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KULTUR/0901: Führer der Konkordatskirche missioniert im Bundestag (SB)



Zweifellos verletzt es die weltanschauliche Neutralität des Bundestages, wenn ein Religionsführer dort mit allen Ehren empfangen wird, dessen verfassungsmäßiger Auftrag als Staatsoberhaupt des Vatikan lautet, für seine Kirche zu missionieren. Auch ist das Auffüllen der durch den Protest fernbleibender Abgeordneter lückenhaften Ränge durch eigens dafür herangekarrte Statisten ein Eklat, nimmt man damit doch den nominell nur ihrem Gewissen verpflichteten Parlamentariern die Möglichkeit, den ihnen aufgelasteten Konflikt auf diese Weise demonstrativ darzustellen. Dennoch mutet es ein wenig wie eine verordnete Generalamnesie an, wenn zum Anlaß des Papstbesuches ein staatsrechtliches Problem hervortritt, das in der langen Geschichte des historischen Duopols von Thron und Altar und seiner konstitutionellen Regulation wurzelt.

Als der geistige und die weltlichen Herrscher Europas noch darüber stritten, wer nun über dem anderen stehe, verstanden sich die Konkordate des Vatikans noch als Gewährung kirchlicher Privilegien an den Staat, die der Papst nach Belieben widerrufen konnte. Später kehrte sich das Verhältnis um und der Hegemonialanspruch staatlicher Rechtshoheit machte aus diesen Abkommen mit der Kirche ein jederzeit kündbares Zugeständnis an den Klerus, dem damit bestimmte tradierte Privilegien gewährt wurden. Unter dem aus dem lateinischen "concordare aliquid" abgeleiteten Begriff des Konkordats wurden Verträge geschlossen, die das Ausmaß des Einflusses der Kirche auf weltliche Belange definierten.

Dabei ging es ursprünglich um die Besetzung hoher kirchlicher Ämter. Da die Verfügungsgewalt der Bischöfe und Äbte über Land und Lehen von höchst weltlicher Art war, stellten die jeweiligen Monarchen deren Rechtsanspruch in Frage. Bis ins 14. Jahrhundert hinein hatte der Papst praktisch gottgleich über Europa geherrscht und die Kurie in eine weltliche Administration verwandelt, die das Kirchenrecht mit harter Hand durchsetzte und eine monströse Finanzverwaltung führte. Diese wachte über einen stetigen Strom von Geldern, zu deren Erhebung man höchste kreative Leistungen bei der Kommerzialisierung des Glaubens erbrachte, indem man etwa allerlei sakrale Amtshandlungen gebührenpflichtig machte, noch lange nach der letzten Glaubensexkursion ins Heilige Land eine Kreuzzugssteuer einstrich oder im Rahmen des Ablaßhandels den Platz an der Seite Gottes versilberte. Die Vergabe von Kirchenämtern an den Meistbietenden gehörte ebenso zu diesen pekuniären Privilegien und höhlte den Einfluß weltlicher Herrscher aus, da große Teile ihres Reiches von eingekauften Würdenträgern regiert wurden.

Mit der Beilegung des sogenannten Investiturstreits durch das Wormser Konkordat von 1122 wurde ein Kompromiß zwischen Kaiser und Papst gefunden, wobei die für die Einkünfte der Kirche wesentlichen Privilegien beibehalten werden konnten. Doch es wurde erstmalig ein deutlicher Trennstrich zwischen Kirche und Staat gezogen, was der absoluten Herrschaft des Papstes über alle Belange zwischen Himmel und Erde ein Ende setzte. Der mit diversen weiteren Konkordaten geregelte Abgleich kirchlicher und staatlicher Interessen führte zwar zu einer zunehmenden Besinnung der Kirchenfürsten auf die geistigen Aufgaben eines Klerikers, ließ jedoch wesentliche Bereiche kirchlichen Einflusses unangetastet. Schließlich konnte auch ein säkularer Staat nicht auf die Mithilfe der Pfaffen verzichten, wenn es um die Beschwichtigung eines Volkes aus Leibeigenen und rechtlosen Bürgern ging.

Mit der napoleonischen Ära zu Beginn des 19. Jahrhunderts schwenkte das Pendel dann ganz eindeutig auf die Seite staatlicher Verfügungsgewalt, da Bonaparte mit der vollständigen Säkularisation Ernst machte und sich das alleinige Recht zur Ernennung der Bischöfe verschaffte. Durch die Übernahme vieler anderer kirchlicher Privilegien in die Verwaltungshoheit des Staates begründete er ein Staatskirchentum, das auch nach der Aussetzung des dazu geschlossenen Konkordats von 1801 im Jahre 1904 prägend auf das Verhältnis von Staat und Kirche nicht nur in Frankreich wirkt. Der Klerus hatte diesen Transfer in staatliche Obhut jedoch unbeschadet mitvollzogen und machte es sich im modernen Gemeinwesen ebenso bequem wie im mittelalterlichen Feudalstaat.

In deutschen Landen schloß man sich weitgehend dem französischen Vorbild an, wie man ja auch große Teile der napoleonischen Rechtsprechung zur Grundlage modernen deutschen Rechts erklärte, und säkularisierte die meisten bisher kirchlich beherrschten Territorien. Mit der Auflösung des Deutschen Reichs im Jahre 1806 fand auch die Reichskirche ein Ende und machte dem modernen Staatskirchentum Platz, was mit der Enteignung der Reichskirche beim Reichsdeputationshauptschluß im Jahre 1803 seinen Anfang nahm. Damals waren 22 Bistümer, 80 Abteien und 200 Klöster in staatlichen Besitz übergegangen, wovon besonders die Königreiche Bayern und Preußen profitierten, die so das Mehrfache an Land bekamen, was ihnen durch Abtretungen an Frankreich verlorengegangen war.

Noch heute zahlt der Staat jährlich millionenschwere Dotationen in evangelische und katholische Kassen aufgrund dieser Enteignungen. Obwohl der noch gültige Artikel 138 der Weimarer Verfassung die Ablösung dieser Rechtstitel auf Länderebene fordert, konnte sich bisher keine Regierung dazu durchringen, den mächtigen Kirchen Paroli zu bieten und ihnen diesen Finanzbonus zu entziehen, wozu nicht zuletzt die Doppelfunktion vieler Politiker als Kirchenfunktionäre und Staatsdiener beiträgt.

Und das ist beileibe nicht der einzige Vorteil, den die laut Artikel 137 selbiger Verfassung nichtvorhandene Staatskirche genießt, wozu ihr wiederum ein Konkordat verhilft, das in seinen Grundzügen bereits nach der Säkularisation von 1803 geplant war. Ausgerechnet mit demjenigen Gewaltherrscher, der vielen Gläubigen dem leibhaftigen Antichristen wohl am nächsten kommt, schloß die katholische Kirche das für sie äußerst günstige Reichskonkordat ab. Nachdem der päpstliche Emissär Eugenio Pacelli in der Weimarer Republik mit seinem erklärten Anliegen, das überfällige Reichskonkordat in die Realität umzusetzen, gescheitert war, fand er im keineswegs christlich gesinnten neuen Machthaber Hitler endlich den Verbündeten, mit dem er das Abkommen umsetzen konnte.

Während um Schadensbegrenzung bemühte Theologen diese Allianz heute als Versuch des Vatikans interpretieren, Hitler in den Rahmen internationalen Rechts einzubinden und auf diese Weise Schlimmeres zu verhindern, legen die mit dem am 20. Juli 1933 abgeschlossenen Reichskonkordat verknüpften Privilegien einen anderen, wesentlich profaneren Schluß nahe. Mit dieser übergreifenden Regelung, die die bereits gültigen Länderkonkordate ergänzte und befestigte, sind bis heute gültige Ansprüche der katholischen Kirche verbunden, die den Steuerzahlern zusätzlich zur konfessionell gebundenen Kirchensteuer Milliarden kosten.

So bezahlt der Staat aufgrund dieser Regelung, die nach dem Krieg unter Berufung auf die katholischen Privilegien von einem Vertragswerk ähnlicher Art auf die protestantische Amtskirche erweitert wurde, nicht nur die Gehälter der Religionslehrer und Theologieprofessoren an staatlichen Lehranstalten, sondern auch deren Ausbildung. Er stellt Militär- und Gefängnisseelsorgern neben den Bezügen alle notwendigen Mittel vom Dienstwagen bis zum Meßwein bereit und stattet im Rahmen der Länderkonkordate Kleriker vom Erzbischof bis zum Probst sowie deren Angestellte mit ihrem Salär aus. Hinzu kommt die Subventionierung kirchlicher Bauwerke und anderer Kosten für klerikale Liegenschaften.

Auch das so häufig dem christlichen Renommee der Amtskirchen zugute kommende soziale Image wird zuvörderst vom Staat finanziert, der kirchliche Bildungseinrichtungen und Stiftungen ebenso großzügig unterstützt wie alle Arten von Sozialwerken im fürsorgerischen und medizinischen Bereich. Caritas und Diakonie, Kindergärten und Krankenhäuser werden zum allergrößten Teil aus öffentlichen Töpfen finanziert, seien es Pflegesätze, Krankenkassengelder oder Subventionen von Staat, Ländern und Kommunen. Das soziale Engagement der Kirchen, mit dem so viele Steuerzahler ihren Obulus an die Amtskirchen vor sich selbst rechtfertigen, verlangt den Klerikern keine ins eigene Fleisch schneidende Selbstlosigkeit ab, sondern legitimiert eine Alimentation, deren Höhe mit der freiwilligen Abgabe des biblischen Zehnten durch die Gläubigen kaum in dieser Höhe zustandekäme.

Es sind jedoch nicht nur die vielen Milliarden Euro, die jährlich in die Säckel zweier Organisationen strömen, die zudem zu den größten Grund- und Immobilienbesitzern der Bundesrepublik gehören und es als Teilhaber an Banken, Industrieunternehmen, Finanzgesellschaften und mehr als 140 Zeitungs- und Buchverlagen gut verstehen, das reichlich Vorhandene zu mehren. Es ist vor allem der Einfluß auf gesellschaftliche Entscheidungsprozesse, der sich wesentlich auf die im Reichskonkordat getroffenen Abmachungen stützt und dafür sorgt, daß ja keiner an den Pfründen der Amtskirchen rührt. So gibt es kaum ein öffentliches Gremium, in dem nicht Kirchenvertreter sitzen und die Interessen ihrer Organisation wahrnehmen. Das reicht weit in den staatlichen Verwaltungssektor hinein und drückt sich insbesondere im Bereich der Schulpolitik als starker klerikaler Einfluß aus, wie nicht zuletzt der Streit um Ethikunterricht im atheistischen Osten gezeigt hat.

Ein deutlicher Beleg der Durchdringung aller öffentlichen Bereiche der Bundesrepublik durch kirchliche Interessen besteht auch darin, daß es kaum ein behördliches Formular gibt, auf dem man nicht dazu angehalten wird, seine Religionszugehörigkeit anzugeben. Zensus 2011 mit einer kritischen Kampagne begleitet, bringt über diese zentrale Befürchtung hinaus eine Reihe weiterer Einwände vor. So ging die Bundesregierung beim Zensus 2011 über den von der EU geforderten Fragenkatalog hinaus, indem die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft angekreuzt werden mußte.

Auch in diesem Sinne muß der mit Hitler geschlossene Vertrag aus kirchlicher Sicht einen Pakt mit dem Teufel dargestellt haben. Der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, bei dem es sich um keinen geringeren als den späteren Papst Pius XII. handelte, verfügte über hervorragende Deutschkenntnisse und war durchaus in der Lage, sich mit der Lektüre von "Mein Kampf" und ähnlichen Schriften über die Absichten seines Gegenübers zu informieren. Er war seit 1917 in München und von 1920 bis 1929 in Berlin als Nuntius tätig gewesen und muß daher sehr genau über alles Bescheid gewußt haben, was den neuen deutschen Reichskanzler anging. Dieser war als frischgebackener Regierungschef dringend darauf erpicht, seine noch wacklige Stellung durch außenpolitische Anerkennung zu festigen. Ein gutes Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl, der immerhin eine wichtige moralische Instanz darstellte und in allen mehrheitlich katholischen Ländern großen Einfluß besaß, konnte da Wunder wirken. So war Hitler zu jenen weitreichenden Zugeständnissen bereit, die heute noch den Einfluß der Kirchen auf das öffentliche Leben von der Kinderkrippe bis zum Altersheim sichern.

Als Hitler im Herbst 1933 seine Macht weitgehend konsolidiert hatte und seine Anhänger es nicht mehr so genau nahmen mit den Bestimmungen des Konkordats, hielt Pacelli sogar Papst Pius XI. davon ab, öffentlich gegen die Nazis zu protestieren, um sein Werk nicht zu gefährden und auch weiterhin mit Deutschland guten Kontakt zu pflegen. Den hatte er auch zu Benito Mussolini, dessen Kolonialkrieg in Abessinien er nach Kräften unterstützte. Der Duce hatte Hitlers damaligem Vizekanzler Franz von Papen ausdrücklich zum Abschluß des Konkordats gratuliert, indem er ihm bestätigte, daß das gute Ansehen der nationalsozialistischen Regierung Hitler nun in aller Welt gewährleistet sei.

Am 23. März 1957 wurde das Reichskonkordat vom Bundesverfassungsgericht in seiner Gültigkeit bestätigt. In ihm bildet sich eine kulturelle Vormachtstellung des Christentums ab, die alle Vertreter anderer Glaubensformen benachteiligt, ohne daß von verfassungsrechtlicher Seite Einwände erhoben würden. So werden durch die im Reichskonkordat fixierten Privilegien der Amtskirchen auch die vielen deutschen Bürger, die keiner oder einer anderen Religion angehören, zu Financiers zweier christlicher Organisationen, die ihren Status durch die Jahrhunderte als opportunistische Verbündete von Herrschern und Machthabern aller Couleur gefestigt haben. Als die römische Kirche noch in eigener Regie geistige wie weltliche Angelegenheiten verfügte, wußte der Untertan zumindest, mit wem er es dabei zu tun hatte. Auch in den absolutistischen Epochen weltlicher Monarchen brauchte sich niemand etwas über die Funktion des Klerus vorzumachen, gehörte er im Kampf gegen das Aufbegehren des Pöbels doch zu den zuverlässigsten Verbündeten der adligen Oligarchen.

In einem Zeitalter nomineller Trennung von Staat und Kirche stellen Abkommen wie das Reichskonkordat und die entsprechenden mit den Protestanten abgeschlossenen Kirchenverträge jedoch bekenntnisgebundene Privilegien dar, die im Widerspruch zu allem stehen, was im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes und der Religions- wie Weltanschauungsfreiheit als individueller Freiraum garantiert wird. Jeder, der an diesem Glaubenskonsens nicht teilhat oder ihm sogar konträr gegenübertritt, kann in einer Vielzahl von Bereichen mit institutionalisierten Kräften kollidieren, die ihre Position dem Reichskonkordat verdanken und damit auf einem Vermächtnis des NS-Staates aufbauen.

19. September 2011