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REPRESSION/1488: Blockupy ... erhellende Lektion in Staatsbürgerkunde (SB)




Großkampftag der Polizei in der Bankenmetropole Frankfurt - vermummte Robocops haben am Samstag, den 1. Juni, das Versammlungsrecht der Blockupy-Aktivisten auf eine Weise untergraben, daß nicht deutlicher hätte werden können, wer hier vor wem geschützt werden sollte. Die Europäische Zentralbank, durch Sperrgitter und NATO-Stacheldraht abgeschottet, sollte vor einer Blockadeaktion geschützt werden, an deren symbolischem Charakter die Veranstalter der Blockupy-Demonstration von Anfang an keinen Zweifel ließen.

Einkesselung durch die Polizei - Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Eingezwängt in Doppelspaliere einer behelmten, gepanzerten, ganz und gar uniformen und anonymen Staatsmacht erwies sich das Recht auf die freie Bekundung des politischen Willens im öffentlichen Raum als ein unter Vorbehalt, bei Zuwiderhandlung sofort entzogen zu werden, von der Obrigkeit gnädig gewährtes Zugeständnis an den regierungsamtlich verordneten Glauben, in diesem Land ginge nichts über Freiheit und Demokratie. Es ist kein Zufall, daß in den Fensterreden der Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten sehr viel von einer Freiheit die Rede ist, an der diejenigen teilhaben, die die damit gemeinte Möglichkeit, zu reisen, zu konsumieren und zu akkumulieren, kraft ihres Vermögens und Eigentums ausüben können. Um so seltener vernimmt man das Wort von einer Demokratie, das auch dann belastbar ist, wenn das bürgerliche Subjekt als mittel- und einkommensloser Mensch weder Sitz noch Stimme hat.

Die Einkesselung eines Teils des Demonstrationszuges, angeblich ausgelöst durch "passive Bewaffnung" und das Zünden von drei Böllern, mit anschließender Gewaltkur zum Austreiben des Ungeistes antikapitalistischer Widerständigkeit, war der dramatische Höhepunkt des Versuchs, Basisdemokratie in einer von transnationaler Kapitalmacht dominierten Metropole zu praktizieren. Auf der Strecke blieb der Glauben an eine Zivil- und Bürgergesellschaft, der das Wissen um die zentrale Bedeutung des Klassenantagonismus mit dem Argument ausgetrieben wurde, daß es für alles eine Beschwerdestelle und Rechtsinstanz gebe. Wenn das Recht so eng gefaßt ist, daß schon passiver Widerstand als terroristischer Gewaltakt sanktioniert werden kann, wie diverse Terrorismusdefinitionen im gemeinsamen europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geltend machen, dann nützen alle Beschwerden und Klagen nichts. Selbst wenn Gerichte hin und wieder zugunsten von Bürger- und Grundrechten entscheiden, dann wird damit noch lange nicht am Lack einer Eigentumsordnung gekratzt, die angesichts der krassen materiellen Ungleichheit im Zweifelsfall über Leben und Tod entscheidet.

Das EZB-Gebäude mit Überwachungskameras - Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

In der von einer Koalition aus CDU und Grünen regierten, mit einem SPD-Bürgermeister versehenen Finanzmetropole wurden am Samstag Lektionen in Sachen Staatsbürgerkunde erteilt, die den produktiven Zweck einer ernüchternden Überprüfung des praktischen Gehalts der demokratischen Gewaltenteilung nicht verfehlten. Die Judikative hatte die Demonstration im Unterschied zum Vorjahr, wo das Versammlungsrecht schlechterdings von vornherein aufgehoben wurde, zugelassen, was wiederum die Exekutive dazu veranlaßte, Tatsachen zu schaffen, gegen die aufzubegehren womöglich noch mehr Verletzungen zur Folge gehabt hätte, als viele der Demonstrantinnen und Demonstranten ohnehin davontrugen. Die Legislative glänzte im Falle der Frankfurter Stadtregierung durch Abwesenheit, während einzelne Abgeordnete im Protestzug vergeblich versuchten, auf ihre Immunität zu bestehen. Was die Polizei anschließend auf einer Pressekonferenz an Gegenständen präsentierte, die die angebliche Gewaltbereitschaft der Demonstrantinnen und Demonstranten belegen sollten [1], zeigt, wie weit die Kriminalisierung von Protestformen hierzulande gediehen ist, über deren Gefährlichkeit man in den europäischen Krisenregionen rund um das Mittelmeer nicht erstaunter sein könnte. Dies findet in einem Land statt, dessen Regierung die eigene Gewaltbereitschaft unter anderem dadurch dokumentiert, daß sie den Export von Kriegswaffen in alle Welt und die globale Verbreitung von Kleinwaffen zuläßt. Um einen Eindruck zu erhalten, in welchem Verhältnis die "passive Bewaffnung" der Blockupy-Aktivistinnen und -Aktivisten zur Schlagkraft der Polizei steht, ist der Augenzeugenbericht des Ökonomen Axel Köhler-Schnura von der Frankfurter Demonstration zu empfehlen [2].

Demonstrant wird von zwei Polizisten zwangsweise zur Personalienfeststellung abtransportiert - Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Je bescheidener die Ansprüche des bürgerlichen Protestes auf Artikulation der eigenen Meinung werden, desto höher wird die Schwelle gelegt, dies überhaupt außerhalb dafür vorgesehener symbolpolitischer Handlungen, Reservate und Nischen zu tun. Je rarer sich eine militante Linke macht, auf deren Aktionen sich die Polizei stets berufen hat, wenn sie besonders hart zupackte, desto enger werden die Zügel gezogen, mit der der Staat die Unberechenbarkeit seiner Subjekte in den Griff seines Gewaltmonopols nimmt. Anders als es die Verfechter der an Staatsrecht und Politikwissenschaft orientierten Lehre von der durch die prinzipielle Gleichberechtigung der verschiedenen Akteure nivellierten Verhandelbarkeit aller gesellschaftlichen Konflikte glauben machen, stehen sich dabei höchst unterschiedlich bemittelte Gruppen gegenüber. Die Staatsgewalt schützt die Kapitalmacht als Garanten gesellschaftlicher Reproduktion in weit höherem Maße, als sie die Rechte der Bevölkerung als angeblichem Souverän in jedem Einzelfall vollwertig zur Geltung kommen läßt. Die in Frankfurt kritisierten Praktiken eines Kapitalismus, der Millionen Menschen dem Hunger preisgibt, der von Sklavenarbeit in den Ländern des Südens profitiert, der die Produktivitätsunterschiede sogar innerhalb der Eurozone so rücksichtslos ausnutzt, daß ganze Bevölkerungen verarmen, der die Kredit- und Finanzwirtschaft ohne Ende alimentiert, während die Interessen erwerbsloser und versorgungsbedürftiger Menschen auf lebensverkürzende Weise ignoriert werden, sind Ausdruck einer Gesellschaftsordnung, die aufgrund der ihr immanenten Mißachtung menschlicher Lebensinteressen immer wieder auf ganz körperliche Weise in ihrer Unveränderbarkeit bestätigt werden muß.

Polizei in Verteidigungsstellung, von Demonstranten umzingelt - Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Foto: © 2013 by Herbert Sauerwein

Der zeitgleich in der Türkei erfolgte Aufstand zeigt, was in der Bundesrepublik im Keim erstickt werden soll. Jeder Form von basisdemokratischer Ermächtigung, und sei sie noch so sehr durch das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger legitimiert, wird mit der Entschiedenheit einer Exekutivgewalt entgegengetreten, die am Rande des Ausnahmezustands operiert. Nicht weil die Exekutive der Aufhebung geltenden Rechts bedürfte, um sich durchzusetzen, sondern weil der Zwang zu einer widerspruchslos hinzunehmenden Form von Herrschaft oft die letzte Konsequenz einer schwindenden Legitimation der durch den Exekutivmißbrauch am meisten repräsentierten Interessenszusammenhänge ist. Wenn Teilen und Herrschen nicht mehr funktioniert, weil sich die Menschen in Anbetracht eines die Basis ihres Überlebens bedrohenden Krisenmanagements nicht mehr gegeneinander aufbringen lassen, dann tritt unverhohlen hervor, was in der gesellschaftlichen Normalität des reichsten Landes der EU meist unter der Decke bunter Unterhaltung, irregeleiteter Skandalisierung und umfassender Zurichtung auf die Totalität der Erwerbsarbeit verborgen bleibt. Insofern könnten die diesjährigen Blockupy-Aktionen einigen Erkenntnisgewinn für die an ihnen Beteiligten erzeugen.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/regionales/frankfurt/article116783807/Waren-wir-auf-der-selben-Veranstaltung.html

[2] http://www.linkezeitung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=16057:blockupy-frankfurt-getreten-gepruegelt-mit-giftgas-bekaempft-ein-erlebnisprotokoll&catid=21&Itemid=58

4. Juni2013