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REPRESSION/1512: Gefangene in Isolationshaft bedürfen internationaler Solidarität (SB)




1993 wurde der US-Amerikaner Clarence Aaron wegen eines Drogendelikts zu dreimal lebenslänglich verurteilt, obwohl er das erste Mal straffällig geworden war und sich keinerlei Gewaltanwendung schuldig gemacht hatte. Acht Frauen und Männer, die vergleichbare Strafen wegen Drogenvergehen erhalten hatten, wurden zu Weihnachten von US-Präsident Barack Obama begnadigt; acht Gefangene von fast 9000 Insassen, die aufgrund einer Bundesgesetzgebung verurteilt wurden, nach der im Zusammenhang mit Crack Cocaine begangene Delikte weit härter bestraft werden als solche, bei denen mit sogenanntem Powder Cocaine gedealt wurde. Beide Substanzen unterscheiden sich lediglich durch die Art und Weise, wie sie für die Endverbraucher aufbereitet werden. Kokain in der herkömmlichen pulverisierten kristallinen Form wird vor allem von eher wohlhabenden Weißen konsumiert, das meist in Pfeifen gerauchte Crack hingegen ist die Droge der Armen, zu denen überdurchschnittlich viele Mitgliederinnen und Mitglieder ethnischer Minderheiten zählen.

Seit 2010 können wegen Crack-Delikten verurteilte Gefangene einen Strafnachlaß erhalten, doch das gilt nicht für die zuvor Verurteilten. Obama hat, wie selbst die New York Times [1] beklagt, vom präsidialen Begnadigungsrecht nur sehr sparsam Gebrauch gemacht, obwohl der rassistische Charakter der US-Strafjustiz im allgemeinen und im Falle der Strafzumessung bei Crack-Delikten im besonderen allgemein bekannt ist. Wieviel weniger ist angesichts dessen von dem US-Präsidenten zu erwarten, die in den USA verbreitete Praxis der Isolationshaft zu verurteilen?

Auch dafür hätte es gerade dieses Jahr Anlaß gegeben, fand doch, von den globalen Medien weitgehend unbeachtet, der bislang größte Hungerstreik gegen die Isolationshaft in Kalifornien statt. Sie wird, wie der Strafvollzug in den USA generell, in besonderem Maße gegen sozial unterprivilegierte Gruppen der Bevölkerung eingesetzt. Dabei dient die Isolation von Gefangenen in einem besonders gesicherten Teil des Gefängnissses, der als Knast innerhalb des Knastes bezeichnet werden könnte, insbesondere dazu, politische Aktivistinnen und Aktivisten im wahrsten Sinne des Wortes mundtot zu machen.

Am 5. September 2013, dem letzten Tag des Protestes, waren es noch mindestens 40 Gefangene, die in den Isolationszellen kalifornischer Hochsicherheitsgefängnisse 60 Tage lang jegliche Nahrung verweigert hatten, um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren. Diese Gruppe wurde von Tausenden Gefangenen unterstützt, die sich dem Hungerstreik später anschlossen oder ihn zwischenzeitlich aussetzten. Was am 8. Juli unter Beteiligung von 30.000 Insassen des kalifornischen Strafvollzugs als größte Protestaktion von Gefangenen innerhalb der USA begonnen hatte, wurde von der zuständigen Gefängnisverwaltung mit allen Mitteln der Schikane, der zusätzlichen Drangsalierung der Streikenden durch noch härtere Haftbedingungen, ihrer öffentlichen Diffamierung als sogenannte Gang Leader und der Androhung von Zwangsernährung massiv bekämpft.

Die im PBSPSHU, Short Corridor Collective zusammengeschlossenen und als Prisoner Class Human Rights Movement organisierten Vertreter der Hungerstreikenden, zu denen Isolationshäftlinge gehören, die seit mehr als 20 Jahren fast ohne menschlichen Kontakt überleben, bekräftigten bei Abbruch des Protestes [2], daß sie ihren Kampf bis zur vollständigen Umsetzung ihrer Forderungen fortsetzen werden, selbst wenn dies das ultimative Opfer des Todes verlange. Es gehe nicht darum, den Tod von Häftlingen anzustreben, doch sei ein solches Opfer manchmal die einzige Möglichkeit, sich aus inakzeptablen und menschenfeindlichen Bedingungen zu befreien.

Daß der Staat Kalifornien der zuständigen Strafvollzugsbehörde California Department of Corrections and Rehabilitation (CDCR) ein Jahresbudget von 9,1 Milliarden Dollar zur Verfügung stellt, ist mithin nicht nur durch die Lobbyarbeit der Gefängnisindustrie und Wärtergewerkschaften zu erklären. Es geht um die Unterdrückung sozialen Widerstands, gehören die inhaftierten Teile der US-Bevölkerung doch zu den im Sinne herrschender Interessen unzuverlässigsten Bürgern des Landes. Daß Menschen, die wegen Eigentumsdelikten, Drogenvergehen oder Gewaltverbrechen langjährige Haftstrafen absitzen, aus ihrer Situation lernen können, zeigt sich gerade bei Langzeitgefangenen in Isolationshaft. Wie aus der selbstorganisierten Gefangenenzeitung California Prison Focus [3] hervorgeht, ist diese Gruppe besonders hart von staatlicher Repression betroffener Menschen stark politisiert, und das nicht erst seit Einführung der Isolationshaft zu Beginn der 1980er Jahre.

Die Radikalisierung von Gefangenen wird von der Gefängnisverwaltung vor allem deshalb unter dem Titel illegaler Gang-Aktivitäten kriminalisiert, weil sie den Protest gegen die Zustände in ihren Strafanstalten auf diese Weise wirksam unterdrücken kann. Wenn Gefangene, die versuchen, zwischen verfeindeten Gruppen zu vermitteln, um gemeinsamen Widerstand gegen die Gefängnisleitung aufzubauen, unter Aufbietung fadenscheiniger Belege für angebliche Gang-Aktivitäten auf viele Jahre im Isolationstrakt verschwinden, dann erzeugt das abschreckende Wirkung. Daß die Betroffenen dennoch den dritten Hungerstreik innerhalb von zwei Jahren organisieren konnten, war nur möglich, weil sich ein breiter Kreis von Angehörigen und Unterstützerinnen und Unterstützern gebildet hatte.

Daß in den USA bis zu 80.000 Menschen unter Bedingungen eingesperrt sind, die der Beauftragte der Vereinten Nationen für Folter, Juan Mendez, als der Folter gleichkommend und damit menschenrechtswidrig kritisiert, wird im Unterschied zur Praxis der Todesstrafe außerhalb des Landes kaum wahrgenommen. Dabei handelt es sich um eine besonders grausame Form der Bestrafung, die bei nicht wenigen Isolationshäftlingen zu dauerhaften psychischen Störungen bis ausgewachsenen Psychosen führt. Daß zum dritten Mal ein mehrere Haftanstalten umfassender Hungerstreik stattfand, wurde mit massiven Diffamierungen beantwortet. So leugnete der Chef des CDCR, Jeffrey Beard, in der Los Angeles Times [4] die Existenz der Isolationshaft und bezeichnete die hungerstreikenden Aktivisten als Mitglieder oder Opfer höchst gewalttätiger Banden, denen es um nichts anderes gehe, als ihre Fähigkeit zurückzuerlangen, "Mitgefangene, die Wärter in den Gefängnissen und Gemeinden in ganz Kalifornien zu terrorisieren". Der kalifornische Gouverneur Jerry Brown sah sich nicht einmal dazu bemüßigt, Stellung zu dem historischen Hungerstreik in seinem Staat zu nehmen.

Die führenden Aktivisten, die den seit über zwei Jahren währenden Protest initiiert und vorangetrieben haben, sind aufgrund der geringen Möglichkeiten, auf rechtlichem Wege gegen das CDCR vorzugehen, durch Repressalien besonders gefährdet. Ob sich deutliche Verbesserungen für die in Isolationshaft sitzenden Gefangenen durchsetzen lassen, ist bislang völlig ungeklärt. Die erste der bei Beendigung des Protestes zugesagten Anhörungen fand im Oktober statt, die nächste wird im Februar abgehalten. Da nicht davon auszugehen ist, daß eine Gesellschaft, in der das Strafvollzugsystem seit Jahrzehnten systematisch ausgebaut und verschärft wird, das System der Isolationshaft aus Einsicht in seinen menschenrechtswidrigen Charakter aufgibt, wird die Erfüllung der von den Insassen erhobenen Forderungen maßgeblich von der Unterstützung abhängen, die sie erhalten.

Im September 2013 jährte sich zum 42. Mal der Gefangenenaufstand, bei dem 1500 Insassen der Attica Correctional Facility nach der Erschießung des Aktivisten George Jackson im kalifornischen Gefängnis St. Quentin gegen die brutalen Haftbedingungen rebellierten. Der politische und multiethnische Widerstand der Gefangenen mündete in die bewaffnete Niederschlagung des Aufstands unter Einsatz des Militärs, angeordnet von Gouverneur Nelson Rockefeller, der den Forderungen der Insassen den ausgestreckten Mittelfinger entgegenhielt [5]. Über 40 Gefangene, Wärter und Geiseln wurden erschossen, nachdem Hubschrauber CS-Gas über dem Gefängnis abgeworfen hatten. Die kurze Dokumentation "Attica Is All Of Us" [6] vermittelt ein bedrückendes Bild von einer Art Aufstandsbekämpfung, die in den Isolationstrakten aufs grausamste institutionalisiert und verstetigt wurde.

Zu behaupten, die Situation der Gefangenenbevölkerung in den USA habe sich seitdem verbessert, verkennt die technologische und bürokratische Intelligenz, mit der die Atomisierung des Menschen in den Knästen der institutionalisierten Freiheitsberaubung vollzogen wird. Der Strafvollzug bedient sich heute administrativer, sozialwissenschaftlicher und apparativer Mittel, die um so schwerer anzugreifen sind, als die Normen und Werte, die sich in ihnen artikulieren, mit Hilfe eines umfassenden Akzeptanzmanagements zum gesellschaftlich hegemonialen Konsens erhoben werden. Die Gefangenen, die diesem immer perfekter durchorganisierten System der Repression ausgeliefert sind, haben demgegenüber nichts als ihr nacktes Leben, daß sie, wenn nichts anderes mehr geht, im Rahmen eines Hungerstreiks in die Waagschale werfen.


Fußnoten:

[1] http://www.nytimes.com/2013/12/23/opinion/a-small-step-toward-more-mercy.html?_r=0

[2] http://www.prisons.org/documents/StatementSuspendingThirdHungerStrike.pdf

[3] http://www.prisons.org/documents/CPF-40.pdf

[4] http://articles.latimes.com/2013/aug/06/opinion/la-oe-beard-prison-hunger-strike-20130806

[5] http://sfbayview.com/2013/remembering-attica/?fb_source=pubv1

[6] http://vimeo.com/16298370

Zur Isolationshaft in den USA siehe auch:

REPRESSION/1502: Soziale Unterdrückung durch Isolationshaft betrifft vor allem ethnische Minderheiten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1502.html

REPRESSION/1501: Hungerstreik in Kalifornien gegen Isolationsfolter und systematische Entmenschlichung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1501.html

REPRESSION/1497: Lebendig begraben - 7000 im Hungerstreik gegen Isolationsfolter in Kalifornien (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1497.html

30. Dezember 2013