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REPRESSION/1563: Flüchtlingselend in Griechenland - Regime der EU (SB)



In Griechenland sitzen mehr als 62.000 Flüchtlinge fest, knapp 16.000 von ihnen auf den Inseln Lesbos, Leros, Samos, Kos und Chios, die im Rahmen des europäisch-türkischen Flüchtlingspakts zurück in die Türkei geschickt werden sollen. Deren Lage ist verzweifelt: Auf tage- und nächtelange Kälte mit hohem Schnee folgte Tauwetter mit Regen und Schlamm. Tausende Menschen, darunter Kleinkinder, Schwangere und Traumatisierte, leben in dünnen Nylonzelten ohne Wasser, Heizung und Strom. Sie haben keine Matratzen, schlafen auf dem Boden und das in manchen Fällen seit vielen Monaten. Die Flüchtlinge sind ständig naß, das Lager ist ein einziges matschiges Loch. Wenn es besonders stark regnet, werden ganze Zelte weggespült. Insbesondere Kinder und ältere Menschen leiden unter Atemwegsinfektionen, für manche ist das lebensbedrohlich, Asthmaanfälle oder schwere Lungenentzündungen nehmen dramatisch zu. [1] Die Situation der etwa 46.000 Flüchtlinge auf dem griechischen Festland soll nicht ganz so schlimm sein, ist aber dennoch schlecht, viele Menschen leben noch immer in Lagerräumen. Eine grundlegende Besserung ist nicht in Sicht. [2]

Die Vorgeschichte: Das Dublin-System der Europäischen Union, dem zufolge ein Flüchtling einen Asylantrag in dem EU-Land stellen muß, das er zuerst betritt, war mit der Ankunft von Millionen Flüchtlingen im Sommer 2015 zusammengebrochen. Die meisten der Ankommenden waren damals über Griechenland in Richtung Deutschland und Nordeuropa weitergereist. Nach der Schließung der Balkanroute wurde Griechenland im Rahmen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei dazu verpflichtet, seit dem 20. März 2016 alle eingereisten Flüchtlinge im Lande unterzubringen, bis ihre Asylansprüche geklärt sind. Die Flüchtlinge auf den Inseln sollen im Prinzip in die Türkei zurückgeführt werden, die EU-Staaten wollten Griechenland im vergangenen Jahr 30.000 Flüchtlinge abnehmen, es wurde genügend Personal zugesagt, um die Asylanträge zügig zu bearbeiten.

Die Realität sieht anders aus. Nur 5500 Flüchtlinge sind 2016 in andere EU-Staaten weitergereist, mangels Personals haben erst circa 8.700 Flüchtlinge auf den ägäischen Inseln einen Asylantrag gestellt, bis Anfang Dezember wurden nach Informationen der EU-Kommission nur etwa 750 Menschen zurück in die Türkei gebracht. Die Kapazität der sogenannten Hotspots auf den Inseln umfaßt lediglich 8000 Plätze, so daß die Lager doppelt überbelegt sind. Die griechischen Asylexperten sind mit der Bearbeitung der Anträge überfordert, doch die EU wollte zuletzt keine zusätzlichen Fachleute schicken, da sie die Lage auf den Inseln für zu instabil hielt. Am 8. Dezember hatte die griechische Regierung um eine Ausnahme von der geltenden Regelung ersucht, um angesichts des einbrechenden Winters mehr Flüchtlinge auf das Festland zu bringen. Dieses Ersuchen wurde von der EU negativ beantwortet. [3]

Da die Kapazitäten der Inseln erschöpft sind und die Lage katastrophal ist, verweigern etliche Kommunen die weitere Kooperation. Wenngleich es den Hilfsorganisationen in einigen Fällen gelungen ist, örtliche Hoteliers dazu zu bewegen, einen Teil ihres Wohnraums zur Verfügung zu stellen, stoßen sie andernorts auf taube Ohren. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Migranten und Rechtsextremisten, die Belastung des monatelangen Wartens führt in den Lagern zu Frustration und Aggression. So ist es angesichts der schleppenden Prüfung der Asylanträge und der beengten Lebensverhältnisse wiederholt zu Ausschreitungen und Protesten gekommen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) liefert Wohncontainer auf die Inseln, die jedoch bei weitem nicht ausreichen. Nur wenige Menschen, wie etwa schwangere Frauen und Kinder, dürfen in Noteinsätzen aufs Festland gebracht werden. Die griechische Regierung stellt zwar eine Schließung der Lager und die Umquartierung in Wohnungen in Aussicht, plant aber zugleich Internierungslager, in denen protestierende Migranten festgehalten werden sollen. Das erinnert denn doch allzu sehr an die gebrochenen Zusagen der EU, zumal überhaupt nicht abzusehen ist, wie diese Ausweichquartiere in absehbarer Zeit geschaffen werden sollen.

Überdies hat die EU-Kommission sogar vorgeschlagen, zum Dublin-System bei Asylverfahren zurückzukehren und den Erstaufnahmeländern die Hauptlast aufzubürden. So sollen Flüchtlinge ab Mitte März 2017 wieder nach Griechenland zurückgebracht werden, wenn sie dort erstmals den Boden der Europäischen Union betreten haben. Ihren Vorschlag begründete sie mit angeblichen Verbesserungen im griechischen Asyl- und Justizsystem. Dagegen läuft die griechische Regierung Sturm, die gemeinsam mit anderen Erstaufnahmeländern wie Italien, Malta und Bulgarien eine gemeinsame Front gegen die Pläne aus Brüssel bilden will, um ein "neues Dublin" abzuwenden. [4]

Daß das seit acht Jahren krisengeschüttelte Griechenland diese Probleme unmöglich aus eigenen Kräften zu lösen imstande ist, liegt auf der Hand. Wenngleich man die Frage aufwerfen kann, warum die Syriza-Regierung der Flüchtlingsvereinbarung mit der EU zugestimmt hat, wird die naheliegende Antwort doch von der gewaltigen Bürde der Unterwerfung unter das Regie der Gläubiger des Landes überschattet. Zugleich schreckt die EU nicht im mindesten davor zurück, Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschicken oder dort festhalten zu lassen, obgleich das Erdogan-Regime diktatorische Züge annimmt und die Repression massiv verschärft. Sieht so ein sicherer Drittstaat aus?

Im großen Bogen des Abkommens zwischen der EU und der Türkei, mit dem sich die Westeuropäer die Flüchtlinge an dieser Flanke gewaltsam vom Hals halten, ist für Griechenland die Rolle einer Pufferzone vorgesehen, in der die zwangsläufigen Unwuchten des Systems ausschwingen und ausschlagen sollen - zu Lasten der Griechinnen und Griechen, die nichts zu sagen, sondern nur zu tragen haben, und um so mehr der Flüchtlinge. Sie in Lager zu stecken und in Lebensgefahr zu bringen ist kein Versagen der EU. Es ist nicht nur ein gebilligter Kollateralschaden, sondern gezielt eingesetzte Abschreckungs- und Abschottungspolitik, deren Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern sich mit administrativer Grausamkeit paart.


Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/politik/international/fluechtlinge-winterkaelte-offenbart-elend-in-griechenland/19239340.html

[2] http://www.tagesschau.de/ausland/unhcr-griechenland-101.html

[3] http://www.deutschlandfunk.de/schlimme-lage-von-fluechtlingen-in-griechenland-schuld-ist.694.de.html

[4] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-12/fluechtlinge-griechenland-internierungslager

27. Februar 2017


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