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KULTUR/0878: Guttenbergs Götterdämmerung - Als Kriegsminister gefeiert, als Plagiator geschmäht (SB)



Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der jede Hürde in derart schneidiger Manier genommen hatte, daß ihn vom bierseligen Stammtisch bis zum politisch korrekten Nationalstolz ein breiter Konsens deutschen Geltungsstrebens zum beliebtesten Politiker erkoren hatte, ist in der Bredouille. Nicht mehr vom unaufhaltsamen Karrieristen und Medienliebling ist die Rede, nicht vom Versteher der Bundeswehrsoldaten und eifrigen Feldlagerbesucher und schon gar nicht vom kommenden Kanzlerkandidaten. Als Plagiator wird er dieser Tage geschmäht, was den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold zu der krokodilstränengetränkten Schlußfolgerung inspirierte, im Fall einer Aberkennung des Doktortitels wäre Guttenbergs Glaubwürdigkeit "völlig zerstört". Ein Minister aber, der seine Glaubwürdigkeit verloren habe, "kann nicht mehr wirklich arbeiten - im Bereich der Bundeswehr, in dem es in hohem Maße auf Vertrauen ankommt, vielleicht noch schwerer (sic!) als in anderen Ressorts". [1]

Während Parteifreunde eine Verschwörung wittern, dem (noch) promovierten Baron auf einem Nebenkriegsschauplatz an den Karren zu fahren, der mit seinen Verdiensten im Amt nicht das geringste zu tun habe, formiert sich eine fraktionsübergreifende Phalanx moralischer Bedenkenträger, die nach Aufklärung schreit, um des Ministers Tragbarkeit anhand eines Kanons postulierter Politikertugenden zu spiegeln. Feinde in allen Lagern hat sich Guttenberg überreichlich gemacht, wobei eine Heerschar konkurrenzgetriebener Neider die Zahl fundierter Kritiker bei weitem in den Schatten stellt. Stündlich stocken einschlägige Internetseiten genüßlich die frappanten Übereinstimmungen zwischen Promotionsarbeit und nicht ausgewiesenen Quellen auf, wobei die Verzahnung entsprechender Software mit einer goldrauschartig wachsenden Gemeinde interessierter Schürfer jeden Stein umdreht, um das Ausmaß des Debakels im vollen Umfang bloßzulegen.

Von Kanzlerin Merkel zuvor zur Brust genommen, stellte sich der vom erneuten Frontbesuch heimgekehrte Kriegsminister endlich dem aufgestauten Druck - doch nur vor einer handverlesenen Schar ausgewählter Journalisten. Das trieb das Gros der Hauptstadtmedien bei der andernorts anberaumten regulären Pressekonferenz zur Weißglut, die dort zur Untätigkeit verdammt aus Protest den Saal verließen und angesichts des Affronts dabei schon in Gedanken eine um so schärfere Breitseite vorformuliert haben dürften. Was hatte Guttenberg zu seiner Rechtfertigung zu sagen? Vom vielfach geforderten Rücktritt könne und dürfe keine Rede sein, argumentierte der Minister, da er sich den Anforderungen seines Amtes weiterhin hingebungsvoll widmen werde, wie es die Bürger von ihm erwarteten. Was die aktuellen Vorwürfe betreffe, sei er bereit, bis zur Klärung der Sachlage auf den Doktortitel zu verzichten.

Kann man das Uneinsichtigkeit eines zutiefst von sich überzeugten Karrierepolitikers nennen, der davon ausgeht, er könne den Kopf aus jeder Schlinge ziehen? Oder handelt es sich vielmehr um ein verzweifeltes Rückzugsgefecht eines längst Gestrauchelten, der inständig hofft, die Meute mit einem unbedeutenden Brocken abzuspeisen und von ihrer Beute abzulenken? De facto setzt Guttenberg instinktsicher auf eben jenen Widerspruch, der die Treibjagd auf seine wissenschaftliche Reputation so gespenstisch macht. Er weiß nur zu gut, daß ihm die Intimfeinde bis hin zur machtbewußten Kanzlerin bei dieser hochwillkommenen Gelegenheit liebend gern die ambitionierten Karriereflügel stutzen, doch ihn andererseits als unvergleichlichen Kriegsminister kaum entbehren können.

Je nach Bedarf militärisch-stramm, mediengewandt oder volkstümelnd hat es Guttenberg wie kein Zweiter verstanden, sein Amt in Gestalt einer erfolgreichen Propagandaschlacht zugunsten deutscher Kriegsbeteiligung zu führen. Beliebt bei den Soldaten, deren schweren und aufopferungsvollen Dienst er nicht müde wird zu preisen, packt er zugleich die Landsleute an der Heimatfront beim Konsumentenkragen. Endlich darf man offen aussprechen, daß die Bundeswehr Taliban, Piraten und Terroristen, die uns die Butter vom Brot nehmen wollen, nicht energisch genug auf die Finger klopfen kann. Vielen galt er bislang als geradeaus, ehrlich und mutig, weil er Krisen, Verheerungen und Blutvergießen auf den populistischen Nenner brachte, die Deutschen verfügten mit ihren gut ausgebildeten Soldaten und Waffen aus den besten Rüstungsschmieden der Welt über die Mittel, ihre wohlverdienten Ansprüche auf Wohlstand und Sicherheit erfolgreich geltend zu machen.

Vor Guttenberg zweifelten die Bundesbürger mehrheitlich an Sinn und Zweck deutscher Militäreinsätze insbesondere in Afghanistan, griff Kriegsmüdigkeit um sich, wollte man ein Abzugsdatum hören. Heute sorgt man sich um die Befindlichkeit unserer Soldaten, die schließlich auch Anerkennung wünschen und zu Hause eine Familie haben, die sich um sie sorgt. Haben sie wirklich alle Waffen, die sie brauchen, um sich gegen den verschlagenen Feind zu wehren? Kehren sie unversehrt vom gefährlichen Außeneinsatz zurück, bei dem zahllose Fallen auf sie lauern? Will man von einer Meisterleistung Guttenbergs sprechen, so ist der nahezu vollständige Rückbezug auf die Suprematie deutscher Interessen samt der damit zwangsläufig verbundenen Degradierung afghanischer Fremdvölker zu nennen, die nur noch durch die Zieloptik wahrgenommen werden.

Will man den Prozeßverlauf des Umschwungs deutlich machen, gilt es, sich das Massaker von Kundus am 4. September 2009 und dessen Folgen vor Augen zu führen. Damals wurden auf deutschen Befehl bis zu 178 Menschen abgeschlachtet, worauf Zweifel am Bundeswehreinsatz in Afghanistan um sich griffen und eine Terminierung des Abzugs in der Luft lag. Am 27. November mußte Franz Josef Jung als Verteidigungsminister zurücktreten, der die Bombardierung der Tanklaster als "militärisch angemessen" eingestuft hatte. Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg schloß sich dieser Auffassung zunächst an, machte aber später eine taktische Kehrtwende und behauptete nun, ihm seien Informationen vorenthalten worden. Nach einem ebenso kurzen wie heftigen Machtkampf mußten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert auf Druck Guttenbergs bereits am 26. November zurücktreten, die sich bis heute dagegen verwahren, Informationen zurückgehalten zu haben. [2]

Was wußte Guttenberg? In einem NATO-Untersuchungsbericht zum Kundus-Massaker wird der für den Angriffsbefehl verantwortliche deutsche Oberst Georg Klein mit der Einlassung zitiert, er habe durch bewußte Lügen über einen bevorstehenden Angriff und direkte Feindberührung die US-amerikanischen Bomberpiloten getäuscht. Während die Piloten strafversetzt wurden, hielt Guttenberg weiterhin seine schützende Hand über Klein. Der NATO-Bericht enthält zudem alle Details, die Guttenberg angeblich erst nach dem 6. November vorlagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch öffentlich behauptet, die Bombardierung sei als "militärisch angemessen" zu bewerten. Diese Einschätzung vertrat Guttenberg auch nach dem 6. November, obgleich er unterdessen den Verteidigungsausschuß des Bundestages über den NATO-Bericht informiert hatte. Erst vier Wochen später revidierte er seine Bewertung des Massakers. Welche Informationen für seine Neubewertung entscheidend gewesen sein sollen, vermochte er jedoch nicht darzulegen.

Für die damalige "schwarz-rote" Bundesregierung war die Einschätzung des Zwischenfalls von Kundus von enormer Bedeutung, da am 27. September 2009 Bundestagswahlen anstanden. Ein harscher NATO-Report vor diesem Termin, der den Tod von Zivilisten bestätigt und die Bundeswehr deutlich kritisiert hätte, konnte - möglicherweise durch deutsche geheimdienstliche Intervention - abgewendet werden. Darüber hinaus stand die Kriegsbeteiligung als solche auf dem Spiel, die Guttenberg in der Folge zugunsten der Befürworter stärken konnte. Indem der neue Kriegsminister die inzwischen so gut wie widerlegte Behauptung, man habe ihm entscheidende Informationen vorenthalten, erfolgreich ins Feld führen konnte, bestand er die Nagelprobe des durchsetzungsfähigen Manipulators, der Abscheu und Antikriegsstimmung nach dem Massaker von Kundus Schritt für Schritt in eine positive Wahrnehmung des Bundeswehreinsatzes in der deutschen Öffentlichkeit zu überführen verstand. Was sind schon 178 tote afghanische Männer, Frauen und Kinder gegen einen deutschen Plagiator, muß man sich dieser Tage fragen, sollte die Ironie des Schicksals zuschlagen und Karl-Theodor zu Guttenberg am Ende doch noch zum Rücktritt gezwungen werden.

Anmerkungen:

[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article12568246/Bei-diesen-Autoren-koennte-Guttenberg-geklaut-haben.html

[2] http://www.linkszeitung.de/afghan100117liz.html

18. Februar 2011