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KULTUR/0988: Auf den kalten Fliesen des Schlachthofes ein Moment der Erkenntnis (SB)



Man sieht den enthäuteten Leibern, die an stählernen Haken durch den Raum schwingen, das große Gewicht an. Ein Rind oder Schaf zu zerteilen, und das nicht nur einmal, sondern den ganzen Tag, die ganze Woche, ein ganzes Arbeitsleben lang, verlangt den Schlachtern nicht nur handwerkliche Fähigkeiten, sondern den Einsatz des ganzen Körpers ab. Sie verrichten Knochenarbeit, und das eher im wortwörtlichen denn übertragenen Sinne. So werfen sie sich mit ihren in blutbefleckte Arbeitskleidung gehüllten Körpern in das tote Tier, um es mit langen Messern zu traktieren, wie in einem grausamen Tanz, der die von ihnen ausgehende Gewalt vom nicht minder destruktiven Verbrauch der eigenen Physis ununterscheidbar zu machen scheint. Wenn sie über schmerzhafte Beschwerden in Schultern und Ellbogen klagen, die eine regelrechte Berufskrankheit darstellen, dann kann im Film "Die Schlachtfabrik" studiert werden, warum spezifische Überbelastungen früher oder später zu chronischen Erkrankungen führen, die die Betroffenen den Rest ihres Lebens plagen.

"Avec le sang des hommes" - der Titel des französischen Dokumentarfilms, der auf dem Kulturkanal Arte in deutsch synchronisierter Form ausgestrahlt wurde [1], soll zeigen, daß Tierleid und Tierausbeutung nicht Gegenstand dieser im Verlaufe eines Jahres in einem Schlachthof gedrehten Produktion sein sollen. Es geht um die Arbeitsbedingungen der Menschen, deren Blut sich mitunter mit dem der Schlachttiere vermischt, wenn sie sich mit den langen Messern selbst verletzen. Was der Sender als Loblied auf einen Beruf ankündigt, der nur wenig gesellschaftliche Anerkennung genießt und vom zumeist männlichen Personal gegenüber Außenstehenden eher verschwiegen wird, kommt nicht umhin, das zum normgerechten Objekt seiner industriellen Bearbeitung gewordene Leben der Tiere im Prozeß seiner finalen Verwertung ausführlich zu zeigen.

Was der Zuschauer über die Arbeitsbedingungen von Schlachtern in Frankreich erfährt, gilt auch für die skandalträchtige Fleischindustrie der Bundesrepublik, wo insbesondere mit Leiharbeitern und Werkvertragsgruppen aus osteuropäischen EU-Staaten Lohnkosten auf ein Minimum gesenkt werden, ohne das sich der gigantische Output der tierverarbeitenden Industrie nicht rechnete. Mehr als 22.000 Schweine werden in Deutschlands größter Schlachtfabrik im niedersächsischen Rheda-Wiedenbrück täglich getötet, und ihre Körper landen nicht nur auf Millionen Tellern, sondern werden auch in Verbrauchsartikeln verarbeitet, denen man den Gehalt an Schlachterzeugnissen in keiner Weise ansieht. Beworben als "ein Stück Lebenskraft" bleibt unsichtbar, was alles an Zerstörung nichtmenschlichen Lebens und natürlicher Ressourcen auf der Strecke der Zerteilung des seinen Wunsch, nicht zu sterben, ohnmächtig verteidigenden Individuums tierverbrauchender Massenzucht bleibt.

So entfaltet sich vor dem Auge des Zuschauers das Bild einer von Zeitdruck und körperlichem Verschleiß bestimmten Freudlosigkeit, die längst nicht jeder aushält, der sich in diesem Beruf versucht. Den ganzen Tag in Blut und anderen Körperflüssigkeiten zu stehen, von sterbenden Tieren oder ihren Leichen umgeben zu sein, nur um am Monatsende seine Arbeitskraft so notdürftig reproduzieren zu können, wie es für einen Lohn von rund 1300 Euro gerade einmal möglich ist, und dann noch nicht einmal das Rentenalter mit der Unversehrtheit einer Physis zu erreichen, die den bescheidenen Lohn von ein paar Jahren Altersidyll ohne akute Schmerzen ermöglichte, umschreibt die Normalität der in dieser Dokumentation gezeigten Lohnabhängigen.

Daß ihr Los gegenüber dem der Kälber und Schafe, die, als "Nutztiere" oder "Schlachtvieh" zur Sache gemacht, niemals über irgendein Lebensrecht verfügen, überhaupt in seiner relativen Härte hervortreten kann, ist einer Regie geschuldet, die den Blick auf die Gewalt des Schlachtens nur ein einziges Mal für eine knappe Sekunde freigibt. Es erfordere ganz viel Mut, sagt der Arbeiter an jener ersten, todbringenden Station der Fabrik, in der ein Lebewesen in verkaufsfertige Einzelteile zerlegt wird, um den körperlich gar nicht so schweren Job des Tötens mit dem Bolzenschußgerät zu erledigen. "Schau mal, wie die Tiere kämpfen", sagt er zu der Reporterin, und das am Boden unter krampfartigen Bewegungen verendende Rind zeigt den ganzen Schmerz des auf kalten Fliesen in der kalten Gleichgültigkeit kapitalistischer Verwertung routinemäßig hingemordeten Lebewesens.

So drängt sich der Eindruck, zwischen der Verletzlichkeit der Arbeiter, denen ständig gepredigt wird, daß Sicherheit an erster Stelle stehe, während der zugleich ausgeübte Zeitdruck diese Forderung ad absurdum führt, und der Verletzlichkeit der Tiere bestehe ein innerer Zusammenhang, ungewollt auf. In der Schlachtfabrik ist der Mensch ein austauschbares Stück Ware namens Arbeitskraft, er ist wie der Werkstoff nichtmenschlichen Lebens bloßes Betriebsmittel eines in industrielle Dimensionen getriebenen Blutflusses, dessen Produktionsziffern und Unternehmensbilanzen nur notdürftig verbergen, daß die Substanz gegenseitiger Verstoffwechselung in der Unteilbarkeit eines Schmerzes besteht, den nicht wahrzuhaben das ganze Bemühen aller daran Beteiligten gilt. Das sterbende Rind führt unausweichlich vor Augen, worüber der lohnabhängige Mensch sich nicht klarwerden will, weil diese Erkenntnis grundstürzende Folgen haben könnte.


Fußnote:

[1] Die Schlachtfabrik
http://www.arte.tv/guide/de/060221-000-A/die-schlachtfabrik#details-description

30. Mai 2016


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