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REPRESSION/1451: Eyes wide shut - Rechtsextreme Anschläge im Saarland (SB)



Wenn innerhalb von fünf Jahren in einem eng begrenzten Gebiet wie der Innenstadt Völklingens zehn Brandanschläge auf vorwiegend von Türken bewohnte Häuser verübt werden und die Polizei nicht verschärft in Richtung Rechtsextremismus ermittelt, zeugt das von erheblicher Ignoranz der Behörden. Bedenkt man dann noch die Daten der Vorfälle - dreimal brannte es an einem 3. September (Machtergreifung der NSDAP), einmal am 20. April (Hitlers Geburtstag) und dreimal an einem 5. August (Sieg des habsburgischen Heeres über das türkische Heer) -, dann sticht der fremdenfeindliche Kontext der Vorfälle so sehr ins Auge, daß er selbst für einen Plot in einer TV-Polizeiserie zu simpel wäre.

Doch erst jetzt, nachdem es zwischen dem 3. September 2006 und dem 3. September 2011 in der saarländischen 40.000-Einwohner-Stadt zehnmal gebrannt hat, will die Polizei auf diesen Zusammenhang gestoßen sein. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Freitag berichtete [1], besteht offenbar eine Verbindung des "Zwickauer Terror-Trios" zu den Brandstiftungen. Das gehe aus einer Bekenner-DVD hervor, die Beate Zschäpe nach dem Tod ihrer mutmaßlichen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November in Zwickau an eine türkische Einrichtung in Völklingen geschickt hatte. Dem Datenträger ist außerdem zu entnehmen, daß der Bombenanschlag am 9. März 1999 auf die in rechten Kreisen verhaßte Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" in der Saarbrückener Volkshochschule ebenfalls auf Konto des Zwickauer Trios gehen.

Sind die Behörden "auf dem rechten Auge blind"? Nein, hatte noch am 1. Dezember, als die enge Zusammenarbeit von Verfassungschutz und Neonazis längst enthüllt war, FAZ-Kommentator Reinhard Müller behauptet. Er begründete seine Einschätzung damit, daß Deutschland "mit aller Rechtsmacht" versuche, "die Untaten einer rechtsextremistischen Terrorgruppe" aufzuklären. Generalbundesanwalt Range habe zu Recht von einem "bisher nicht bekannten Maß an Brutalität, Kaltblütigkeit und Fremdenhass" gesprochen.

Hier findet bereits sprachlich eine Verschleierung des von den Behörden gedeckten Rechtsextremismus in Deutschland statt: "Unbekannt" konnte das Maß an Brutalität, Kaltblütigkeit und Fremdenhaß ja nur bleiben, weil man es nicht erkennen wollte. Wäre man hingegen bereit gewesen, zu hören, was die bei den Brandanschlägen verletzten und anderen Bewohner der in Brand gesetzten Häuser in Völklingen zu sagen hatten, würde einem eher die Zunge im Mund verfaulen, als daß man das Wort "unbekannt" in den Mund nähme.

Indem FAZ-Kommentator Müller das Wort "Untaten" verwendet, verlegt er die Ereignisse ins Unerklärliche, Unvorstellbare und macht sie damit fast schon ungeschehen. Als käme das Motiv zu den Anschlägen aus einer unwirklichen Dimension. Das kamen sie nicht. Es handelte sich weniger um Untaten als um Taten. Die waren banal. Brandstiftungen und Mordversuche sind Verbrechen, denen sich die Polizei regelmäßig widmet. Geschehen sie in einer Serie, läßt das auf eine gleiche Täterschaft schließen.

Die Anschläge zu "Untaten" zu (v)erklären bedeutet nur, Abstand zu nehmen, und sie nicht als das erkennen zu wollen, was Türken, Araber und andere, vom Äußeren her zu mutmaßende Ausländer tagtäglich mindestens verbal erfahren müssen, wenn sie lautstark oder flüsternd vertrieben, verletzt, gemordet werden.

Auch die großspurig inszenierte Bitte der Polizei an die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung von Verbrechen erfüllt eine Verschleierungsfunktion, denn es wird damit nur das zugestanden, was nicht mehr zu verdecken war. Wesentlich aber bleibt die enge Verflochtenheit von Verfassungsschutz und rechtsextremer Szene unter dem Deckel. Wer einen Fahndungsaufruf von Verstorbenen ausgibt, unterstellt damit, daß er nicht gewußt hat, wo sich die auf dem Plakat gezeigten Personen aufhielten. Genau das muß jedoch mit Blick auf die Vielzahl an V-Leuten in der rechten Szene und damit in unmittelbarer Kontaktfläche zum Zwickauer Trio bezweifelt werden.

Die vielen, wenngleich noch viel zu wenigen ans Licht gekommenen Machenschaften der Geheimdienste im Zusammenhang mit den Mord- und Anschlagserien belegen: 1. Extremismus ist eine Erfindung des Sicherheitsstaats, um die Bevölkerung von allen Seiten unter Druck zu setzen und so verfügbar zu machen. 2. Man bedient sich dabei Personen, die extremste Mittel einsetzen.

3. Dezember 2011