Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1455: Wie demokratisch ist dieser Staat? Parteiverbot schon bei Gesinnungsverdacht (SB)



Was verteidigen die Sachwalter der "wehrhaften Demokratie", wenn sie eine Partei geheimdienstlich überwachen lassen, die keineswegs die gewaltsame Überwindung der herrschenden Ordnung auf ihre Fahnen geschrieben hat, sondern deren Mitglieder sich nicht mehr herausnehmen, als die langfristige Veränderung der Gesellschaft im Sinne eines demokratischen Sozialismus in ihr Programm zu schreiben? Sie sichern die Hegemonie bürgerlicher Eliten, die den kapitalistischen Charakter der Gesellschaft zum zentralen Pfeiler der Staatsräson erhoben haben, obwohl davon kein Wort im Grundgesetz steht. Sie insistieren auf eine Eigentumsordnung, die trotz des ihr eigenen, mit der beanspruchten christlichen Moral über Kreuz liegenden räuberischen Charakters mit einer Ewigkeitsgarantie versehen werden soll. Sie pochen auf das Vorrecht, auf aggressive Weise Kriege zu führen, obwohl im Gründungskonsens der BRD wie DDR niemals wieder von deutschem Boden derartige Gewaltakte ausgehen sollten.

So verdichtet sich der freiheitlich-demokratische Wertekonsens selbst zur Totalität einer ideologischen Norm, die des Schattenrisses der Extremismusdoktrin dringend bedarf, um die in seinem Namen praktizierte Repression zu legitimieren. Wenn im Auswurf massenmedialer und politischer Exposition der Linkspartei bereits das bloße Nachdenken über "Wege zum Kommunismus" oder der humanitäre Einsatz gegen die israelische Blockade Gazas den Einsatz antidemokratischer Mittel rechtfertigt, dann braucht man auf einen Mangel an Bereitschaft, im Ernstfall die politische Opposition mit exekutiver Ermächtigung mundtot zu machen, nicht zu hoffen.

Ein solcher kann schon eintreten, wenn größere Teile der Bevölkerung versuchen, mit Hilfe massenhafter Aktionen des zivilen Widerstands oder eines Generalstreiks die ihnen aufoktroyierte Mangelordnung zu Lasten der davon profitierenden Klasse aufzuheben. Beunruhigt wird die Kapitalmacht nicht durch kleine Minderheiten, die das Fernziel einer kommunistischen Gesellschaft nicht aufgeben wollen, oder durch Menschenrechtsaktivisten, die offenkundiges Unrecht anprangern. Sie strebt die Etablierung unumkehrbarer Verhältnisse an, weil die Gründe, die herrschende Ordnung in Frage zu stellen, durch die weltweite soziale Misere immer mehr an die Oberfläche des gesellschaftlichen Widerstreits drängen. Zur offenen Frage, wieso die Fortschritte der Produktivkraftentwicklung nicht längst den Wohlstand der Arbeiter vergrößert haben, sondern ihn ganz im Gegenteil immer weiter schmälern, gesellt sich ein Angriff des Kapitals auf die Lebenschancen ganzer Bevölkerungen, wie ihn Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat.

Es ist daher nicht erstaunlich, daß der Antikommunismus des Kalten Krieges das Verschwinden der realsozialistischen Staatenwelt nicht nur überdauert hat, sondern mit anwachsender Aggressivität gegen alle Formen des sozialen Widerstands zu Felde zieht. Die geheimdienstliche Überwachung der Linkspartei kann nicht als zahnloses Studieren offener Quellen verharmlost werden, wenn im Hintergrund die Möglichkeit eines Parteiverbots nach Artikel 21, Absatz 2 Grundgesetz droht. In den Unionsparteien laut werdende Stimmen, die der Linken nichts anderes als dies wünschen, belegen, daß es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handelt, das Wählervotum von Millionen Bundesbürgern in einem Akt legalistischer Außerkraftsetzung demokratischer Rechte ungültig zu machen. Wer nach dem Ende der DDR und dem Niedergang der Linken glaubte, daß Verbot der KPD vom 17. August 1956 und die Verfolgung und Inhaftierung tausender Kommunisten in der BRD habe sich überlebt, darf sich heute eines schlechteren belehren lassen.

Schon damals wollte man sich nicht auf das vielzitierte Wirtschaftswunder verlassen, sondern hielt die politische Opposition offensiv in Schach. Die rasante Wiederbewaffnung der Bundesrepublik hatte in der noch unter Eindruck der Kriegskatastrophe stehenden Bevölkerung erheblichen Widerstand auf den Plan gerufen, dem die Spitze genommen werden mußte. Der westdeutsche Frontstaat, dessen erster Präsident Theodor Heuss als Reichstagsabgeordneter am 23. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zustimmte, hatte das NS-System nur oberflächlich überwunden und wies personelle, institutionelle wie ideologische Kontinuitäten auf, so daß sich die DDR trotz des fordistischen Klassenkompromisses als Systemalternative anbot. Als parteipolitische Kraft war die KPD, deren Mitglieder im Widerstand gegen die Nazis einen besonders hohen Blutzoll geleistet hatten, zwar Mitte der fünfziger Jahre aufgrund ihrer andauernden Verfolgung kaum mehr von Belang. Als Kristallisationskern der außerparlamentarischen Opposition und Alternative zu einer Sozialdemokratie, die sich auf dem Weg befand, allen klassenkämpferischen Traditionen abzuschwören, mußte sie dennoch ausgeschaltet werden.

"Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht auf Erfolg besteht. Wenn die verfassungsfeindliche Absicht überhaupt nachweisbar ist, braucht nicht abgewartet zu werden."

Dieser zum harten Durchgreifen gegen angebliche Staatsfeinde auffordernde Passus der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der KPD hat heute noch und wieder Vorbildcharakter, wie die anhaltenden Versuche belegen, selbst reformistische Linke als Gesinnungstäter und schlimmeres zu brandmarken. Die Gesellschaft steht vor sozialen Verwerfungen, die Weimarer Verhältnisse heraufbeschwören, nur daß die Horizonte administrativer Verfügungsgewalt heute suprastaatlich entufert sind, so daß es mit dem bloßen Überschreiten der Landesgrenzen nicht mehr getan ist, um einer politisch bedrängten Lage zu entkommen. Sollten sich nennenswerte Teile der europäischen Bevölkerung nicht mehr durch die Strategie des Teilens und Herrschens, durch nationalistische Indoktrination und mediale Verdummung davon abhalten lassen, für ihre Ansprüche einzutreten, dann wird der Gefahr ihrer grenzüberschreitenden Solidarisierung mit bereits etablierten Strukturen des überstaatlichen Krisenmanagements und Ausnahmezustands entsprochen. Als Emanzipation der Bevölkerungen zur demokratischen Selbstbestimmung gegen die Diktatur des Verwertungsprimats wollte man die in Fensterreden gefeierte Überwindung der europäischen Staatenkonkurrenz jedenfalls nicht verstanden wissen.

Auch deshalb ist der Extremismus der Mitte, den geistige Brandstifter gutbürgerlichen, liberalkonservativen bis sozialdemokratischen Zuschnitts propagieren, so sakrosankt, wie das Naziunwesen zwar politisch bekämpft wird, dabei jedoch stets Handlungsvorlagen für die Verschärfung der Repression gegen jede mißliebige Opposition liefert. In der Affäre um die Morde der Zwickauer Zelle werden die Inlandsgeheimdienste nicht umsonst mit der Behauptung exkulpiert, Fehler begangen zu haben, anstatt ihrer antidemokratischen Befugnisse entledigt zu werden. Man braucht sie noch, denn der Feind steht wie immer links. Die Zeiten, in denen ein wohlmeinender Liberalismus, wie ihn etwa der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann mit seinem Eintreten für die Entkriminalisierung von Kommunisten an den Tag legte, noch zur Legitimation bürgerlicher Herrschaft erforderlich war, sind vorbei. Kapitalistische Verwertung und sozialdarwinistische Zurichtung feiern Triumphe einer Legitimation, die mit immer kleinerer Münze zu erlangen ist, wie die Haltlosigkeit der gegen die Linkspartei gerichteten Vorwürfe und Kampagnen belegen.

24. Januar 2012