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REPRESSION/1493: Die Geheimexekutive als institutionalisierter Ausnahmezustand (SB)




Die Erregung über die Überwachungsaktivitäten der USA und Britanniens läßt einen fast naiv zu nennenden Glauben an die demokratische Kontrollierbarkeit des staatlichen Gewaltmonopols erkennen. Zu unterstellen, geheimdienstliche Aktivitäten ließen sich in ihrem Ermächtigungspotential grundrechtskonform einhegen, machte deren Existenz schlicht überflüssig. Es bedürfte keiner geheim operierenden Behörden, wenn die Überschreitung verfassungsrechtlicher Grenzen nicht ihr programmatischer Sinn und Zweck wäre. Wie geringfügig die Prinzipien der Gewaltenteilung oder der parlamentarischen Kontrolle auch immer eingeschränkt werden, ob dies befristet oder dauerhaft erfolgt, der Dienstweg eingehalten oder Order von höchster Stelle gegeben wird, in jedem Fall handelt es sich um eine Form des institutionalisierten, die Konsistenz und Kohärenz gesetzlicher Normen permanent in Frage stellenden Ausnahmezustands.

Dies ist keine Neuigkeit, sondern gilt spätestens seit der Echelon-Affäre der 1990er Jahre auch für grenzüberschreitende Überwachungsmaßnahmen. Die weitgehenden Kompetenzen, die den Sicherheitsbehörden nach den Anschlägen des 11. September 2001 zugestanden wurden, haben insbesondere die Schlagkraft der Geheimexekutive erweitert. Dabei ist das Argument, nur auf diese Weise ließen sich terroristische Anschläge verhindern, zumindest insofern in Frage zu stellen, als etwa das FBI mehrfach mit Undercoveragenten leicht manipulierbare Personen zur Vorbereitung von Anschlägen verführte, um so die erfolgreiche Abwehrarbeit der US-Bundespolizei zu beweisen. Auch das dieser Tage wieder hoch gehandelte Argument, nur auf diese Weise habe man mögliche Anschläge der sogenannten Sauerland-Gruppe verhindern können, ist in seiner beanspruchten Alternativlosigkeit zumindest in Frage zu stellen.[1]

Es bedarf keiner Verschwörungstheorie, sondern lediglich eines Blicks auf die rechtsstaatliche Praxis in den USA, um die prinzipielle Außerkraftsetzung fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte als legales Mittel gouvernementalen Handelns zu belegen. Um von extralegalen Hinrichtungen, unbefristeter Administrativhaft, auf Geheimdienstmaterial basierenden Strafurteilen oder langjähriger Inhaftierung aufgrund bloßer Gesinnungsdelikte oder Protestformen des passiven Widerstands betroffen zu sein, bedarf es im Zweifelsfall, der fast immer vorliegt, wenn der Staat zu offensiven Mitteln der Terrorismusabwehr und politischen Repression greift, nicht viel. Ein solches Schicksal bleibt auch nicht Menschen vorbehalten, die keine US-Staatsbürgerschaft besitzen, sondern trifft ebenso Bürger des Landes. Da die USA nicht als Schurkenstaat oder Diktatur firmieren, sondern in der Bundesrepublik als Hort von Freiheit und Demokratie gelten, ist die Legalität ihrer Geheimexekutive für die hiesigen Behörden Ausdruck einer äquivalenten Rechtsstaatlichkeit, deren gegenseitige Anerkennung etwa bei Auslieferungsverfahren geltend gemacht wird.

Wenn nun Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien den Eindruck erwecken, mit den Überwachungspraktiken US-amerikanischer und britischer Geheimdienste nicht einverstanden zu sein, dann ist nicht nur zu fragen, inwiefern sie in ihrem Regierungsamt, ihrer Ausschußarbeit oder durch ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag am Ausbau dazu erforderlicher exekutiver Vollmachten beteiligt waren. Es ist ihnen auch anzulasten, gegen weithin etablierte Praktiken wie den Austausch von Geheimdienstmaterial zwischen US-amerikanischen und deutschen Auslandsgeheimdiensten, die die Nutzung von Informationen ermöglichen, die zu erbringen deutschen Behörden qua Gesetz gar nicht möglich sein soll, nicht entschieden vorzugehen. Das Argument, darüber keine Informationen erhalten zu haben, belegt wiederum den Grundrechte einschränkenden Charakter geheimdienstlicher Arbeit, mit dem sich alle Parteien, die nicht die Auflösung dieser Dienste fordern, prinzipiell einverstanden erklären.

So hat ein vom EU-Parlament in Auftrag gegebenes und im Januar 2013 veröffentlichtes Gutachten [2] des Centre D'Etudes sur les Conflits und des Centre for European Policy Studies zur Frage, inwiefern das Cloud Computing Vergehen der Cyber-Kriminalität begünstige, erbracht, daß das 2008 vom US-Kongreß verabschiedete Gesetz FISAA die US-Behörden dazu ermächtigt, sich Zugriff nicht nur auf ausländische Telekommunikation zu verschaffen, sondern alle Daten, die auf den Servern US-amerikanischer Cloud-Anbieter wie Google, Facebook, Amazon oder Dropbox gespeichert sind, zu sichten und auszuwerten. Wörtlich heißt es in der Studie, an der Caspar Bowden, früher bei Microsoft Europe für Datenschutzfragen zuständig, maßgeblich mitgearbeitet hat, daß es in den USA im Rahmen geltenden Rechts möglich ist, "eine ausschließlich politische Überwachung ausländischer Daten, die in US-Clouds lagern, durchzuführen"[2].

Dies ist, wohlgemerkt, seit 2008 geltendes US-Recht, ohne daß Regierungsbehörden oder Parlamentsausschüsse in der Bundesrepublik die Initiative ergriffen hätten, die weitreichenden, sich an diesen Sachverhalt anknüpfenden Fragen des persönlichen Datenschutzes wie der nationalen Souveränität über Datenkommunikation und Datensammlungen aufzugreifen. Es hätte nicht des Eintretens Edward Snowdens für die Bürgerrechte der Nutzer informationstechnischer Systeme bedurft, um den Menschen klarzumachen, daß sie unabsehbare Risiken bei der Nutzung dieser Dienstleistungen eingehen. Dabei ist längst klar, daß die Aktivitäten staatlicher Geheimdienste sowohl durch das exponentielle Wachstum des Aufkommens mittels informationstechnischer Systeme akkumulierter Daten als auch deren stetig verbesserte Analyse auf Massenbasis, Stichwort Big Data, eine immer bedrohlichere Qualität annehmen. Datenvermeidung als sicherste Möglichkeit, die informationelle Selbstbestimmung im Rahmen eigener Möglichkeiten zu gewährleisten, ist für das Gros der Menschen, die in Metropolengesellschaften leben und arbeiten, kaum mehr möglich.

Blindes Vertrauen in die politischen Sachwalter des staatlichen Gewaltmonopols in der Hoffnung zu setzen, daß man selbst nicht aufgrund einer unbedachten Äußerung, einer mißverständlichen SMS, einer zufälligen Begegnung mit sogenannten Terrorverdächtigen oder einer mißliebigen politischen Position in die Netze der Massenüberwachung gerät, ist nicht zu empfehlen, sind deren Evaluationsprozesse doch schon aufgrund der Präventivdoktrin des Staatschutzes darauf geeicht, Indizien aller Art zu einem Anfangsverdacht zu verdichten, der konkrete Ermittlungsmaßnahmen in Gang setzt. Wenn der ehemalige BND-Chef und NATO-Botschafter Hans-Georg Wieck im Interview mit dem Deutschlandfunk ohne Umschweife bestätigt, daß Geheimdienste "eine zweite Ebene der internationalen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Strukturen" darstellen, die Regierungen "Zugang zu Informationen für die Entscheidungsfindung (...) ermöglichen, die sonst nicht zur Verfügung stehen", dann gibt er damit zu verstehen, daß das Ergebnis gouvernementalen Handelns auf zwei Beinen steht. So kann das Standbein der parlamentarisch kontrollierten Willensbildung mit dem Spielbein intransparenter Kommunikationsprozesse je nach Erfordernis auf eine Weise verlagert werden, daß der Versuch, die Regierung rechenschaftspflichtig zu machen, ins Leere läuft. Staatsrechtlich gesehen wird damit der Ausnahmezustand institutionalisiert, so daß sich die Frage der Legalität des Regierungshandelns nur sehr bedingt stellt, wie Wieck bekräftigt:

"Was heißt illegal und was heißt legal? Sie haben einen Auftrag und sie bekommen im zum Beispiel deutschen Gesetz über die Nachrichtendienste die Vollmacht, nachrichtendienstliche Mittel zum Gewinnen dieser Informationen einzusetzen, für die es eine Ausnahmeregelung gegenüber dem Strafrecht und dem allgemeinen Wirtschaftsrecht und dem allgemeinen bürgerlichen Recht gibt."[3]

Wiecks Behauptung, die sogenannte vierte Macht der Medien begrenze die Gefahr, daß die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht funktioniere, was nur unter totalitären und autoritären Regimes nicht gewährleistet sei, ist eine allzu durchsichtige Ausflucht. Schon in deutschen Zeitungen sind zahlreiche Kommentare zu lesen, die die Aufdeckung geheimdienstlicher Praktiken durch Whistleblower wie Snowden für kontraproduktiv halten. Auch in als liberal geltenden US-Medien wird der ehemaliger Mitarbeiter der NSA und CIA offen kriminalisiert [4]. Seiner angeblich nichtvorhandenen Staatsloyalität wird quasi die Reinheit der geheimdienstlichen Waffen entgegengehalten. Der Glauben daran, von der Arbeit der Geheimexekutive zu profitieren, ist desto begründeter, je höher die Position des jeweiligen Journalisten, Politikers oder Regierungsbeamten in den Funktionseliten einer Klassengesellschaft ist, deren Krisenmanagement vor allem auf den Erhalt der Profitrate ihrer größten wirtschaftlichen Akteure ausgerichtet ist.

Wer wie Snowden dem Opportunismus der sozialdarwinistischen Hackordnung moralische Prinzipien entgegenhält, wird als antiquiertes Modell des in der Marktkonkurrenz nicht überlebenstüchtigen Menschen auf den Müllhaufen einer Geschichte geworfen, die sich hinsichtlich der totalen Unterordnung des einzelnen unter Kapitalmacht und Staatsgewalt auf der nächsthöheren Ebene zu wiederholen droht. Jene "zweite Welt", die laut Wieck "neben der offiziellen Welt existiert" und wo "mit legalisierten Eingriffen in die Rechte von Individuen und Staaten und Wirtschaften Informationen gesammelt werden, um die Entscheidungsgrundlagen der eigenen Regierung zu verbessern", handelt nicht in einem numinosen Eigeninteresse. Sie ist institutionalisierter Ausdruck des Erhalts und der Qualifizierung einer Verfügungsgewalt, die den Menschen so weitgehend und umfassend wie möglich in Wert setzt, um die immanente Krise des Kapitals in das herrschaftsstrategisch wirksamste Mittel zum Erhalt der von ihm bedingten Verhältnisse zu verwandeln.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber024.html

[2] http://www.europarl.europa.eu/committees/en/studiesdownload.html?languageDocument=EN&file=79050

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2155213/

[4] http://www.wsws.org/de/articles/2013/06/20/snow-j20.html


Zur politischen Ökonomie des Datenschutzes siehe:
REPRESSION/1491: Informationelle Selbstbestimmung wird nicht mehr reichen ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1491.html


25. Juni 2013