Willkür das Schaufenster transnationaler Konzerne und nationalökonomischer Leistungsprofile öffnet, den dagegen gerichteten Protest zugleich unterdrückt und ausschließt, beschönigt soziale Mißstände nicht nur, sondern legitimiert sie im Sinne neoliberaler Ideologie als selbstverschuldete Folge ungenügenden Wachstums und unzureichender Wettbewerbsfähigkeit. Wird schließlich im Medaillenspiegel Bilanz gezogen und einmal mehr die Dominanz industriell hochproduktiver Staaten über die auf Rohstoffproduzenten und Arbeitslieferanten reduzierten Länder des Südens bestätigt, dann ist aller Jubel über individuelle Erfolge kontaminiert durch Staatsziele, in denen die Gesellschaft der Menschen im Zweck abstrakter Kapitalakkumulation aufgeht.

Vor diesem Hintergrund erweist sich das Destillat des reinen Wettbewerbs als eigentlicher Inhalt Olympias. In strikter räumlicher Trennung von den umliegenden Elendsgebieten und zudem mit einer Bezahlschranke gegen die Armutsbevölkerung abgesichert, wird in den Arenen Hochprozentiges für diejenigen gebraut, die durchaus einverstanden damit sind, daß die unterhaltsame Inszenierung der Nationenkonkurrenz der Bestätigung und Vertiefung herrschender Gewaltverhältnisse dient. Der Jubel über die Rekorde sportmedizinisch bis in die Zellstrukturen der Muskeln, Sehnen und Knochen hochgetunter Körper gilt im Kern den wissenschaftlich-technischen Errungenschaften, die die permanente Ausweitung physischer Leistungsgrenzen möglich machen. Wie diese der notwendigen Expansion auf dem Weltmarkt aktiver Handelsstaaten entspricht, markiert die in der athletischen Konstitution konzentrierte Produktivkraft den technologischen Entwicklungsstand der Länder, die ihre Sportlerinnen und Sportler gegeneinander antreten lassen, um ökonomische Sachzwang- und Standortlogik als zentrale Achsen ihrer Staatsräson zu legitimieren.

Dies tun sie vor allem gegenüber der eigenen Bevölkerung. Sie wird auf die Idealisierung einer Leistungsfähigkeit und Opferbereitschaft eingeschworen, der nachzueifern den einzelnen Lohnabhängigen dazu verpflichtet, weit mehr als Dienst nach Vorschrift zu tun. Der den Athletinnen und Athleten abverlangte Verbrauch an Lebenszeit und Gesundheit wird sozialstrategisch in einen Aktivposten heroischen Einsatzes für Staat und Nation verwandelt. Indem sie sich der Notwendigkeit des Siegens unterwerfen und nicht einfach nur aus Spaß und zur Erholung laufen, schwimmen oder Volleyball spielen, produzieren sie den moralischen Kitt eines gesellschaftlichen Zusammenhaltes, der durch die entfremdende Wirkung an Verwertungsinteressen orientierter Arbeit und konkurrenzgetriebener Leistungssteigerung permanent untergraben wird.

Das könnte auch die vermeintliche Widersprüchlichkeit eines Antidopingregimes erklären, das auf Wettbewerb und Rekorde zugerichtete Sportlerinnen und Sportler unter den permanenten Verdacht stellt, ihre Erfolge auf betrügerische Weise erlangt zu haben. Um die Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften sicherzustellen und sie vor der Willkür eines Raubes zu schützen, der die Regeln des privatwirtschaftlich organisierten Steuerstaates in Frage stellt, müssen der sozialdarwinistischen Konkurrenz zumindest symbolische Grenzen gesetzt werden. So sehr unternehmerische Ellbogenmentalität als Produktivfaktor geschätzt wird, so sehr sollen die gesellschaftlichen Spielregeln des geldförmigen Verkehrs zwischen Produktion und Konsumtion der Definitionshoheit des Staates als ideeller Gesamtkapitalist unterliegen. Wer sich in eigener Regie dazu ermächtigt, mit allen Mitteln bislang unerschlossene Leistungsreserven zu mobilisieren, gefährdet das gesellschaftliche Sozialregime bis hin zu einem Bruch mit seiner normsetzenden Gewalt, die Abweichungen als Gefährdung der herrschenden Ordnung kenntlich macht und identifiziert.

Wird in Pressekommentaren mit großer Genugtuung auf die kaum vorhandenen Sporterfolge in der Arabischen Welt hingewiesen und weiterhin für Deutschland als Austragungsort olympischer Spiel getrommelt, dann schlägt diese Normalität mit der Berechenbarkeit eines Herrschaftsprogramms durch, das auch in Zukunft verdient hätte, zum Fokus widerständiger sozialer Bewegungen zu werden. Der Nimbus, Olympia sei eine in der Antike wurzelnde zivilisatorische Kulturleistung friedensstiftender Art, wird keinen Krieg oder ökonomischen Raubbau verhindern. Einige Monate lang stand Brasilien im Mittelpunkt globalen Medieninteresses, doch die sozialen und ökologischen Notstände im Land zu beheben bleibt Aufgabe der dort lebenden Menschen. Daß diese immer wieder protestierten und die Ränge der Stadien kaum füllten, hat zum mäkelnden Tonfall vieler Kommentatoren beigetragen. Die darin manifest gewordene Kampfbereitschaft eines Brasiliens von unten ist eine gute Nachricht auch für diejenigen, die Freude an körperlicher Bewegung haben, aber deren Ausbeutung für ganz andere Zwecke zutiefst ablehnen.

22. August 2016


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