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REPRESSION/1580: Bilaterales Krisenmanagement in Ankara und Berlin (SB)



Die Türkei habe nichts mehr von einem Rechtsstaat, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas vor einer Woche. Warum seine Behörde dennoch Strafverfahren in der Bundesrepublik gegen linke Oppositionelle, die von der Regierung in Ankara politisch verfolgt werden, nach dem Vereinigungsstrafrecht 129 b gutheißt, weiß er allein. Die Anwendung dieses gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten gerichteten Paragraphen, dessen Anwendung keinerlei Inlandsbezug der ihnen zur Last gelegten Delikte haben muß, steht unter Vorbehalt seines Ministeriums. Da des einen Terrorist des anderen Freiheitskämpfer ist und diese Zuschreibung je nach geostrategischer Lage vom einen ins andere Extrem wechseln kann, will sich die Bundesregierung eventuelle diplomatische Verstrickungen vom Leib halten und unterwirft den vor allem die Gesinnung der Betroffenen abstrafenden 129 b der jeweiligen außenpolitischen Manöverlage. Wie die Türkei vom engen NATO- und Wirtschaftspartner zur nicht mehr rechtsstaatlichen Autokratie mutieren kann, so können sich auch syrische Oppositionelle, die Al Quaida nahestehen, urplötzlich in befreundete Rebellen verwandeln, wenn es der gegen die syrische Regierung gerichteten Strategie dient.

Kurz gesagt, für repressive Handlangerdienste an die Adresse der AKP-Regierung in Ankara wie die strafrechtliche Verfolgung aus der Türkei stammender Linker in Deutschland, die sich nichts anderes zu Schulden haben kommen lassen wie etwa das Verteilen von Zeitungen, das Sammeln von Geld oder andere auf die politische Arbeit ihrer Organisation bezogene Tätigkeiten, gibt es keine normative, sondern lediglich eine macht- und hegemonialpolitische Begründung. In diesen Strafprozessen wird zudem auf Beweismaterial zurückgegriffen, das von türkischen Gewaltorganen polizeilicher und geheimdienstlicher Art stammt. So begeben sich deutsche Staatsschutzsenate damit in Handlungseinheit mit der politischen Justiz eines Staates, dessen Streitkräfte ganze Städte der kurdischen Minderheit im Südosten des Landes zerstören und der den dagegen gerichteten Widerstand unter dem Vorwand, es handle sich um Terrorismus, kriminalisiert.

Diese Kumpanei zwischen dem deutschen Imperialismus, der auf diese Weise seine geostrategischen Interessen im Mittleren Osten sichert, und dem neoosmanischen Imperator Recep Tayyip Erdogan macht das ohnehin höchst fragwürdige Korsett einer angeblich werteorientierten Außenpolitik noch fadenscheiniger, als es ohnehin schon ist. Dem Machthaber in Ankara fällt es um so leichter, die Bundesregierung anhand ihrer eigenen unaufgelösten Widersprüche vor sich herzutreiben. Die nun erfolgte Einbestellung des deutschen Botschafters zeigt denn auch, wie sich halbgare Offensiven wie die des Bundesjustizministers mit doppelter Wucht an den Absender zurückschicken lassen. Bei einer großen Demonstration in Köln, zu der zahlreiche kurdische Verbände aufgerufen haben, sei Terrorpropaganda betrieben worden, mußte sich der Diplomat in Ankara anhören. Die Bundesregierung gehe im Kampf gegen den Terrorismus mit zweierlei Maß vor, wenn sie nicht verhindere, daß in Deutschland verbotene Symbole kurdischer Organisationen wie Plakate mit dem Gesicht Abdullah Öcalans gezeigt und eine Stellungnahme des in türkischer Isolationshaft sitzenden PKK-Chefs verlesen würden.

Seit das Bundesinnenministerium den Katalog der verbotenen Symbole kurdischer Organisationen stark erweitert hat, wurde auch die Kriminalisierung in Deutschland lebender Kurdinnen und Kurden verschärft. Dieses Zugeständnis erfolgte, obwohl und gerade weil sich das politische Zerwürfnis zwischen Berlin und Ankara bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Krise befand. Der Kurdenkonflikt wiederum ist verwurzelt in der nationalstaatlichen Entwicklung der Türkei, zu der sich die Bundesregierung auf weiter polarisierende anstatt deeskalierende Weise positioniert. Dabei sollte dieser innere Konflikt für sie nur insofern von Belang sein, als es gilt, Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen und türkischen Minderheit in der Bundesrepublik zu vermeiden. Indem die AKP-Regierung verlangt, die bislang erfolgte Kriminalisierung ihrer Gegner in Deutschland mit der ihr eigenen Härte zu vollziehen, bringt sie sich in die Position des rechtsstaatlichen Vollstreckers, während die Bundesregierung so erscheint, als manövriere sie am Rande der von ihr selbst gezogenen Grenzen politischer Legalität.

Objektiv sorgt die Bundesregierung mit der politischen Verfolgung türkischer und kurdischer Linker dafür, daß die Zahl politischer Gefangener in der Türkei wie auch hierzulande steigt. Ihre Sorge um die in der Türkei in Haft befindlichen Bundesbürgerinnen und -bürger erscheint da wenig glaubwürdig. Um so mehr erweist sich die Distanz, auf die Politikerinnen und Politiker aller Parteien in der Endphase des Bundestagswahlkampfes zur türkischen Regierung gehen, als opportunistische Farce. In der politischen Verfolgung der linken Opposition und des Aufbaus autoritärer Staatlichkeit ist man sich weit näher, als das Pochen auf die europäische Wertegemeinschaft in Berlin erscheinen läßt. Die politischen Notwendigkeiten in Ankara und Berlin ergänzen sich auf komplementäre Weise zu einem bilateralen Krisenmanagement, dessen Reibungsverluste aus Menschen bestehen, die in den Maschinerien der Gesinnungsjustiz zermahlen werden. Hat sich erst einmal ein neuer Modus vivendi etabliert, dann besiegeln die vermeintlichen Kontrahenten vor dem Altar, auf dem die politische Opposition der Staatsräson geopfert wird, einmal mehr, daß die Unterdrückung des sozialen Widerstands allen anderen herrschaftstechnischen Handlungserfordernissen vorausgeht.

17. September 2017


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