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KULTUR/0908: Wenn die Hauptstadtpresse mit der Politik den Walzer tanzt (SB)



Im großen Ballsaal des Berliner Hotels Intercontinental kamen am Freitagabend rund 2.500 geladene Gäste zusammen, um den 60. Bundespresseball abzufeiern, auf dem die Hauptstadtjournaille mit der Politik den Walzer tanzt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und sich stirnrunzelnd fragt, wie derart enger Körperkontakt mit der Unabhängigkeit der Medien vereinbar sei. Sollen Politik und Berichterstattung über dieselbe wie geschmiert zusammenarbeiten, damit der Bürger unverzüglich erfährt, was Sache ist, gilt es Zuständigkeiten zu klären, Protokolle zu etablieren und Verläufe zu bahnen. Das harte Alltagslos, den Schultern vieler aufzubürden, was die Geschäfte an Unwuchten produzieren, und diese Hiobsbotschaften verträglich unters Volk zu bringen, schweißt Staatslenker und Meinungsbildner zusammen. Da wird man sich ja wohl einmal im Jahr gemeinsam entspannen und heitere Stunden in ansprechendem Ambiente genießen dürfen.

"Der Bundespresseball ist das gesellschaftliche Ereignis Nummer Eins in Deutschland", behauptet zumindest der gastgebende "Zusammenschluß deutscher Parlamentskorrespondenten, die aus Berlin und/oder Bonn ständig und weit überwiegend über die Bundespolitik berichten. Der Bundespresseball ist der exklusive Treffpunkt besonders vieler Entscheidungsträger aus Politik, Medien und Wirtschaft." [1] Das Gesellschaftliche an dem so genannten Ereignis besteht in dem für die Teilnehmer selbstverständlichen Umstand, daß die Gesellschaft als solche dabei nichts zu suchen hat, wenn man einmal von den Dienstboten absieht, auf deren Rücken diese Festlichkeit abgegessen, abgetrunken und natürlich abgetanzt wird. Habenichtse und Hungerleider sollen unter ihresgleichen feiern, sofern sie einen Grund dazu finden, denn im Interconti walzt die bessere Gesellschaft übers Parkett.

Wer in diesem speziellen Fall dazugehört, weiß der Vorstand der Bundespressekonferenz, der die Einladungsliste zusammenstellt. Eintrittskarten sind verständlicherweise auf dem freien Markt nicht erhältlich, was keineswegs bedeutet, daß die Gäste umsonst reinkommen. Der Bundespresseball wird über den Verkauf der Tickets und durch die Unterstützung (namhafter, versteht sich) Sponsoren finanziert. Satte 450 Euro pro Flanierkarte und 690 Euro pro Saalkarte muß man springen lassen, was aber nicht im geringsten schmerzt, da man mit solchen Summen schließlich nicht einen ganzen Monat überleben muß, sondern mal eben einen geselligen Abend in gepflegter Atmosphäre verbringen will. Ein Muß ist die Teilnahme aber schon, zumindest wenn man sich nicht ganz sicher ist, ob man wirklich zu den Entscheidungsträgern gehört, die hier angeblich besonders zahlreich erscheinen. Bundeskanzlerin Angela Merkel beispielsweise gilt als Ballmuffel: Seitdem sie in der Politik sei, habe sie noch nicht einmal den Bundespresseball besucht: "Es gibt auch andere kulturelle Höhepunkte", hatte sie einmal ihre Absage begründet, [2] was den Schluß zuläßt, daß sie keine offenen Fragen hinsichtlich ihrer Entscheidungsträgerschaft kennt.

Abgesehen davon kann man sich an dem Gedanken erwärmen, daß die Sache eigentlich nur ein Vorwand dafür sei, den sozialen Zweck mit vornehmer Zurückhaltung auszublenden. Wie es heißt, sollen durch die Einnahmen einer Tombola hilfsbedürftige Journalisten aus einem Sozialfonds unterstützt werden. Ob dieser tatsächlich so prall gefüllt ist, wie es die Heerschar am Hungertuch nagender Pressefritzen erforderte, ist dem Verfasser nicht bekannt. Bekannt ist aber das musikalische Programm des gestrigen Abends, das den Verdacht bestärkt, es handle sich bei der seit 1951 jährlich wiederholten Veranstaltung um eine recht altbackene Institution, zu der die geladenen Gäste nur deshalb gehen, weil die anderen auch hingehen und man schließlich nie wissen kann. Aufspielten zum Schrecken aller die unvermeidliche Bundespresseball Big Band, sodann einige gesittete jüngere Musikgruppen und schließlich als Höhepunkt des künstlerischen Programms die sogenannte Pop-Ikone Nena. Moderner ging's nicht, und so sollte sie denn die Gäste mit ihren großen Hits wie "Wunder geschehen" oder "99 Luftballons" aus den 80er Jahren mitreißen. Als Fan outete sich übrigens der bekanntlich noch recht junge Gesundheitsminister Daniel Bahr: Den Hit "99 Luftballons" habe er geliebt: "Mein Zimmer war voller Nena-Sachen." Schau an.

Bevor man sich derart mit Nena gehen lassen konnte, war wie bei Bällen üblich zuerst die zeremonielle Eröffnung angesagt. "Das Recht des ersten Tanzes gebührt dem Bundespräsidenten, anschließend ist das Parkett frei für alle Gäste, für die Mitglieder der Bundesregierung ebenso wie für die Ministerpräsidenten, Bundestagsabgeordneten, Chefredakteure, Intendanten und Vorstandsmitglieder aus der Wirtschaft", heißt es auf der Webseite des Veranstalters. Neofeudal ist schließlich keine Schande, wobei man einschränkend hinzufügen muß, daß zwischen Wunsch des Hauptstadtjournalistenvereins und Wirklichkeit erschienener Prominenz eine gewisse Lücke klaffte.

Mit einem Walzer eröffneten Bundespräsident Christian Wulff und Sonja Mayntz, Frau des Vorsitzenden der Bundespressekonferenz, Gregor Mayntz, das Geschiebe, was die symbolische Vermählung von Politik und Presse ganz vorzüglich ins Bild setzte. Dementsprechend ließ sich die Frau des Bundespräsidenten, Bettina Wulff - sie trug ein langärmeliges schwarzes Kleid mit paillettenbesetztem Rock - beim Eröffnungswalzer von dem Bundespressekonferenzvorsitzenden Gregor Mayntz im Tanze führen. Wer die Sache mit dem Kleid für nebensächlich und hier fehl am Platz hält, sei daran erinnert, daß die geschlossene Gesellschaft der feinen Leute absichtlich mit großen Schlüssellöchern ausgestattet ist: Dank der Hofberichterstattung kann man jedes Detail mitvollziehen, das die da oben einerseits so bewundernswert und andererseits so menschlich macht.

So plauderte unser Präsident bereits bei seiner Ankunft aus, er habe "für heute abend Foxtrott geübt". Ein paar extra Trainingsstunden Walzer hätten aber auch nicht geschadet, so die Berliner Morgenpost, da Wulff "etwas ungelenk, doch immerhin unfallfrei" seine Partnerin übers Parkett manövriert habe. [3] So etwas liest man ebenso gern wie den Versprecher des Cheforganisators Alfred Gertler, der das diesjährige Motto "Metamorphosen" etwas zu wörtlich genommen und den "Vizekanzler und Verkehrsminister Philipp Rösler" begrüßt habe. Wirtschaftsminister Rösler, heißt es weiter, nahm die Verwechslung mit Humor. Zu den weiteren Gästen zählten unter anderem die Minister Daniel Bahr und Dirk Niebel (alle FDP), Ursula von der Leyen (CDU) - eine unermüdliche Tänzerin ("Hauptsache Bewegung") - sowie Hans-Peter Friedrich und Peter Ramsauer (beide CSU). Die SPD wurde von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier repräsentiert, wohingegen die Grünen, die sich in den Vorjahren als besonders feierfreudig gezeigt hatten, diesmal wegen ihres Kieler Parteitags komplett fehlten. Erstmals dabei war der Vorsitzende der Piratenpartei, Sebastian Nerz. Den Smoking habe er sich geliehen, und der Ball sei eine gute Gelegenheit, andere Politiker zu treffen, ließ er keinen Zweifel an der Lernfähigkeit seiner Partei.

Bleibt eigentlich nur noch nachzutragen, daß der Bundespresseball lehrt, wie man Brot und Spiele unter Ausschluß der lästigen Volksmassen inszenieren kann. Dank der beflissenen Parlamentskorrespondenten erfährt man alles aus erster Hand und kann sich in der zufriedenen Gewißheit zurücklehnen, daß mit der vierten Gewalt im Staat alles zum besten stehen muß, wenn sie ihr Ohr so dicht am Mund der Politik über die Tanzfläche changiert.

Fußnoten:

[1] https://www.bundespresseball.de/partner/beteiligte-unternehemen.html

[2] http://www.abendblatt.de/vermischtes/article2106496/Wulff-tanzt-Walzer-zur-Eroeffnung-des-Presseballs.html

[3] http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article1837622/Die-mit-dem-Wulff-tanzt.html

26. November 2011