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REPRESSION/1627: Rote Hilfe - Verbotsgefahr im Verzug ... (SB)



Die Kriminalisierung effizient arbeitender Strukturen linken Widerstandes ist reguläre Praxis jeder Regierung, die ihren Verfassungsauftrag nicht nur normativ begreift, sondern qualitativ zur Durchsetzung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vollzieht. Am Umgang mit außerparlamentarischen und basisdemokratischen Organisationen, die die Imperative vorherrschender Formen von Ausbeutung und Unterdrückung bekämpfen, ist der Stand der gesellschaftlichen Entwicklung und Erosion demokratischer Institutionen gut zu erkennen. Bedient wird nicht nur die Notwendigkeit des Aufbaus von Feindbildern, die für krisenbedingte Störungen des gesellschaftlichen Friedens verantwortlich gemacht werden können, sondern die Staatsgewalt wird konkret gegen diejenigen in Stellung gebracht, die die Lösung gesellschaftlicher Probleme in der Überwindung konstitutiver Widerspruchslagen erkennen.

Den darin hervortretenden Primat einer Staatsräson, die vorgibt, zum Wohle aller Menschen zu handeln, aber offenkundig klassengesellschaftliche Partikularinteressen vertritt, zum Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen zu machen scheint auszureichen, um Anlaß für Vereinsverbote oder die Anwendung des Vereinigungsstrafrechtes gegen politische AktivistInnen zu geben. Das Verbot der linken Informationsplattform Indymedia linksunten im August 2017 ist ein signifikanter Beleg dafür, daß freies, vor Strafverfolgung durch Anonymität geschütztes Diskutieren in der Bundesrepublik die Grenzen des für legal befundenen demokratischen Diskurses bereits überschreitet. Nur wenige Wochen nach den G20-Protesten in Hamburg und zwei Monate vor dem Weltklimagipfel in Bonn sollte der Formierung sozialen und außerparlamentarischen Widerstandes ein Riegel vorgeschoben werden.

Nun scheint einmal mehr die Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe im Visier des Staatsschutzes zu stehen. Zwar wurde die laut dem Nachrichtenmagazin Focus vom Bundesinnenministerium ausgehende Forderung eines Verbots des eingetragenen Vereins bislang dort nicht bestätigt, doch das sollte angesichts der auf breiter Front anwachsenden Aufrüstung staatlicher Vollzugsgewalt insbesondere gegen linke AktivistInnen kein Grund zur Entwarnung sein. Während die neurechte Hegemonie in Gestalt der Unionsparteien, die sich immer unverhohlener die ideologischen Positionen der AfD zu eigen machen, zementiert wird und der restaurative Tonfall in den Massenmedien kaum noch auf kritische Einwände stößt, schafft die Neuauflage der Polizeigesetze der Länder die Grundlagen für den praktischen Vollzug exekutiver Gesinnungskontrolle. Während der Bevölkerung im Fernsehen mit Stasi-Schmonzetten und Berichten über autoritäre Entwicklungen in aller Welt suggeriert wird, in einem Hort der Freiheit zu leben, werden mit der strafrechtlichen Verfolgung der türkischen und kurdischen Exilopposition und Verbotsforderungen wie derjenigen gegen die Rote Hilfe Tatsachen politischer Repression geschaffen, die sich nach der extremismusideologischen Gleichung Links gleich Rechts schon deshalb rechnen, weil der erstarkenden Neuen Rechten auf nicht annähernd vergleichbare Weise zu Leibe gerückt wird.

So wurde den zahlreichen Indizien für eine behördliche Verwicklung in die NSU-Morde wie in den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor zwei Jahren ermittlungstechnisch nur sehr bedingt Rechnung getragen, und die Verdachtsmomente, die die Existenz einer im Ernstfall eigenmächtig intervenierenden Gruppe innerhalb der Bundeswehr nahelegen, verlaufen im Sand. Im Krisenmanagement eines Staates, dessen Verfassung durch den darin vorgesehenen Ausnahmezustand über Existenzgarantien für diejenigen verfügt, die über die exekutive Gewalt gebieten und dieses Mandat im Zweifelsfall auch auf antidemokratische Weise sichern wollen, scheint derartigen Strukturen der funktionale Rang einer Art Einsatzreserve zuzukommen. Wäre es nicht so, dann würde der Möglichkeit des Vorhandenseins von Umsturzpotentialen im Apparat mit weit größerem Nachdruck auf den Grund gegangen, als es bislang der Fall ist.

Mit dem scharfen Schwert der Verbotsforderung auf linke Strukturen loszugehen, die beim erreichten Stand auf Rassismus und Sozialchauvinismus geeichter Feindseligkeit weit davon entfernt sind, politischen Einfluß auf breiter Ebene zu entfalten, erklärt sich mithin aus der Eskalation krisenhafter Entwicklungen selbst. Wie die militanten Proteste der sogenannten Gelbwesten in Frankreich zeigen, ist jederzeit mit einem sozialen Aufbegehren zu rechnen, das in seiner politischen Gewichtung kaum einzuschätzen und dementsprechend schwer einzubinden ist. Bürgerproteste gegen technische Großanlagen greifen ebenso in Staatsziele ein wie sozialökologischer Basiswiderstand, der sich gegen die weitere Naturzerstörung richtet. Forderungen nach Klimagerechtigkeit kommen einer Bundesregierung, die in der innerimperialistischen Staatenkonkurrenz keinen Marktnachteil hinnehmen will, ebenfalls ungelegen. Nicht immer funktioniert die Strategie des Teilens und Herrschens, wie sich in den Kämpfen um den Hambacher Forst gezeigt hat, auf Anhieb, so daß stets mit einer Kriminalisierung von Teilen der Bewegung zu rechnen ist.

Haben sich strömungsübergreifende Strukturen der außerparlamentarischen Linken wie Indymedia linksunten und die Rote Hilfe einmal bewährt, dann geht von ihnen ein Potential an Mobilisierung und Solidarisierung aus, das auch den Zielen eines noch so grün gewandeten Kapitalismus gefährlich werden könnte. Um die anhaltende Verfolgung von G20-AktivistInnen aufzuhalten, sind Diskussions- und Rechtshilfestrukturen ebenso bedeutsam wie zur Organisation sozialen Widerstandes gegen die autoritäre Entwicklung von rechts und sozialökologischer Kämpfe. Je mehr konkreter Handlungsbedarf für Menschen besteht, die nicht gewillt sind, den Marsch in die neue und vielleicht finale Barbarei hinzunehmen, desto strategischer scheinen staatliche Behörden bei der Ausschaltung derartiger Unterstützungsstrukturen vorzugehen. Die Gesellschaft vor denjenigen zu schützen, die am ehesten in der Lage wären, den behaupteten Frieden zu verwirklichen, könnte dementsprechend heißen, daß in den Zentralen administrativer Verfügungsgewalt von nichts anderem als Krieg ausgegangen wird.

3. Dezember 2018


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