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KULTUR/0847: Intelligenz des Überlebens ... Verbrauchsartikel mit befristeter Haltbarkeit (SB)



Nicht besonders intelligent sei die Forderung nach einem Intelligenztest für Migranten, wird den Unionspolitikern Peter Trapp und Markus Ferber entgegengehalten, die mit diesem Vorschlag das fremdenfeindliche Ressentiment bedienen. Man scheint sich einig über das Erstrebenswerte der Intelligenz zu sein, nur sollte die Feststellung dieses Kriteriums für kognitive Leistungsfähigkeit diskriminierungsfrei erfolgen.

So weit, so schlecht, will man doch keineswegs eingestehen, daß die Diskriminierung schon mit der Vergleichbarkeit des Menschen als mehr oder weniger intelligent vollzogen wurde. Ohne im einzelnen auf die unterschiedlichen Intelligenzmodelle oder die sozialökonomische, schichtenspezifische, schulische oder erbbiologische Grundlage der Evaluation eingehen zu müssen ist offenkundig, daß es sich bei qualitativen Vergleichen von Menschen um ein Herrschaftsinstrument ersten Ranges handelt. Was mit den verschiedenen Parametern der IQ-Testverfahren bemessen wird, erweist sich anhand der Ergebnisse der damit unterstellten Leistungsfähigkeit als Konstante einer an der Adaption instrumenteller und apparativer Kulturtechniken verifizierten Anpassungsfähigkeit.

Nimmt man etwa das Beispiel jener als hochintelligent geltenden Wirtschaftswissenschaftler, die zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise die Fortsetzung neoliberaler Verwertungslogik predigen, dann drängt sich der Eindruck stupender Dummheit auf. Diese Herren, die jahrelang die Verringerung der Staatsquote, die Deregulierung der Finanzwirtschaft und die Befreiung des Kapitals von allen Lasten sozialer Verantwortung gepredigt haben, waren am allerwenigsten in der Lage, die krisenhafte Entwicklung zu antizipieren. Dies blieb insbesondere kapitalismuskritischen Wissenschaftlern vorbehalten, deren Warnungen ungehört verhallten und ihnen auch noch berufliche Nachteile einbrachten.

Intelligent am Verhalten der Ökonomen, die als Sachwalter der Kapitalmacht fungieren, ist der Einsatz ihrer intellektuellen Möglichkeiten zur Sicherung der eigenen Existenz. Indem sie herrschenden Interessen entsprechen und jeden Gedanken daran unterbinden, daß ihre Expertisen das Leben von Millionen ruinieren können, suchen sie ihr Heil in der Schlauheit der Herde, diejenigen, die nicht mehr mithalten können, den Raubtieren gezielt zum Fraß vorzuwerfen, um den eigenen Fluchtraum zu vergrößern. Dieser endet spätestens dort, wo die Notgemeinschaften nationaler, ethnischer, religiöser, berufständischer oder geschlechtlicher Art gegeneinander antreten oder gänzlich in Partikel atomisierter Vergesellschaftung zerfallen, nachdem die Grundlagen der allgemeinen Reproduktion im Streben nach dem eigenen Vorteil erschöpft wurden. Am Zurückweichen vor dem jeweils größeren Räuber zeigt sich die systemische Blindheit sozialdarwinistischer Intelligenz.

Als ausgesprochen dumm gilt dem auf Überlebenskonkurrenz getrimmten Einzelkämpfer, aus prinzipiellen Gründen allgemeinmenschlicher Art für eine aussichtslos erscheinende Sache einzutreten. Wer Solidarität lebt und nicht nur als Schild vor sich herträgt, kommt an der Konfrontation mit der erdrückenden Ohnmacht derer, die zu "einem geknechteten, gedemütigten, verächtlichen Wesen" (Karl Marx) gemacht wurden, nicht vorbei. Vor- und Nachteil für die persönliche Existenz nicht abzuwägen, wenn man zur Tat schreitet, der Moral nicht zu bedürfen, weil die Unschuld der Herrschenden die Schuld der Beherrschten generiert, entzieht sich jedem Intelligenztest. Die Utopie zu leben, die die Bescheidenheit des zu verkonsumierenden Lehens fremdbestimmter Existenz zu einer solchen erklärt, muß als Ausdruck besonderer Dummheit stigmatisiert werden, ansonsten könnte die Abkehr vom "Rassismus der Intelligenz" respektive "Klassenrassismus" (Pierre Bourdieu) um sich greifen.

29. Juni 2010