Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0767: Wochenzeitung "der Freitag" hält Kurs auf Konformität (SB)



Man kann Jakob Augstein, dem neuen Verleger des Freitag, nicht vorwerfen, die Leser der Wochenzeitung im Unklaren gelassen zu haben. Das Schiff, das seiner Ansicht nach "manchmal ganz schön weit draußen" auf dem Ozean gefährlicher linker Überzeugungen segelte, kreuzt nun "wieder in Sichtweite der Küste" (Welt Online, 29.12.2008) und hält offensichtlich Kurs auf den sicheren Hafen des kommerziellen Erfolgs. Das erstmals im neuen Format und Gewand vorliegende Blatt tritt schon auf den ersten Blick als deutsche Version des Guardian in Erscheinung. Indem Augstein eine Kooperation mit dieser renommierten liberalen Tageszeitung einging, hat er zweifellos den Grundstein für eine Vervielfachung der Leserschaft dieses kleinen, aber feinen Forums für linksintellektuelle Autoren und Redakteure gelegt.

Er hat damit aber auch das ohnehin schmale Feld jener Zeitungen, die dem Opportunismus liberaler Beliebigkeit mit dem Mut zur Streitbarkeit entgegentreten und denen die Sichtbarkeit konzentrierten Lesestoffs wichtiger ist als die Aufmerksamkeitsbindung durch visuelle Anreize, um einen wichtigen Exponenten ärmer gemacht. Wer den Guardian kennt, weiß, daß die britische Tageszeitung gut gemachten Journalismus und interessante Themen präsentiert, ja mitunter Meinungen von Gastautoren und Politikern zuläßt, die in vergleichbaren deutschen Tageszeitungen tabu wären. Dennoch haben die programmatische Pluralität und Liberalität zur Folge, daß der Guardian unter dem denkbar weit gespannten, da im Grunde genommen von zwei unvereinbaren Gegensätzen markierten Kompositum "linksliberal" jede politisch ernstzunehmende Streitbarkeit missen läßt.

Das gilt, zumindest was die erste Ausgabe nach dem Relaunch betrifft, auch für das neue "Meinungsmedium". Wo zuvor der Untertitel "Die Ost-West-Wochenzeitung" gleichermaßen auf die Entstehungsgeschichte wie inhaltliche Tradition des Freitag verwies, muß heute annonciert werden, daß man über keine Position, sondern nur über Meinungen verfügt. Diese spiegeln sich in einer bunte Mischung aus angesagten Themen, deren politische Ausrichtung auch der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Rundschau zupaß käme. Auf keiner Seite fehlt der farbige, bisweilen großformatige Blickfang, der den Text vom Mittelpunkt des zentralen Interesses in die Peripherie der notgedrungenen Erledigung verlagert.

Wieviel Raum den Werbeeinnahmen in einem kommerziell erfolgreichen Freitag zugedacht werden soll, belegt eine einseitige Anzeige für die Heftreihe Spiegel Geschichte. Daß im Freitag nun auch für Produkte des vom Vater des Verlegers gegründeten Spiegel-Verlags geworben wird, verheißt nichts Gutes, hat sich das ehemalige Sturmgeschütz der Demokratie doch längst in einen Flugzeugträger verwandelt, von dem aus neokonservative Kreuzzüge geführt werden.

Wer den Freitag über Jahre gelesen hat, wird bemerken, daß sich hinter der thematischen Breite des reformierten Blattes klaffende Lücken auftun. So wurde zuvor regelmäßig den publizistischen Mainstream mit kritischen Anmerkungen zur Geschichtspolitik der BRD konterkarierende Aufklärung zur DDR und den sie überlebt habenden Ostdeutschen geleistet. Reportagen und Analysen zum Stand der Dinge in Osteuropa regten ebenso zur Lektüre des Freitags an wie Debatten aus der linken Theorieproduktion und Stellungnahmen gegen Krieg und Kapitalismus. Zwar konnte man nicht die Radikalität der marxistischen oder antiimperialistischen Linken erwarten, doch die Interventionen dort häufig anzutreffender Autoren wie Raul Zelik, Jürgen Rose, Otto Köhler und Daniela Dahn, um nur einige zu nennen, waren von erfrischender Respektlosigkeit.

Auch die Abwesenheit jeglicher entschiedenen Stellungnahme zum Nahostkonflikt wiegt so kurz nach den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen und vor der Wahl in Israel schwer. Wenn man statt dessen in der Feuilleton-Auslese gleich zwei Beiträge aus der Achse des Guten vorfindet, davon einer von Henryk Broder verfaßt, dann kann einen schon der Verdacht beschleichen, daß Auswahl und Gewichtung der politischen Themen eine grundlegende politische Umsteuerung des Blattes ankündigen.

Da das Feld der deutschen Wochenzeitungen inzwischen sehr ausgedünnt ist, wird die Verwandlung des Freitag von einem kleinen Nischenprodukt für ein sozial engagiertes und gesellschaftskritisches Publikum in einen deutschsprachigen Klon des Guardian sicherlich für eine Steigerung der Auflage und Abonnentenzahl sorgen. Denjenigen Lesern, die sich in der neuen Beliebigkeit nicht mehr zuhause fühlen, sei der ermutigende Abschiedsgruß der Verfasser des kleinen satirischen Zwischentons Ultimo, der mit dem Ende des alten Freitag abgeschafft wurde, ans Herz gelegt: "Bleiben Sie schön aufsässig".

6. Februar 2009