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KULTUR/0774: Herfried Münkler als Technokrat der Macht ausgezeichnet (SB)



Mit der diesjährigen Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik haben die Juroren unter Vorsitz des Zeit-Journalisten Ulrich Greiner eine deutliche Stellungnahme für den nach innen wie außen starken Staat abgegeben. Ausgezeichnet wurde mit Herfried Münkler nicht nur sein Werk "Die Deutschen und ihre Mythen", sondern auch ein Autor, der sich als Legitimationsproduzent für neokonservative Politikkonzepte höchster Anerkennung erfreut. So gehört Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenso zu den Politikern, die sich von Münklers Schriften inspirieren lassen, wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der dem Politologen erklärtermaßen "eine Reihe wesentlicher Beiträge zur aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklung" zu verdanken hat. Der ideologische Vordenker der CDU erklärte dies im März 2006 in einer Rede, in der er die These einer neuen Form der Kriegführung, die das staatliche Gewaltmonopol durch irreguläre Akteure erodieren lasse, zum Anlaß nahm, den geheimen Sicherheitsstaat zu propagieren, seien doch "nachrichtendienstliche Information das wichtigste Instrument, um Sicherheit gewährleisten zu können".

Wie man weiß, befördern die von Merkel und Schäuble propagierte Auflösung der Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sicherheit sowie die angeblich neue Realität der Kriegführung einen schleichenden Wandel im staatspolitischen Selbstverständnis, mit dem die verfassungsrechtlichen Grundlagen zusehends durch angebliche Sachzwänge sicherheitspolitischer Art ausgehöhlt werden. Münkler bietet dieser Entwicklung als Theoretiker der asymmetrischen Kriegführung, der Entstaatlichung der Kriege und eines positiv verstandenen Imperiumsbegriffs akademische Rückendeckung. Wenn Münkler in seinem mehrfach aufgelegten Buch "Die neuen Kriege" behauptet, daß kaum "eine der beteiligten Seiten klar und präzise angeben könne, welche Zwecke und Ziele mit den kriegerischen Mitteln verfolgt werden", um zu dem Schluß zu gelangen: "Die neuen Kriege führen sich selbst, und die an ihnen Beteiligten werden geführt", dann unterschlägt er das vitale Interesse aggressiver Akteure an der Durchsetzung geostrategischer Kontrolle wie das Recht betroffener Menschen, sich gegen imperialistische Übergriffe zur Wehr zu setzen.

Tatsächlich ist es mit der Entstaatlichung des Krieges und einer nicht auszumachenden Verantwortung für die dabei entfachte Gewalt nicht weit her, wie Münkler an anderer Stelle erkennen läßt. Das von ihm unter dem Titel "Das imperiale Europa" geführte Plädoyer für die Stärkung der EU durch suprastaatliche Machtkonzentration läßt sich ohne staatlich organisierte Akteure nicht verwirklichen:

"Im Gefolge der ökonomischen Imperialismustheorien haben wir uns daran gewöhnt, Imperien mit Unterdrückung und Ausbeutung zu identifizieren. Genauso lassen sich Imperien aber auch als Friedensgaranten, Aufseher über politische und kulturelle Werte und Absicherer grossräumiger Handelsbeziehungen und Wirtschaftsstrukturen begreifen."
(Die Welt, 29. Oktober 2004)

Münkler vertritt gewissermaßen die europäische Variante der neokonservativen Doktrin, mit der die ehemalige US-Regierung unter George W. Bush den Anspruch begründete, als globale Ordnungsmacht überall dort politisch und militärisch zu intervenieren, wo die Maßgaben des eigenen Zivilisations- und Gesellschaftsmodells nicht befolgt werden. Davon kündet auch die von dem Berliner Politikwissenschaftler vertretene Auffassung, daß Atomwaffen aus realpolitischen Gründen unverzichtbar seien, auch weil man sie Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unbedingt vorenthalten müsse. Selbst gegenüber Jihadisten, die über keinen eigenen Staat verfügen, wäre die Androhung atomarer Vergeltung effizient, nämlich dann, "wenn ein Angreifer damit rechnen muss, dass der Angegriffene nuklear zurückschlägt und nicht nur ihn, sondern Tausende Unschuldige töten wird" (Spiegel-Online, 25.06.2008). Da die Substanz dieser Androhung mit der Bereitschaft zu kriegerischer Grausamkeit steht und fällt, bleibt der atomare Erstschlag auch gegen nichtatomar bewaffnete Staaten Ultima ratio imperialer Kriegführung.

Nun geht es in dem auf der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Werk nur indirekt um Fragen geostrategischer und machtpolitischer Durchsetzung. Doch auch das in "Die Deutschen und ihre Mythen" von Münkler behauptete Versäumnis, die Nation habe beim Mauerfall vor 20 Jahren die "Chance vertan, die mehrwöchigen Proteste der Bevölkerung gegen das DDR-Regime symbolpolitisch herauszustellen", so daß die "gründungsmythische Neufundierung der Republik" gescheitert sei, besitzt für die Kritiker des Anschlusses der DDR an die BRD eher auf gegenteilige Weise Gültigkeit. Die Glorifizierung des Mauerfalls als Befreiungsschlag gegen ein unterdrückerisches Regime frönt einem opportunistischen Liberalismus, der die damit einhergehende Diskreditierung nicht nur an der DDR orientierter Linker und damit der sozialen Frage überhaupt erfolgreich gegen jeden Versuch instrumentalisiert, eine sozialistische Gesellschaftsveränderung anzustreben.

Herfried Münkler ist keineswegs ein platter Nationalist. Die Bindekräfte politischer Mythen beschwört er auf eher subtile Weise, indem er ihren Wandel an den Erfordernissen der jeweiligen geschichtlichen Epoche festmacht und nicht an einem quasi naturwüchsigen Nationalbewußtsein. Der Politikwissenschaftler scheint sich eher als eine Art Technokrat der Macht zu verstehen, wenn er nach kollektiver Sinnstiftung ruft, um gesellschaftliche Kohäsion und damit unausgesprochen Ausgrenzungsprozesse zu initiieren. Die von ihm propagierte Notwendigkeit sogenannter "Großerzählungen, die Zutrauen und Mut erzeugen und politische Reformen begleiten und absichern können", leisten irrationalen Kampagnen Vorschub, die keineswegs alle Menschen gleichermaßen begünstigende Wirkungen haben müssen. Münkler ist als Experte für den italienischen Staatstheoretiker Niccolò Machiavelli und für imperiale Weltordnungen zu sehr von der Notwendigkeit starker Führung und Doktrin überzeugt, als daß er einem emanzipatorischen Demokratieverständnis den Zuschlag geben könnte, mit dem die Grundlagen des herrschenden kapitalistischen Systems zur Disposition gestellt werden könnten.

Die Mythen der Deutschen in einem geschichtsträchtigen Gedenkjahr wie 2009 zu beschwören und als zwar kontingent, aber unverzichtbar darzustellen dürfte in den Augen der Juroren der Leipziger Buchmesse nicht nur preiswürdig gewesen sein, weil Münkler ein interessantes Sachbuch verfaßt hat. Gerade Leipzig gilt als Ausgangspunkt einer sogenannten Revolution, deren antikommunistische Grundströmung schon bald hegemonial werden sollte, um einem Vereinigungspathos Platz zu machen, mit dem nicht mehr "Wir sind das Volk", sondern "Wir sind ein Volk" intoniert wurde. 20 Jahre später ist von dem plebejischen Impuls der originären Parole, geschweige denn dem Anspruch auf einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, nichts mehr übrig geblieben.

Im Osten grassiert die Arbeitslosigkeit, die Landschaften blühen vor allem deshalb, weil die Volkswirtschaft der DDR im Interesse des BRD-Kapitals auch dort abgewickelt wurde, wo man sie bei weniger marktradikalem Vorpreschen auf das verlangte produktive Niveau hätte bringen können, die kapitalistische Leitdoktrin wird desto massiver bekräftigt, je mehr sie von der gesellschaftlichen Realität widerlegt wird, und als weltpolitischer Akteur frönt die Republik imperialen Ambitionen, die die Res publica zielsicher in eine exklusive Angelegenheit der Kapital- und Funktionseliten verwandelt. Wenn dieses Land einen neuen Gründungsmythos braucht, dann jedenfalls keinen aus dem propagandistischen Arsenal der kapitalistischen Weltordnung und ihrer intellektuellen Herolde.

13. März 2009