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KULTUR/0865: Wulffs laue Integrationsrede erbost Islamkritiker (SB)



Hätte Bundespräsident Christian Wulff geschwiegen, wäre er dennoch kaum im Sinne des klassischen Sprichworts ein Philosoph geblieben. Traktiert mit der ins Absurde abdriftenden Arbeitsplatzbeschreibung, ein deutsches Staatsoberhaupt müsse in seiner Amtszeit mindestens eine denkwürdige Ansprache absondern, die sich am besten in einem einzigen Stichwort zusammenfassen läßt, um vom Volke anerkannt, wenn nicht gar geachtet zu werden, konnte die Bremer Rede am 3. Oktober zum 20jährigen Jubiläum der entsorgten DDR eigentlich nur schiefgehen. Position zu zeigen, sei nie seine Stärke gewesen, sagt man Wulff nach, weshalb er sich nun zwischen Skylla und Charybdis in Seenot befand. Hielt er sich ganz bedeckt, würde man ihm das als Profillosigkeit ankreiden, riskierte er aber eine kernige Aussage, lauerte schon ein weiteres jener Fettnäpfchen, in die zu treten man ihm als Bilanz seiner ersten hundert Präsidententage bereits attestiert hat. Vielleicht gereichte ihm zum Verhängnis, daß er sich sowohl bei seiner Antrittsrede im Bundestag, als auch bei seiner Intervention in der Causa Sarrazin am Thema Integration verhoben hatte und nun wie die Motte vom Licht unweigerlich von eben diesem höchst brisanten Komplex um so mehr angezogen wurde, als dränge es ihn nach einem verbalen Befreiungsschlag.

Ob er geahnt hat, auf welches Minenfeld er sich erneut begab? Offensichtlich um eine ebenso paßförmige wie zitierfähige Floskel bemüht, lieferte er eine Formulierung ab, die man ihm in den folgenden Tagen mit wachsendem Grimm um die Ohren schlug. Dabei hatte er eigentlich nichts sonderlich Pointiertes, geschweige denn Kühnes oder Engagiertes in die Welt gesetzt. "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber, meine Damen und Herren, der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland", waren seine Worte. (www.welt.de 06.10.10) Unverbindlicher hätte man den Tatbestand, daß inzwischen rund vier Millionen Muslime in Deutschland leben, kaum ausdrücken können. Doch vergebens, denn der kurzen Windstille, in der man allseits sondierte, ob und wie sich das Nichtssagende dennoch ausschlachten ließ, folgte ein Sturm um sich greifenden Protests, der dem Bundespräsidenten vorhielt, er habe nicht entschieden genug - natürlich gegen den Islam - Stellung bezogen.

Gut sei die Rede Wulffs gewesen, tat man der Pflicht gegenüber dem Präsidentenamt Genüge, da es sich um eine "Weichenstellung für die Zukunft" gehandelt habe, wie Bundeskanzlerin Merkel am Sonntag im Einklang mit dem gesamten Kabinett befand. Dann aber folgte das große "Aber", mit dem man sich auf das Satzfragment einschoß, der Islam gehöre auch zu Deutschland. Bereits am Montag rief die Kanzlerin die in Deutschland lebenden Muslime dazu auf, sich an den deutschen Grundwerten und am Grundgesetz zu orientieren, da es dabei "keine Toleranz" gebe. Und wiederum einen Tag später forderte sie ein stärkeres Bekenntnis zum Christentum. Wulffs Aussage bedeute nicht, daß der Islam Fundament des kulturellen Selbstverständnisses Deutschlands sei. (www.pro-medienmagazin.de 06.10.10)

Da die Kanzlerin selten Dämme zu brechen pflegt, wohl aber mit sicherem Instinkt zur Stelle ist, wo ein verwertbarer Trend Gestalt annimmt, zeichnet ihr Schwenk vom anfänglichen Lob der Wulffschen Rede bis zu deren kaum verhohlener Maßregelung binnen dreier Tage zweifelsfrei nach, wohin der Hase der Islamfeindlichkeit unter Indienstnahme der Präsidentenrede läuft. Ganz einfach machte es sich die "Bild"-Zeitung, die eine Umfrage in Auftrag gab. Danach erklärten 66 Prozent der 1.008 Befragten, sie stimmten Wulffs Aussagen nicht zu, während der Präsident nur von 24 Prozent der Befragten Unterstützung erhielt. Geschraubter drückte es der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann aus, der von einer "intellektuellen Entgleisung" sprach. "Das aus jüdischen Wurzeln erwachsene Christentum ist die unser Land in Jahrhunderten prägende Leitkultur, unabhängig davon, wie viele überzeugte Christen es derzeit gibt", schreibt er im Internetportal "Kath.net". "Den Islam undifferenziert, quasi gleichrangig daneben zu stellen, führt in die Irre. Eine solche religionspolitische Dummheit wäre Joachim Gauck wohl nicht passiert."

Das mit Gauck hat gesessen, selbst wenn man zu Wulffs Ehrenrettung anführen muß, daß ihm seine Kritiker etwas in den Mund legen, das er keineswegs gesagt, ja mit seiner Formulierung von unserer "jüdisch-christlichen Geschichte" sogar abgegrenzt hat. Nicht entschieden genug, halten ihm jene Kreise vor, die sich ein Fanal gegen den Islam gewünscht hätten. So nannte der CSU-Politiker Norbert Geis die Rede in der "Bild"-Zeitung mißverständlich: "Wenn der Bundespräsident den Islam in Deutschland mit dem Christentum und dem Judentum gleichsetzen wollte, hielte ich das für falsch." Und der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte dem Blatt: "Zwar ist der Islam inzwischen Teil der Lebenswirklichkeit in Deutschland, aber zu uns gehört die christlich-jüdische Tradition."

Noch deutlicher wurde der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). Wie er dem "Tagesspiegel" sagte, hielte er es für falsch, "den Islam in den Kontext der historischen Werteschöpfung zu stellen". Muslimische Eltern "müssen ihre Kinder im Sinne unserer Werteordnung erziehen. Wenn sie das nicht tun, muß der Staat an ihre Stelle treten - in Gestalt von Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen." An den Stammtischen werde zum Islam sicherlich ganz anders gedacht, hielt sich Kultur-Staatsministerin Cornelia Pieper (FDP) zunächst halbwegs bedeckt. Nach Beratungen des FDP-Präsidiums stellte Generalsekretär Christian Lindner dann aber klar, daß es beim Grundgesetz "keinen Rabatt für religiöse Überzeugungen" gebe. Das Wort "Rabatt" machte sofort parteiübergreifend die Runde, denn CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe forderte ein klares Bekenntnis zur christlichen Tradition und unterstrich, daß es bei der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland "keinen Rabatt geben" dürfe.

"Leitkultur ist die christlich-jüdische, abendländische Kultur. Daß der Islam Teil unserer Kultur ist, diese Interpretation des Bundespräsidenten teile ich nicht", sprach der bayerische CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich zweifellos jenen Unionskollegen der CDU aus der Seele, die ihre Kritik an der Wulff-Rede weniger polternd, aber einig in der Sache vortrugen. "Aus Religionsfreiheit darf nicht Religionsgleichheit werden", verkündete Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), und ihr Parteigenosse Hans-Peter Uhl befand ebenso kurz wie dummdreist: "Grundgesetz geht vor Scharia."

Ellenlang ließen sich mehr oder minder offen islamfeindliche Stellungnahmen aus Politikermund hinzufügen, die seit Wulffs Rede die Mediendebatte dominieren. Das dürfte führenden Kirchenkreisen wohl gefallen, und so warnte denn der Kölner Weihbischof Heiner Koch ebenfalls vor einer intellektuell gleichmacherischen und somit unredlichen Vermengung von Christentum und Islam. Man müsse deutlich herausarbeiten, wofür jeder Glaube stehe, forderte Koch. Dem fügte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hinzu, Wulffs Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, müsse als Aufgabenbeschreibung verstanden werden. Man müsse mit den Muslimen in Deutschland offen darüber diskutieren, welche Gestalt der Islam haben soll, der auf Dauer zu Deutschland gehören könne.

Theologe müßte man sein, mag angesichts solcher Formulierungskünste womöglich selbst Christian Wulff mitunter insgeheim wünschen, denn daß Gauck die Sache perfekt hingekriegt hätte, die Muslime in die Schranken zu weisen und das gleichzeitig als allseitigen Zugewinn an Freiheit, Respekt und Toleranz zu verkaufen, wird ja wohl niemand bezweifeln. So hat denn der amtierende Bundespräsident seine "Integrationsrede", doch daß sie nach all dem Gezeter und Gezerre um seine vagen Andeutungen jemals wie der berüchtigte "Ruck" oder andere Unsäglichkeiten aus dem Munde seiner Vorgänger hinterher zu Sternstunden deutscher Geschichte verklärt werden, dürfte nicht einmal er selbst zu hoffen wagen. Wulff muß endlich "klare Kante" zeigen, würde es Franz Müntefering wohl ausdrücken, der zwar nie Präsident war, aber dennoch einen Spruch hinterlassen hat, der beinahe vergessen läßt, wohin er seine Sozialdemokraten unter solchen Parolen geführt hat. Will Christian Wulff wirklich ein großer deutscher Bundespräsident werden, muß er die Zeichen der Zeit nicht nur erkennen, sondern auch herzhaft zu kommentieren verstehen. Eine geniale Steilvorlage für die islamfeindliche Ideologiebildung und Volksbelehrung, wie sie sich nicht nur seine enttäuschten Parteigenossen von ihm erhofft hatten, war das jedenfalls nicht.

6. Oktober 2010