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KULTUR/0808: Die formierte Mediendemokratie ... demokratische Streitkultur fällt aus (SB)



In einer Republik, deren Bundeskanzlerin eng mit den zwei mächtigsten Frauen im Mediengeschäft befreundet ist, tun sich dissidente gesellschaftliche Kräfte schwer. Wo Angela Merkel, Friede Springer und Liz Mohn im Dreigestirn von Staat, Springer und Bertelsmann Verfügungsgewalt über die öffentliche Meinung ausüben, wäre es um so mehr Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, denjenigen Stimmen ein Forum zu bieten, die in kommerziellen Medien, wenn überhaupt, dann bestenfalls in stigmatisierender Absicht Erwähnung finden.

Schließlich heißt es im Rundfunkstaatsvertrag unter der Überschrift "Vorschriften für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" in § 11:

"Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. (...) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen."

Da die politischen Talkshows längst die Rolle von Ersatzparlamenten übernommen haben, ist es keineswegs belanglos, wer dort die Möglichkeit erhält, einem Millionenpublikum seine Sicht auf die brennenden Probleme der Gesellschaft mitzuteilen. Wie wenig die Grundsätze einer demokratischen Medienöffentlichkeit dort Berücksichtigung finden, hat der Publizist Walter van Rossum vor fünf Jahren dargelegt, als er "Meine Sonntage mit 'Sabine Christiansen'" in einer immer noch lesenswerten Schrift Revue passieren ließ (siehe INFOPOOL/BUCH/SACHBUCH-REZENSION/219). Zu vermuten, daß sich mit der Ablösung der berühmten PR-Lady durch die ehemalige Sportmoderatorin Anne Will wesentliches an dem damals dargelegten Sachstand geändert hätte, hieße die Notwendigkeit der Widerspruchsregulation in der formierten Mediendemokratie zu ignorieren.

Ein kleiner Eklat zum besonders heißen Thema des Überfalls Israels auf Gaza im Januar 2009 zeigte, daß das, was vielen unter den Nägeln brennt, eher nicht dazu geeignet ist, auch öffentlich diskutiert zu werden. Damals wurde die Planung, zu dieser viele Menschen empörenden Aggression bei Anne Will zu debattieren, kurzfristig umgestoßen und statt dessen das Thema "Freitod" angesetzt. Da den zum ursprünglichen Thema eingeladenen Gästen kurzfristig abgesagt wurde, obwohl sich die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser bereits auf einer mehrtägigen und komplizierten Reise nach Deutschland befand, wirkte die Behauptung der ARD, daß man hier keinesfalls opportunistischen Erwägungen gefolgt sei, nicht eben glaubhaft.

Auch im Fall der migrationspolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, gibt es keine letztliche Gewißheit, ob sie tatsächlich, wie es in einer Presseerklärung der Linken vom 16. Oktober heißt, "mit dem Hinweis auf ihre Mitgliedschaft im Verein 'Rote Hilfe' wieder ausgeladen" wurde. Ihre Teilnahme an einer Sendung, deren Thema im Zusammenhang mit den rassistischen Äußerungen des Bundesbankers Thilo Sarrazin stand, wäre nicht nur aufgrund ihrer türkischen Herkunft, sondern vor allem ihrer emanzipatorischen Position wünschenswert gewesen. Sarrazin hat für seine gegen alle Menschen, die dem neoliberalen Leistungsdenken und der neofeudalen Herrschaftslogik im Zweifelsfall mit ökonomischer und physischer Gewalt unterworfen werden sollen, gerichteten Ausfällen mehr oder minder unverhohlene Zustimmung erhalten. Als Katalysator eines gesellschaftlichen Rechtsrucks hin zu mehr sozialdarwinistischer Auslese und sozialchauvinistischer Verachtung ist Sarrazin allemal ernst zu nehmen, so daß die Ausgrenzung einer Politikerin, die dazu eine eindeutige Gegenposition bezieht, durchaus als dementsprechende Maßnahme gewertet werden könnte.

Mit der zunehmenden sozialen Polarisierung der Gesellschaft und der anwachsenden staatlichen Repression gegen Menschen, die sich der Totalität der Verwertungslogik, ihrer gewaltsamen Durchsetzung in aller Welt und der rassistischen Beurteilung des Menschen nach Maßgabe seiner Tauglichkeit für die Interessen anderer in den Weg stellen, wird auch eine traditionsreiche Solidaritätsorganisation wie die Rote Hilfe immer wichtiger. Daß linke Politiker wegen ihrer Mitgliedschaft bei dieser Organisation angegriffen werden, versteht sich nach Lage des gesellschaftlichen Konflikts von selbst. Das ist kein Makel, sondern ehrt sie in ihrer Standhaftigkeit, wie das Negativbeispiel der Juso-Vorsitzenden Franziska Drohsel zeigt, die aus der Roten Hilfe austreten mußte, um dieses Amt zu bekleiden. Bei der Treffsicherheit politischer Repression gibt es kein Vertun, garantiert die Legalität politischen Handelns doch keineswegs den Verzicht auf herrschaftssichernde Gegenmaßnahmen. So steht nicht nur die radikale, sondern auch die etablierte Linke, also die Partei gleichen Namens, unter geheimdienstlicher Observation.

So täuscht der Rundfunkstaatsvertrag vor allem darüber hinweg, daß die Herstellung demokratischer Öffentlichkeit systematisch unterbunden wird. Allein der Umgang mit einer Partei wie der Linken im Vorfeld der Bundestagswahl hat gezeigt, daß antikommunistischer Furor alle rechtlich gebotene Neutralität des Medienbetriebs in den Schatten herrschender Meinungshegemonie stellt. Obwohl die Linke auf ein Sechstel der abgegebenen Stimmen kam, verfügt sie keinesfalls über eine diese Marge abbildende Repräsentanz in den Medien. Die Ausladung Sevim Dagdelens aus einer Sendung, zu deren Themenstellung sie in besonderer Weise hätte beitragen können, erfolgte denn auch, wie man mutmaßen muß, eben deshalb. Gefragt sind Bundesbürger mit migrantischem Hintergrund offensichtlich nur dann, wenn sie ins Raster einer Integrationspolitik passen, die zu Anpassung an die herrschenden Verhältnisse nötigen und keineswegs demokratische Streitkultur fördern soll.

Diese fällt, zumindest was den in der Presseerklärung der Linksfraktion kritisierten "vorauseilenden Gehorsam" gegenüber dem nicht ausgeladenen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach betrifft, im Anne Will-Blog zur sonntäglichen Sendung aus. Unter den momentan 463 Beiträgen zur Sendung "Keine Chance für Ali und Ayse" finden sich lediglich drei Beiträge, die die Ausladung der Linkenabgeordneten monieren. Auf Zuschauer "heiko1977", der am 16. Oktober als vierter Beitrag des Blogs sein Bedauern über die Entscheidung der Redaktion Ausdruck verleiht, antwortet diese:

"Die Redaktion steht immer mit mehreren Personen für eine Position im Kontakt und entscheidet sich am Ende unabhängig und aus rein konzeptionellen Erwägungen für die jeweilige Zusammensetzung der Talkrunde. Der Vorwurf eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber Herrn Bosbach entbehrt jeder Grundlage."

Kurz darauf konfrontiert ein anderer Zuschauer die Redaktion mit der Presseerklärung der Linksfraktion, was "heiko1977" zu der Nachfrage veranlaßt:

"Dann entspricht es also nicht den Tatsachen das Sevim Dagdelen bereits eingeladen wurde und dann mit der fadenscheinigen Begründung ihrer Zugehörigkeit zum Verein 'Rote Hilfe e.V.' wieder ausgeladen wurde?"

Das beantwortet die Anne Will-Redaktion mit der kategorischen Zurechtweisung:

"Unsere Stellungnahme steht bei Kommentar 4. Mehr ist auf diesen Vorwurf nicht zu sagen und muss auch nicht länger diskutiert werden."

Damit ist die Debatte um die doch so wesentliche Frage, welche Umstände bei der Auswahl der Gäste im Spiel sind, beendet. Daß die Bedingungen, unter denen in öffentlich-rechtlichen Talkshows Politik gemacht wird, dort selbst einmal unter Beteiligung vom demokratischen Diskurs ausgeschlossener Menschen zum Thema erhoben würde, ist nicht zu vermuten.

20. Oktober 2009