Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0949: Reproduktionsmedizinische Selbstbestimmung? (SB)




Eine junge Frau möchte erfahren, wer der Mensch ist, dessen Spermienspende sie ihr Leben zu verdanken hat. In einem erstinstanzlichen Prozeß vor dem Oberlandesgericht Hamm wird ihr prinzipiell das Recht zugestanden, Kenntnis über die Identität ihres biologischen Vaters zu erhalten. Das naheliegende Bedürfnis eines Menschen, alles über die eigene Herkunft in Erfahrung zu bringen, kollidiert jedoch mit Motiven der Spender, die keineswegs altruistischer Art sein müssen. Bis zu 300 Euro können Spermienspender in der Bundesrepublik als Aufwandsentschädigung erhalten, was als Nebenverdienst nicht zu verachten ist.

Auch wenn der kommerzielle Handel mit humanen Fortpflanzungssubstraten hierzulande offiziell untersagt ist, so findet damit zum Beispiel in den USA ein für alle Seiten profitables Geschäft statt. Zwar werden Spermienspender auch dort nur mit Beträgen für ihre Mühe kompensiert, die bestenfalls mehrere hundert Dollar pro Spende ausmachen. Wer jedoch regelmäßig spendet, kann auf diese Weise auf ein Monatsgehalt von ein- bis zweitausend Dollar kommen. In Einzelfällen, wenn das Genmaterial als besonders wertvoll erachtet wird, können allerdings auch weit höhere Beträge bezahlt werden, existiert in den USA doch eine Art High-End-Markt, auf dem gezielt nach DNA-Material von besonders intelligenten oder physisch attraktiven Personen Ausschau gehalten wird. So haben Untersuchungen in den USA ergeben, daß das Erwerbsmotiv auch bei männlichen Spendern der hauptsächliche Grund dafür ist, die Bereitstellung dieses reproduktionsmedizinischen Geweberohstoffs zu gewährleisten.

Bei Eizellenspenden ist die Entlohnung aufgrund der weit aufwendigeren Prozeduren und der körperlichen Risiken, die Frauen für diese biologische Dienstleistung in Kauf nehmen müssen, sehr viel höher und liegt häufig zwischen 5000 bis 10.000 Dollar. Premium-DNA der weißen Ivy League-Klasse schlägt auch schon einmal mit 50.000 Dollar pro Spende zu Buche. Genetische Diskriminierung insbesondere bei der Geschlechtsselektion gilt zwar als unethisch, wird jedoch mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) und anderer Methoden extensiv betrieben. Dies beginnt schon bei der Auswahl der Spenderinnen und Spender, indem diese auf erbbiologische Risiken und Schädigungen aller Art untersucht werden. So hängt der jeweilige Kaufpreis für Spermien nicht nur davon ab, wie viele Angaben der Spender über seine körperliche Verfassung und gesellschaftliche Stellung zuläßt, sondern auch wie weitgehend die männlichen Befruchtungsagenzien auf Erbkrankheiten getestet wurden und wie groß ihre Beweglichkeit ist.

In den USA sind die rechtlichen Grundlagen der Reproduktionsmedizin Sache der Einzelstaaten, so daß eine eher restriktive Regelung leicht durch Ausweichen in einen anderen Bundesstaat zu umgehen ist. Dies gilt auch für die EU, in der der Grad der biomedizinischen Liberalisierung allerdings noch nicht so fortgeschritten ist wie in den USA. Das ändert jedoch nichts daran, daß die In-Vitro-Fertilisation (IVF) Einfallstor einer humangenetischen Selektion ist, die sich nicht nur gegen Behinderte und Frauen, sondern auch gegen Menschen nichtweißer Hautfarbe und unterprivilegierter sozialer Stellung richtet. Auch wenn es Spenderinnen und Spender gibt, die sich aus uneigennützigen Motiven zur Verfügung stellen, so findet das Geschäft der reproduktionsmedizinischen Industrie auf einem Markt statt, dessen absehbare Zukunft in der EU schon heute in den USA studiert werden kann.

Das Interesse an den Produzentinnen und Produzenten der Fortpflanzungssubstrate, denen das Leben der IVF-Kinder geschuldet ist, muß also ebensowenig von diesen erwidert werden, als die Käufer ihrer Dienstleistung - die gesetzlichen Eltern - es darauf absehen dürften, ihr Wunschkind mit zwei oder sogar drei, wenn man die häufig in Anspruch genommene Leihmutter dazuzählt, anderen Personen zu teilen. Je stärker die Existenz eines im Labor gezeugten Menschen vom Warencharakter reproduktionsmedizinischer Dienstleistungen bestimmt ist, desto mehr wird er sich selbst als Ergebnis eines bioindustriellen Fertigungsprozesses und als grundsätzlich austauschbares Objekt marktförmiger Prozesse empfinden.

Um so mehr ist zu verstehen, daß eine auf diese Weise gezeugte Frau sich ihrer selbst dadurch vergewissern will, daß sie alles über die diversen Personen herausfindet, die ihr Leben auf diese oder jene Weise ermöglicht haben. Daß sie dabei Enttäuschungen aller Art erleben könnte, indem sie auf eher eigennützige Motive nicht nur bei Spender und Leihmutter, sondern auch den gesetzlichen Eltern stößt, kann ebenso zur Ernüchterung beitragen wie die Erkenntnis, daß nicht der Mensch an und für sich ins Leben treten, sondern eine gesellschaftliche Funktion in Form eines Kindes erfüllt werden sollte. Auch wenn dies bei der konventionellen biologischen Reproduktion des Menschen nicht prinzipiell anders sein muß, so wirkt sich doch die Möglichkeit, ein in den Augen einer Gesellschaft, die in anwachsendem Maße biologistischen Werten verpflichtet ist, demographisch gelungenes Leben führen zu können, auf alle Beteiligten in einer Weise aus, die am wenigsten mit dem Kind selbst zu tun hat, um das es angeblich in erster Linie geht.

Daß dieses seinerseits, um nicht zur bloßen Ware zu verkommen, Anspruch darauf haben sollte, zwischen biologischen und gesetzlichen Eltern zu wählen, wäre die logische Konsequenz des Rechtes auf Selbstbestimmung, das mit dem Urteil des OLG Hamm unterstrichen wurde. Völlig unbedacht bleibt dabei das Problem, daß die individuelle genetische Konstitution des Menschen zu einem so wichtigen Kriterium seiner sozialen und gesellschaftlichen Existenz wird, daß er daraus nur biologistische Schlußfolgerungen ziehen kann. Die in den Genen gesuchte Wahrheit ist jedoch ohne erbbiologischen Rassismus und sozialeugenische Selektion nicht zu haben. Da der zivilreligiöse Charakter humangenetischer Letztbegründung ein wichtiges Legitimationsmittel sozialtechnokratischer und medizinaladministrativer Verfügungsgewalt ist, kann antikapitalistische Subversion auch dazu dienen, die versklavenden Auswirkungen der biotechnologischen Zurichtung zu unterminieren.

Fußnote:
siehe auch RAUB/0979: Dienstleistung Schwangerschaft - Nicole Kidmans "Gestational Carrier" (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub0979.html

6. Februar 2013