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REPRESSION/1482: Nur noch "Extremisten" beobachten - Die Linke spalten (SB)




Per Verfassungsschutz behält sich die bundesdeutsche Staatsgewalt vor, ohne Offenlegung der dabei verfolgten Ziele und angewendeten Praktiken, ohne vollständige parlamentarische Kontrolle und unter Bruch demokratischer Grundprinzipien einzelne Bürger und ganze Parteien oder Organisationen zu bespitzeln und zu bezichtigen. Es liegt in der Natur eines Inlandsgeheimdienstes, im Kern klandestin zu operieren und sich stets einer vollständigen Überprüfung durch demokratische Gremien oder gar der von ihm überwachten Öffentlichkeit zu verweigern und zu entziehen. Wird im Zuge des sogenannten NSU-Skandals eine tiefgreifende Reform des Verfassungsschutzes gefordert, so ist dies zwangsläufig Wasser auf die Mühlen einer noch effektiveren Überwachung der Gesellschaft durch eine von dieser letztlich nicht zu kontrollierenden Instanz. Selbst die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes greift dann zu kurz, wenn sie die Auseinandersetzung mit einem Inlandsgeheimdienst als solchem bis hin zu den längst nicht zu Grabe getragenen Plänen, nach dem Vorbild der USA ein deutsches Heimatschutzministerium zu schaffen, ausblendet.

In seinen jährlichen Berichten hat das Bundesamt für Verfassungsschutz seit dem Anschluß der ehemaligen DDR regelmäßig der PDS, Linkspartei und ab 2007 der Partei Die Linke ein eigenes Kapitel gewidmet. Daß bei dieser Überwachung wie behauptet keine nachrichtendienstlichen Mittel wie V-Leute eingesetzt und ausschließlich Zeitungsausschnitte verwendet wurden, darf wohl bezweifelt werden, legt man die Glaubwürdigkeit desselben Geheimdienstes beim Umgang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund als Meßlatte an. Es geht dem Verfassungsschutz indessen nicht nur um Erkenntnisgewinn, sondern darüber hinaus um ein Szenario des Verrufs und der Bedrohung. Obgleich es sich um eine Partei handelt, die in demokratischen Wahlen Einzug ins Parlament auf Bundesebene gehalten hat, stigmatisiert man sie öffentlich als gefährlich und überwachungsbedürftig.

Daß der Verfassungsschutz in Teilen geheim operiert, in anderen öffentlich agiert, ist mithin weniger Zeichen einer zumindest ansatzweise greifenden demokratischen Kontrolle, als vielmehr Ausdruck einer Doppelstrategie. Indem zumindest ansatzweise offengelegt wird, wer unter welcher Verdachtslage beobachtet wird, mobilisiert man Vorbehalte in der Bevölkerung gegen Die Linke insgesamt. Darüber hinaus übt man Druck auf die Parteimitglieder aus, sich radikaler Positionen zu enthalten, und betreibt die Spaltung durch eine Unterscheidung in überwachte und nicht überwachte Einzelpersonen, Gremien oder Initiativen innerhalb der Partei.

Die Bundestagsfraktion der Linken hat bereits 2008 beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen die geheimdienstliche Beobachtung eingereicht. Der Thüringer Landtagsabgeordnete Bodo Ramelow erhob 2011 eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts, das seine Beobachtung gebilligt hatte. Wie es im damaligen Urteil hieß, könne die Gesamtentwicklung einer Partei nur dann verläßlich verfolgt werden, wenn auch nichtextremistische Spitzenpolitiker beobachtet würden. In beiden Fällen wird eine Beratung des Bundesverfassungsgerichts noch im ersten Halbjahr 2013 erwartet. [1] Wie im vergangenen Jahr publik geworden war, beobachtete der Verfassungsschutz mindestens 27 Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag, darunter insbesondere Anhänger des sogenannten Reformerflügels wie Gregor Gysi, Petra Pau, Dagmar Enkelmann, Katja Kipping und Dietmar Bartsch.

Nun ist bekannt geworden, daß angeblich nicht mehr die ganze Partei Die Linke vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sondern nur noch bestimmte Zirkel. Bereits am 16. November wies Innenminister Hans-Peter Friedrich das Bundesamt an, nicht mehr Die Linke als Gesamtpartei zu beobachten, sondern nur noch "offen extremistische Zusammenschlüsse" innerhalb der Partei. Ins Visier genommen werden demnach die knapp 1250 Mitglieder der Kommunistischen Plattform (KPF), die 300 Anhänger des Marxistischen Forums, die etwa 400 Aktivisten der Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí sowie die jeweils mehrere hundert Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) und der Sozialistischen Linken (SL). [2] Laut Verfassungsschutzbericht gehören dem 44köpfigen Parteivorstand elf Mitglieder solcher "offen extremistischen" Strömungen an. Unter den 16 Mitgliedern der Programmkommission seien sechs "Extremisten" gewesen. Auch Bundestagsabgeordnete der Linken werden weiterhin beobachtet. Waren es früher 27 von 76 Fraktionsmitgliedern, sind es jetzt noch 25. Soweit bekannt, wurden acht Namen, darunter Fraktionschef Gregor Gysi und die Parteivorsitzende Katja Kipping, von der Liste gestrichen, doch sind dafür sechs neue Namen hinzugekommen.

Am 21. November wurde das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags über den neuen Kurs informiert. Da die Geheimdienstkontrolleure jedoch Stillschweigen bewahren müssen, wurde die Öffentlichkeit lange Zeit nicht unterrichtet und hätte unter Umständen erst im Sommer bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts davon erfahren. Dies zeigt einmal mehr, wie zahnlos die proklamierte parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste de facto konzipiert ist.

Die Linke selbst fordert ein komplettes Ende der Überwachung und eine "umfassende öffentliche Stellungnahme" Friedrichs. Die Informationspolitik des Innenministers gegenüber dem Parlament sei "unterirdisch", sagte Katja Kipping. Man werde Mittel finden, "Aufklärung und eine Debatte zu erzwingen". [3] Gregor Gysi bezeichnete es als "völlig indiskutabel, Zusammenschlüsse in der Partei und 25 Bundestagsabgeordnete weiter oder neu auszuschnüffeln". Die Bundesregierung ignoriere, "dass die Bundestagsabgeordneten den Geheimdienst und nicht der Geheimdienst die Bundestagsabgeordneten zu kontrollieren hat". [4] Als "völlig ungenügend, taktisch motiviert und inakzeptabel", kritisierte der Bundestagsabgeordnete Jan Korte das Vorgehen des Innenministers. Anstatt sich angesichts des skandalösen Scheiterns bei der NSU-Mordserie und der unerträglichen Skandale des Verfassungsschutzes in Demut zu üben, verharre die Union im Kalten Krieg. Der Geheimdienstexperte Steffen Bockhahn versicherte: "Die Partei lässt sich nicht spalten und auseinanderdividieren. Wir werden weiter klagen, solange Teile der Partei als verfassungswidrig stigmatisiert werden."

Wie diese Stellungnahmen belegen, schätzt man in der Linkspartei die Initiative Friedrichs zutreffend als modifizierten Diskreditierungs- und Spaltungsversuch ein und verlangt, die Beobachtung seitens des Verfassungsschutzes vollständig einzustellen. Auf welch fruchtbaren Boden die Entscheidung des Innenministers bei den sonstigen im Bundestag vertretenen Parteien fällt, mag stellvertretend für andere eine Äußerung des Fraktionsgeschäftsführers der Grünen, Volker Beck, unterstreichen. "Frau Pau ist für alle ersichtlich eine anständige Demokratin", sagte er vergangene Woche nach einer Anhörung im Rechtsausschuß des Bundestages. Von einer solchen Verteidigung Petra Paus dürfte es nur noch ein kleiner Schritt dahin sein, eine geheimdienstliche Beobachtung all jener gutzuheißen, die man nicht unter die "anständigen Demokraten" subsumieren möchte.

Fußnoten:

[1] http://www.taz.de/Im-Visier-des-Verfassungschutzes-/!109561/

[2] http://www.jungewelt.de/2013/01-24/052.php

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article113091313/Linke-loest-Streit-unter-CSU-Innenministern-aus.html

[4] http://www.stern.de/politik/deutschland/beobachtung-durch-verfassungsschutz-linke-fordert-vollstaendiges-ende-ihrer-ueberwachung-1959825.html

24. Januar 2013