Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1622: Berlin - an den Feind verkauft ... (SB)



Mehr Duckmäusertum dieser Regierung vor Erdogan geht eigentlich nicht mehr. Diese Abschiebung muss verhindert werden!
Bernd Riexinger auf Twitter zum Umgang mit Adil Yigit [1]

"Mitglieder von Fetö und PKK haben alles getan, um diesen Besuch zu sabotieren. Da gab es einen Flegel, einen Lump, der die Pressekonferenz mit der Kanzlerin und mir stören wollte. Die deutsche Polizei hat ihn gepackt und rausgeschmissen. Es liegt sowieso auf der Hand, wessen Gehilfe er ist, das muss man nicht noch sagen." [2] Dies sagte Recep Tayyip Erdogan in einer Rede vor Abgeordneten der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara am 2. Oktober, nur wenige Tage nach seinem Deutschlandbesuch. Der türkische Präsident hat Adil Yigit nicht vergessen und schon gar nicht vergeben, seitdem dieser während der gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt Ende September zum Zeichen des Protests ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "Gazetecilere Özgürlük - Freiheit für Journalisten in der Türkei" trug. Als diese Aktion wahrgenommen wurde, griffen deutsche Sicherheitskräfte ein und brachten Yigit aus dem Saal. Nachdem ihm zunächst zugesagt worden war, er könne nach Ausziehen des T-Shirts wieder in den Raum zurückkehren, wurde ihm dies mit der Begründung, man könne ihn nicht vor Angriffen der Schergen Erdogans schützen, grundsätzlich verwehrt.

Ertugrul Adil Yigit, einst Mitglied der marxistischen Organisation Devrimci Sol, war Anfang der 1980er Jahre als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Der 60jährige Journalist und Kritiker der türkischen Regierung lebt in Hamburg, betreibt die Website Avrupa Postasi und schreibt als Kolumnist für die taz. Da er als türkischer Oppositioneller bei früheren Pressekonferenzen mit Erdogan in Deutschland nie das Wort erteilt bekommen hatte, nahm er es sich mit seiner Aktion im Kanzleramt vor den Augen Angela Merkels und Recep Tayyip Erdogons selbst. Weil er damit zum Ausdruck brachte, was alle im Saal anwesenden Vertreter aus Politik und Medien wußten, aber nicht ansprachen, geriet seine Initiative zum Eklat.

Daß er als unbequemer Kritiker mit dieser mutigen Aktion ein großes persönliches Risiko einging, war ihm bewußt. "Natürlich fürchte ich mich, wenn ich abgeschoben werde", sagte er. "In der Türkei werden Journalisten zum Schweigen gebracht." In einem Interview mit der Zeit berichtete er Ende September, daß er für seine Aktion viele Glückwünsche, aber auch Drohungen aus der Türkei bekommen habe. Facebook-Nutzer schrieben ihm, er sei ein Agent der Deutschen, und die wüsten Beschimpfungen nähmen ständig zu.

Regierungssprecher Steffen Seibert hatte das Vorgehen der Ordner während der Pressekonferenz im September verteidigt. "Wir halten es bei Pressekonferenzen im Kanzleramt wie der Deutsche Bundestag: keine Demonstrationen oder Kundgebungen politischer Anliegen", schrieb er damals auf Twitter. "Das gilt völlig unabhängig davon, ob es sich um ein berechtigtes Anliegen handelt oder nicht." Wie fadenscheinig diese vorgebliche Neutralität angesichts der gezielten Ausgrenzung unerwünschter Meinungsäußerungen ist, unterstreicht nun der Umgang der Ausländerbehörde mit Adil Yigit.

Wie es in einem Ausweisungsbescheid des Bezirksamts Hamburg-Mitte vom 22. Oktober, Fachbereich Ausländerangelegenheiten, heißt, müsse Yigit zum 22. Januar 2019 ausgereist sein oder er werde auf eigene Kosten abgeschoben. Als Gründe für die Ausweisung geben die Mitarbeiter der Behörde an, daß er nicht erwerbstätig sei und die "familiäre Lebensgemeinschaft" mit seinen deutschen Kindern nicht mehr bestehe. "Das hängt zusammen, anders kann es gar nicht sein", zieht Yigit, der nach eigenen Angaben seit 36 Jahren in Deutschland lebt, die naheliegende Verbindung zu seiner weithin registrierten Aktion bei der Pressekonferenz. Er werde mit einem Anwalt rechtliche Schritte gegen diese Entscheidung der Behörde einleiten.

Nach mehreren Verlängerungen seiner Aufenthaltsgenehmigung habe er schon im vergangenen Jahr einen ähnlichen Bescheid bekommen. Damals habe ihm der Leiter der Hamburger Ausländerbehörde versprochen, man werde schon eine Lösung finden, so Yigit. Noch vor wenigen Wochen habe ihm die Ausländerbehörde Hamburg mitgeteilt, sie wolle das Verfahren solange ruhen lassen, bis er die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen habe. Nun werde nur einen Monat nach seiner Protestaktion im Kanzleramt die Verlängerung seines Aufenthaltstitels abgelehnt. [3]

Man kann wohl davon ausgehen, daß die deutschen Behörden jeden Zusammenhang zwischen Yigits Aktion auf der Pressekonferenz im Kanzleramt und dem Ausweisungsbescheid bestreiten werden. Doch selbst wenn man den Bruch offenbar gegebener Zusagen außer acht ließe und von einem unabhängigen Verwaltungsakt des Bezirksamts ausginge, müßte sich angesichts der akuten Gefährdung des seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Journalisten im Falle einer Abschiebung in die Türkei deren Durchführung von selbst verbieten. Wie es unter der AKP-Regierung um die Pressefreiheit und den Umgang mit kritischen Medienvertretern bestellt ist, sollte schließlich auch hierzulande bekannt sein.

Die sukzessive Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei begann bereits vor 15 Jahren und hat seither derart zugenommen, daß man heute von einer fast vollständigen Gleichschaltung der Medien sprechen muß. Nach Angaben des Justizministeriums mußten zwischen 2003 und 2016 insgesamt 11.000 Journalistinnen und Journalisten vor Gericht erscheinen, wobei die Angeklagten in etwa der Hälfte der Fälle zumindest zeitweise ins Gefängnis wanderten. Zudem wurden allein zwischen 2013 und 2016 36.000 Presseausweise nicht mehr erneuert, was journalistische Arbeit in Gebieten faktisch unmöglich macht, die von Polizei, Gendarmerie und Militär kontrolliert werden.

Die Lage verschärfte sich nach dem gesteuerten Putschversuch vom 15. Juli 2016 dramatisch, da seither Zehntausende angebliche Staatsfeinde, darunter auch zahlreiche Journalisten, festgenommen und viele Medienhäuser geschlossen oder auf Regierungslinie gebracht wurden. Die wahlweise Bezichtigung, Fetö anzugehören, also der Bewegung um Fethullah Gülen nahezustehen, oder "Terrorunterstützer" zu sein, wird unter dem Präsidialregime als Universalwerkzeug der Repression zur Anwendung gebracht. Journalistinnen und Journalisten, die offen Kritik an der Regierung üben oder sich auch nur deren Direktiven verweigern, werden in ihrer Arbeit massiv behindert, im Internet bloßgestellt, entlassen oder kriminalisiert. [4]

Nach Angaben des "Stockholm Center for Freedom" (SCF) befinden sich immer noch 168 Journalisten im Gefängnis, gegen weitere 147 liegt ein Haftbefehl vor, wobei 85 Prozent der inhaftierten Reporter erst nach dem Putschversuch festgenommen wurden. Zudem sind seither 189 Medienunternehmen geschlossen worden. Aus den genannten Gründen haben nach Angaben der Türkischen Journalistenvereinigung (TGC) etwa 30 Prozent dieser Berufsgruppe ihren Job verloren. Wären schon Einzelfälle der Diskreditierung und Verfolgung oppositioneller Medienvertreter nicht hinnehmbar, so muß man hier wie in anderen Sektoren der türkischen Gesellschaft von einer Schneise der Verwüstung sprechen, die das Regime durch die Reihen jeglichen tatsächlichen oder potentiellen Widerspruchs im Land geschlagen hat.

Damit nicht genug, sind bekanntlich auch ausländische Journalistinnen und Journalisten in der Türkei von Verfolgung und Inhaftierung bedroht, wobei Erdogan stets eine Reihe politischer Gefangener aus Deutschland in Geiselhaft hält, um sie als Faustpfand für Gegenleistungen der Bundesregierung einsetzen zu können. Zudem beschränkt sich die AKP-Regierung nicht auf die Drangsalierung kritischer Stimmen im eigenen Land, sondern baut ihren langen Arm nach Westeuropa und insbesondere nach Deutschland aus, dessen bedeutender türkischstämmiger Bevölkerungsanteil zur politischen Hausmacht Erdogans gehört. Wenn Präsident und Außenminister der Türkei bei ihrem Deutschlandbesuch mit dem Wolfsgruß begrüßt werden und diesen erwidern, wenn die von der AKP finanzierten "Osmanen Germania" mit bewaffneten Aktionen gegen Kurden beauftragt werden, wenn der türkische Geheimdienst in der Bundesrepublik gegen Oppositionelle vorgeht, wenn die türkische Mafia als Sicherheitspersonal Erdogans teilweise ungehindert vor den Augen der Polizei tätig wird, sollte es höchste Zeit sein, kritische Geister wie Adil Yigit in Deutschland zu schützen, keinesfalls aber in türkische Folterhaft zu schicken.

Daß deutsche und türkische Behörden im Bereich des Staatsschutzes seit Jahrzehnten eng zusammenarbeiten, um türkische und kurdische Linke hierzulande nach Paragraph 129 b zu verurteilen und zu inhaftieren, ist bekannt. Die Bundesregierung weiß genau, womit sie es bei dem Regime Erdogans zu tun hat, und kooperiert mit Ankara im Kontext ihrer Interessen an der Türkei. [5] Wenn Adil Yigit in diesem Zusammenwirken nicht mehr als ein Bauernopfer ist, das man Erdogan nebenbei zum Fraß vorwirft, sollte das deutschen Medienvertretern wie auch anderen Menschen zu denken geben, die Meinungs- und Pressefreiheit hier wie dort allen Nackenschlägen zum Trotz noch nicht abgeschrieben haben.


Fußnoten:

[1] www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Ertugru-Adil-Yigit-Erdogan-Kritiker-muss-bis-Januar-das-Land-verlassen

[2] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_84688752/nach-eklat-bei-staatsbesuch-erdogan-kritiker-droht-die-abschiebung.html

[3] www.tagesschau.de/inland/ausweisung-kritiker-erdogan-101.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/340667.pressefreiheit-in-der-türkei-berichten-nach-erdogans-gnaden.html

[5] www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1502.html

29. Oktober 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang