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REPRESSION/1470: Hochsicherheitstrakt London - Olympische Idee perfektioniert (SB)




Der Geist Olympias findet bei den bevorstehenden Sommerspielen 2012 in London seine zeitgemäße Perfektion. War der historisch nie verbürgte Mythos, wonach im antiken Griechenland für die Zeit der Olympischen Spiele allerorten die Waffen geschwiegen hätten, zunächst kaum mehr als eine geschichtsverklärende Schwärmerei des Baron de Coubertin, so fiel sein anfangs belächelter Geniestreich alsbald auf fruchtbaren Boden. Die Jugend der Völker zu sportlichen Spielen zusammenzuführen und dabei die Ursachen des Krieges wie auch dessen Fortsetzung mit Mitteln des Friedens vollständig auszublenden barg ein faszinierendes Potential herrschaftssichernder Ideologie. Was der französische Adelige unter Absehung von der kapitalistischen Klassengesellschaft und deren imperialistischer Expansion als Modell der Völkerverständigung ausgebraten hatte, erhob jene in den Rang einer gleichsam natürlichen Ordnung, welche die Hochblüte nationalistischer Aufrüstung und Kolonialpolitik mit dem Siegerkranz inszenierten Scheinfriedens in den Metropolen der Weltmächte verbrämte.

Sternstunden dieser strategischen Meisterleistung wie die Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und Berlin, mit denen das nationalsozialistische Deutschland die Repression im Innern ebenso erfolgreich verschleierte wie die Vorbereitung des nächsten Weltkriegs, folgten Jahrzehnte später die aus explizit politischen Gründen vom jeweils gegnerischen Lager boykottierten Spiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles. Wären laufende Waffengänge in fremden Ländern tatsächlich ein Anlaß gewesen, Angriffskriege führende Staaten vom olympischen Geschäft auszuschließen, hätte sich insbesondere die Medaillenausbeute der USA auf ein Minimum reduziert. Inzwischen ist man längst darüber hinweg, solche Gedanken auch nur in Erwägung zu ziehen, und nutzt das Sportspektakel, um zeitgemäßeren Erfordernissen die Sporen zu geben.

In Britannien, dessen weithin verelendete Bevölkerung allen Grund hätte, sich gegen das Regime forcierten Sozialabbaus zu erheben und dies in unvorhersehbar ausbrechenden Riots sogar sporadisch tut, feiert der Sicherheitsstaat mit der Inszenierung Olympias Urstände. Die Perversion, menschliches Streben nach Sicherheit in Gestalt eines halbwegs erträglichen Auskommens und eines Lebens in Würde mit der staatlichen Garantie zu konterkarieren, jegliche Rebellion gegen erdrückende Verhältnisse mit Sicherheit im Keim zu ersticken, wird derzeit unter monströsem finanziellen Aufwand an Steuergeldern vor den Augen der beifallspendenden Welt demonstrativ in Stellung gebracht.

Welche Unsummen einer Verwendung zugunsten der notleidenden Bevölkerung durch das Spektakel entzogen werden, wird man nie mit Sicherheit erfahren. Hatte man bei der Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2005 Kosten in Höhe von 2,4 Milliarden Pfund veranschlagt, so haben sich die Ausgaben nach offizieller Lesart inzwischen vervierfacht, wobei das etlichen Abgeordneten zufolge sogar noch schöngerechnet ist. Die genannten Kosten von 9,3 Milliarden Pfund (11,1 Milliarden Euro) würden schon jetzt um zwei Milliarden Pfund (2,4 Milliarden Euro) überschritten, heißt es in einem aktuellen Bericht des parlamentarischen Finanzausschusses.

Um die Acht-Millionen-Stadt bei den Olympischen Spielen, die am 27. Juli in London beginnen, zumindest im Zentrum in eine Hochsicherheitszone zu verwandeln, wird mit bis zu 17.000 eingesetzten Soldaten die größte britische Militäroperation seit dem Koreakrieg durchgeführt. Zudem standen seit 1945 nicht mehr so viele britische Soldaten auf heimischem Boden im Einsatz, so daß selbst der Afghanistankrieg in punkto Truppenstärke hinter der aktuellen Militarisierung der Innenpolitik verblaßt. Nachdem insbesondere die US-Regierung moniert hatte, daß die Spiele nicht ausreichend gegen Terroranschläge geschützt seien, sah sich das olympische Organisationskomitees Locog genötigt, die ursprünglich veranschlagten 10.000 Sicherheitskräfte auf 23.000 aufzustocken, um innerhalb und außerhalb der 34 Wettkampfstätten ausreichend Wache zu schieben.

Damit nicht genug, werden erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs Boden-Luft-Raketen auf den Dächern von Wohnhäusern und in öffentlichen Parks stationiert. Kampfflugzeuge werden in der Luft sein, und mit der HMS Ocean ankert einer der modernsten Kreuzer der Royal Navy in der Themse, um bei Bedarf Lynx-Hubschrauber loszuschicken, während Scharfschützen notfalls tieffliegende Angriffsziele oder wen auch immer unter Feuer nehmen können. Die geplanten Kürzungen bei der Polizei wurden verschoben, damit man fast 10.000 Polizisten allein in London aufbieten kann. [1]

Für die jüngste Panne bei den mitunter chaotischen Vorbereitungen zeichnet der weltgrößte Anbieter von Sicherheitsdienstleistungen, G4S, verantwortlich. Vor dem Innenausschuß des Unterhauses räumte der Vorstandschef der Olympia-Sicherheitsfirma, Nick Buckles, reumütig ein, daß sein Unternehmen ein "beschämendes Chaos" hinterlassen habe. Die Firma hatte sich vertraglich verpflichtet, 10.400 geschulte Männer und Frauen für die Security bereitzustellen, kann aber eigenen Angaben zufolge bis zum Beginn der Spiele nur 7.000 Sicherheitsleute rekrutieren. Stattdessen mußte nun die britische Armee ihr Kontingent von 13.500 auf 17.000 Soldaten aufstocken. Nach eigener Schätzung gehen dem Unternehmen deswegen bis zu 50 Millionen britische Pfund verloren, zudem hat G4S durch die Kritik der vergangenen Tage bis zu 500 Millionen Euro seines aktuellen Börsenwertes eingebüßt. [2]

Um eine reale Gefahrenlage vorzuhalten, hatte der Chef des Inlandsgeheimdienstes, John Evans, die Spiele kürzlich nebulös als "attraktives Ziel für unsere Gegner" bezeichnet. Vergangene Woche wurde eine Gruppe "mutmaßlicher Terroristen" in der Nähe des Olympia-Geländes verhaftet und inzwischen wegen Planung eines Attentats angeklagt. Der Fall habe aber keine direkte Beziehung zu den Spielen, erklärte die Polizei. Wie um das Maß an Absurdität der angeblichen Bedrohung vollzumachen, wußte die britische Sonntagszeitung Observer zu berichten, daß mehrere Terrorverdächtige in den vergangenen Tagen unerkannt die Paßkontrolle am Flughafen Heathrow passiert hätten. Befürchtungen, die Sicherheit der Spiele werde durch die gravierenden Probleme mit dem Sicherheitsdienstleister G4S kompromittiert, wiesen Politiker und die Olympia-Behörden entschieden zurück. "Wir haben die feinsten Soldaten der Welt. Sie stehen bereit, ihre Pflicht zu tun, was immer die Nation verlangt", verkündete Innenministerin Theresa May theatralisch. Eine spezifische Bedrohung gebe es aber nicht.

"Ich will, dass die Menschen zu den Spielen kommen und sich so fühlen, dass sie in einer Stadt in Feierlaune sind und nicht in einem Hochsicherheitstrakt", hatte der ehemalige Olympiasieger, konservative Politiker und Organisationschef Sebastian Coe noch vor wenigen Wochen erklärt. Das hört sich inzwischen schon anders an. Wie Coe nun versichert, sei die Sicherheit der Spiele trotz des Planungsdebakels gewährleistet. Durch das Einspringen der Armee habe sich lediglich der Mix geändert, nicht die Zahl der Sicherheitskräfte: "Ja, wir werden sichere Spiele abliefern!" Ein Sprecher der Austragungsbehörde fügte beschwichtigend hinzu: "Die Sicherung der Spiele ist eine komplizierte Aufgabe, die besten Köpfe des Landes sind damit befasst."

Das hört der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, gern: "Die Regierung hat uns erneut versichert, dass das Sicherheitskonzept steht. Die zusätzlichen Soldaten beruhigen uns in der Sicherheitsfrage", lobte der Belgier die schnelle Reaktion der britischen Regierung auf die kurzfristig entstandene Sicherheitslücke. Die Olympia-Macher hätten ein hohes Maß an Flexibilität bewiesen: "Natürlich steht Sicherheit an erster Stelle und ist für alle wichtig." Die Soldaten "werden nicht mit Maschinengewehren rumlaufen und nicht sichtbar oder störend sein. Sie werden den Spaß nicht verderben", übte sich Rogge in prophetischer Gabe. [3]

Der Olympia-Park glich am Wochenende zeitweise einem Kasernenhof, Besucher des Geländes wurden von Afghanistan-erprobten Soldaten durchsucht. Dabei dürfte der Eindruck, in ein Großmanöver geraten zu sein, durchaus den Tatsachen entsprechen, handelt es sich doch um einen Militäreinsatz im Zentrum der Hauptstadt, wie er in dieser Dimension nie zuvor durchgeführt worden ist. Einmal vorausgesetzt, den Sicherheitsdienstleister G4S habe die Komplexität der Aufgabe tatsächlich überfordert, so ist sein Versagen bei der Rekrutierung unter dem Strich ein Segen für die Protagonisten einer noch repressiveren Innenpolitik. Diffuse Ängste der Bevölkerung und Besucher werden zusätzlich geschürt, die Militärs sind zur Stelle um auszuhelfen, daß noch die kleinste "Sicherheitslücke" gestopft wird.

Überdies werden mehr als 500 Beamte vom Inlandsgeheimdienst MI5 zur Stelle sein, um beim Jahrestag der Riots, die Anfang August 2011 von London aus auf andere Städte übergriffen, einer Wiederholung zu wehren. Eine Polizeieinheit überwacht deshalb Twitter, Facebook und andere soziale Medien auf kleinste Hinweise darauf, daß sich irgend etwas zusammenbraut. Damit dürfte die Frage im wesentlichen beantwortet sein, wofür sich der ungeheure personelle und finanzielle Aufwand, bei den Sommerspielen 2012 in London olympischen Geist auf beispiellose Weise mit dem hochgerüsteten Sicherheitsstaat zu verschmelzen, aus dessen Sicht als Investition in die Zukunft allemal lohnt.



Fußnoten:

[1] http://www.taz.de/!97275/

[2] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1338854

[3] http://www.sport.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2012/07/17/London-2012/London-2012-Mit-allen-Mitteln-gegen-Sicherheitsluecken

17. Juli 2012