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REPRESSION/1448: Geheimdienste und Parteiverbot ... Demokratie im Ausnahmezustand (SB)



Die in Vermeidung virulenter Fragen zur Verantwortung, die dem Staat möglicherweise für die Mordserie der Thüringer-NS-Zelle zufällt, wieder entflammte Debatte um ein Verbot der NPD gibt ihrerseits Anlaß, über das Verhältnis von exekutiver Gewalt und bürgerlicher Freiheit nachzudenken. Gerade weil die NPD und ihre rechtsradikalen Parteigänger Verfechter einer zu Lasten der politischen Opposition gehenden Verabsolutierung der Staatsgewalt sind, sollten die gegen sie verwendeten Mittel jeder derartigen Entwicklung diametral entgegengesetzt sein. Die nun gemachten Vorschläge zur verbesserten Bekämpfung des sogenannten Rechtsterrorismus weisen jedoch selbst starke Züge einer staatsautoritären Ermächtigung auf, die etwa bei der Aufhebung des Trennungsgebots zwischen Geheimdiensten und Polizeibehörden strukturell an die unselige Tradition einer Geheimen Staatspolizei anknüpft. Es lohnt sich daher, noch einmal das gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD unter dem Gesichtspunkt, wer hier eigentlich gegen wen antritt, Revue passieren zu lassen.

Das von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag Anfang 2001 beim Bundesverfassungsgericht beantragte Verbot der NPD nahm ein Jahr später mit der Enttarnung des V-Mannes Wolfgang Frenz, der als Gründungsmitglied der NPD und hochrangiger Parteifunktionär 36 Jahre lang im Dienst des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen stand und insbesondere für einen großen Teil des im Verbotsantrag aufgeführten Belastungsmaterials antisemitischen Inhalts verantwortlich zeichnete, eine Wende, die sich als äußerst peinlich für die Inlandsgeheimdienste erweisen sollte. So zeigte sich, daß die NPD gerade in der Führungsebene hochgradig von V-Männern unterwandert war. Rund 30 der insgesamt 200 NPD-Vorstandsmitglieder standen seit langem im Sold des Staates, was das Karlsruher Gericht zu der Frage veranlaßte, inwiefern diese selbst an der Entstehung der Beweise teilhatten, die die Antragsteller gegen die NPD ins Feld führten.

Diese konnten nicht überzeugend plausibel machen, daß es sich bei ihren V-Leuten in keiner Weise um Einflußagenten handelte. So wurden immer wieder V-Männer enttarnt, die sich an der Agitationsarbeit der Partei beteiligten und dafür bisweilen sogar ihren Spitzellohn einsetzten. In einigen Fällen waren Nazis, die als V-Leute fungierten, auch an Gewalttaten gegen Ausländer involviert. Die Behauptung der Verfassungsschutzämter, ihre V-Leute beschränkten sich auf die Informationsbeschaffung, konnte jedenfalls nicht glaubwürdig erhärtet werden.

Nachdem ruchbar geworden war, daß einige Zeugen der Antragsteller im Verbotsverfahren auf zwei Schultern trugen, verlangte der damalige Bundesinnnenminister Otto Schily, der den Verbotsantrag zusammen mit dem damaligen bayrischen Innenminister Günther Beckstein maßgeblich vorangetrieben hatte, V-Leute unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu vernehmen, um ihre Identität zu schützen. Der geheim operierende Staatsschutz wollte ein Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung für die Herrschaftsausübung in diesem Lande okkupieren und ein Gericht, das Vorbildfunktion für den demokratischen Charakter der Bundesrepublik haben sollte, mit seinen undemokratischen Praktiken unterminieren, nur um seine Agenten in der zu verbietenden Partei nicht abziehen zu müssen.

Die Bund-Länder-Kommission, die den Verbotsantrag vorbereitete, hatte sich darauf festgelegt, keine Aussagen von V-Leuten zu verwenden. Beckstein erklärte jedoch im Namen der Antragsteller, man wollte die V-Leute-Problematik in den Eröffnungsplädoyers "abstrakt" darstellen, da man "große Zurückhaltung" beim Enthüllen ihrer Namen vereinbart habe. Seiner Aussage nach soll es unter den Antragstellern "allgemeine Meinung" gewesen sein, aktive oder ehemalige V-Leute als Zeugen zu benennen, und überhaupt sei man im Fall Frenz korrekt vorgegangen, da es "nicht zwingend geboten gewesen" wäre, das Gericht vorher über dessen Vergangenheit als Informant des Verfassungsschutzes aufzuklären.

Das ARD-Magazin Report Mainz konnte am 28. Januar 2002 dokumentieren, wie bemüht man beim Landesamt für Verfassungsschutz NRW war, den Zeugen Frenz vor seinem Auftritt in Karlsruhe zu präparieren. Nachdem der NPD-Funktionär, der in der Sendung noch einmal ausführlich darlegte, daß seine Kontakte zu den Geheimdienstlern nicht nur eng, sondern sogar freundschaftlich waren, aus Karlsruhe die Ladung als Zeuge für das Verbotsverfahren erhalten hatte, trat er mit seinen ehemaligen Auftraggebern im Düsseldorfer Innenministerium in Kontakt, um sich instruieren zu lassen. Bei einem Treffen mit Beamten des Verfassungsschutzes in seinem Wohnort Solingen wurden Frenz zwei auf den 3. Januar 2001 datierte Schreiben überreicht. Bei dem ersten Dokument handelte es sich um die Aussagegenehmigung für das Gericht, die laut Frenz möglichst nicht vorgelegt werden sollte:

"Und dann war also dieses Gespräch, wo mir dann also diese begrenzte Aussagegenehmigung ausgehändigt wurde mit der Belehrung, nicht darauf einzugehen. Wahrscheinlich würde also überhaupt nicht diese Sache also zur Sprache kommen, meine frühere Tätigkeit für das Amt für Verfassungsschutz."

Bei dem zweiten Dokument handelte es sich um ein persönlich an Frenz gerichtetes und vom Chef des Verfassungsschutzes NRW, Hartwig Möller, abgezeichnetes Schreiben, aus dem Report Mainz folgenden Satz hervorhob:

"Mit Rücksicht auf das Verfahren vor dem BVerfG und Respekt vor dem BVerfG sollte ein persönliches Gespräch zum jetzigen Zeitpunkt unterbleiben, um jeden Verdacht einer Beeinflussung zu vermeiden."

Da dieses Gespräch jedoch stattfand, nämlich bei der Übergabe der beiden Schriftstücke, und man Frenz dabei nahelegte, seine Identität möglichst nicht zu enthüllen, wollten sich die Düsseldorfer Verfassungsschutzbeamten offensichtlich durch die Erteilung einer offiziellen Aussagegenehmigung wie auch die angebliche Rücksichtnahme auf die Integrität des Verfassungsgerichts gegen den Vorwurf der Manipulation absichern, aber nur, um sie dennoch vorzunehmen. Frenz jedenfalls behauptete:

"Es war also eine Geheimhaltung vereinbart worden zwischen den Beamten und mir auf Gegenseitigkeit."

Das ARD-Magazin belegte die Stichhaltigkeit der Angaben von Frenz mit einem Zitat aus dem vom Verfassungsschutzpräsidenten unterzeichneten persönlichen Schreiben:

"Das Innenministerium ist nicht daran interessiert, ihre Tätigkeit für die nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörden zu veröffentlichen und wird dies ohne Anlaß auch nicht mitteilen."

Die "rein vorsorglich" vorgenommene Aussagegenehmigung am Schluß des Schreibens war offensichtlich nur für den Notfall eingeplant. Allem Anschein nach wollte man den so wichtigen Zeugen, aus dessen 1998 veröffentlichtem Buch von stark antisemitischem Gehalt ausführlich im Beweismaterial zitiert wurde, ohne Erwähnung seiner Informantentätigkeit vor dem Karlsruher Gericht aussagen lassen. Dabei war den Beamten der Düsseldorfer Behörde allemal bewußt, was sie taten, wurden doch die diversen vor die Mikrofone zitierten ehemaligen und aktiven Verfassungsschutzbeamten nicht müde zu betonen, daß man sich strikt an die Auflage halte, durch die V-Leute keinen Einfluß auf das Geschehen in der NPD zu nehmen.

Manipulationen dieser Art wurden von den Innenministern und ihren Geheimdienstchefs damit gerechtfertigt, alles erfolge nur zum Schutz der V-Leute und damit im Interesse der staatlichen Aufklärungsarbeit. Zwar hatte man das NPD-Verbot beantragt, wollte aber keine Zugeständnisse an die Transparenz des Verfahrens machen, wie der als "streng vertraulich" ausgewiesene Schriftsatz, den die Antragsteller den Karlsruher Richtern übermittelten, belegte. Darin wurde das Gericht gebeten, "einen Weg der Offenbarung darzulegen", der die Informationen der V-Leute verwertbar mache, die Informanten aber schütze.

Die Staatsschützer legten es praktisch darauf an, mittels eines Geheimverfahrens in die demokratische Willensbildung einzugreifen, um eine mißliebige Partei aus dem Verkehr zu ziehen. Wie auch immer die Gründe beschaffen waren, die NPD verbieten zu lassen, so korrumpieren Verfassungsschützer, deren Praktiken das Gegenteil dessen repräsentieren, was es zu verhindern gilt, den demokratischen Anspruch eines demokratietheoretisch ohnehin fragwürdigen Parteiverbots. Wären die zum Verbotsverfahren geltend gemachten Gründe im Sinne des Grundgesetzes von überragender Relevanz gewesen, dann hätte es eines solchen Vorgehens nicht bedurft. Die Transparenz eines Parteiverbotsverfahrens vor dem Verfassungsgericht mit dem Mittel der Geheimhaltung aufzuheben nährte allerdings den Verdacht, daß die Geheimdienste nicht wirklich glaubhaft machen konnten, an der Entstehung der zum Parteiverbot angeführten Gründe gänzlich unbeteiligt gewesen zu sein. Hätte das Verfahren dennoch zum Erfolg geführt, dann wäre daraus auch eine Bedrohung für Parteien auf der anderen Seite des politischen Spektrums erwachsen.

Als das Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren im März 2003 endgültig einstellte, machte es die Antragsteller nicht nur für die Unterwanderung der NPD und den daraus resultierenden Problemen für ein Verbot der Partei verantwortlich, sondern bezichtigte sie auch, ihren Antrag mit Aktivitäten und Aussagen dieser V-Leute begründet und diesen Sachverhalt nicht rechtzeitig öffentlich gemacht zu haben. Aufgrund dessen konnte das Gericht nicht mit den Antragstellern übereinstimmen, daß die NPD mit der verbotenen NSDAP "wesensverwandt" sei und auf "aktiv-kämpferische, aggressive Weise" versuche, "die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen". Diese sich aus Art. 21 Abs. 2 GG und dem Verbotsbeschluß des BVerfG gegen die KPD aus dem Jahre 1956 ergebenden Voraussetzungen konnten nicht erfüllt werden, da die eindeutige Herkunft des Beweismaterials aufgrund der staatlichen Einflußnahme auf die Führungsebene der NPD nicht geklärt werden konnte.

Die von Schily und Beckstein zur Rechtfertigung ihrer Position geltend gemachte Tatsache, daß eine zahlenmäßige Mehrheit der Verfassungsrichter für die Fortsetzung des Verbotsverfahrens gewesen sei, stellte nichts Geringeres als einen Affront gegenüber der Verfassung dar, die sie zu schützen behaupteten. Aufgrund der besonderen Bedeutung eines Parteiverbotsverfahren in einer auf Parteien basierenden Demokratie, die im übrigen die einzige in der EU ist, die zu diesem autokratischen Mittel greift, hat der Gesetzgeber bestimmt, daß es für alle Entscheidungen, die sich nachteilig auf die zu verbietende Partei auswirken, einer qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln der Verfassungsrichter bedarf.

Im Falle des NPD-Verbotsverfahrens waren drei von insgesamt sieben Richtern des Zweiten Senats der Ansicht, daß sich die genannten Verfahrenshindernisse nachteilig auf das Recht der NPD ausgewirkt hätten, nach Artikel 21 Grundgesetz "bei der politischen Willensbildung des Volkes" mitzuwirken. Die in den Augen einer Mehrheit der Richter gegebene Verfassungswidrigkeit der NPD war nicht Gegenstand dieser Entscheidung, wie das Gericht in seiner Begründung ausdrücklich betonte. Es befand nicht, wie im Verbotsverfahren vorgesehen, über die Demokratietauglichkeit der NPD, sondern mußte sich mit der Praxis der Antragsteller auseinandersetzen, die Partei angeblich zum Schutz der Verfassung mit V-Leuten unterwandert zu haben, von denen man nachher nicht mehr wußte, inwiefern sie über ihre Funktion als Zuträger des Staates hinaus zum verfassungswidrigen Charakter der Partei beigetragen hatten.

Die NPD gehört seit jeher zu der Partei mit der größten Dichte an staatlichen Informanten, und das seit ihrer Gründung in den frühen sechziger Jahren. Die personelle Kontinuität bundesrepublikanischer Geheimdienste mit ihren Vorgängerorganisationen der NS-Zeit ist weitreichend belegt und ergab sich schon aus der Tatsache, daß der antibolschewistische Kampf vor 1945 in Gestalt des Antikommunismus des Kalten Krieges relativ bruchlos fortgesetzt wurde. Der Begründer der NPD, Adolf von Thadden, fungierte von 1967 bis 1976 als Informant des britischen Geheimdienstes, der sich von ihm Interna über die Partei besorgte, angeblich um sich zu vergewissern, daß eine Restauration des Nationalsozialismus in Deutschland ausgeschlossen sei. Während im Verfassungsschutz Staatsschutzbeamte des NS-Regimes bis in die sechziger und siebziger Jahre hinein in führender Position den Kampf gegen links organisierten, sorgt die hochgradige Übereinstimmung rechtsradikaler Doktrin mit der Ideologie des starken Staates bis heute dafür, daß der Abstand zwischen Staatsschützern und Nazis nicht unüberwindbar ist.

Um so angestrengter wird nun jeder Mutmaßung, Verfassungsschutzbeamte könnten aktiv am Zustandekommen ihrer bürokratischen Existenzberechtigung beteiligt sein, das Siegel der Verschwörungstheorie aufgedrückt. Dabei haben nicht nur Frenz, sondern auch andere V-Leute berichtet, das von ihnen gelieferte Material hätte der Verfassungsschutz zum größten Teil ebensogut öffentlich zugänglichen Quellen entnehmen können. Diverse V-Leute der NPD ließen sogar durchblicken, eigens von der Partei als Informanten auserkoren worden zu sein, um etwas über die gegen die NPD gerichteten Strategien des Verfassungsschutzes herauszubekommen.

Der nun wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit geratene Gründer des Thüringer Heimatschutzes (THS), Tino Brandt, gehört nicht nur dem Umfeld des Zwickauer Mordtrios an, sondern war ein überaus aktives Mitglied der NPD, der es zum Stellvertretenden Parteivorsitzenden in Thüringen brachte. Als seine Tätigkeit für den Thüringer Verfassungsschutz im Mai 2001 publik wurde, behauptete der damalige Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Thüringer PDS, Bodo Ramelow, gegenüber der Thüringer Zeitung, es sei nach dem Ende der Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Brandt im Februar 2001 noch zu sieben weiteren sogenannten Nachsorgetreffen gekommen. Dabei hätte der Thüringer Verfassungsschutzchef Thomas Sippel bereits im November 2000 gelobt, man werde keine rechtsextremen Führungskräfte mehr als Informanten einsetzen.

Brandt hatte für seine sechsjährige Tätigkeit als Informant des Staates in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre rund 200.000 DM erhalten, die er, wie er selbst erklärte, für den Aufbau von Neonazistrukturen verwendete. Der Haushalt des Thüringer Verfassungsschutzes sah damals jährlich 800.000 Markt für die Bezahlung von Informanten vor und verfügte über die Option, diese Summe bei Bedarf bis auf 2,6 Millionen DM aufzustocken. Die Verlockung für Gruppen und Parteien der Naziszene, sich diese Gelder zur Beute zu machen, war zweifellos vorhanden. Schließlich muß man als Spitzel nicht, wie etwa im Nazi-Aussteigerprogramm, einen Gesinnungswandel nachweisen, sondern kann gerade als engagierter Parteisoldat oder besser noch als einflußreiches Vorstandsmitglied abkassieren.

Am 23. Mai 2001 entsponn sich in der Fernsehsendung ZDF-Reporter folgender Dialog zwischen dem öffentlich-rechtlichen Journalisten und dem ehemaligen V-Mann Brandt:

Frage: "Wieviel Geld ist denn geflossen?

Brandt: "Eine ganze Menge."

Frage: "War es ein fünfstelliger Betrag oder ein sechsstelliger Betrag?"

Brandt: "Das war mit Sicherheit mehr als ein fünfstelliger Betrag."

Frage: "Haben Sie dieses Geld denn für sich privat genutzt oder ist es in die politische Arbeit geflossen?"

Brandt: "Für mich privat ist kein Geld geflossen, das gesamte Geld ist für politische Arbeit geflossen, weil anders hätte ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können. Die sind mit Sicherheit in den Aufbau unserer Internet-Seiten geflossen, die sind mit Sicherheit für Rudolf-Heß-Aktionen geflossen, für Aufkleber, was wir gemacht haben, und für verschiedene andere Aktionen, die wir gemacht haben in Thüringen."

Zwei Mitglieder des THS verstärkten in dieser Sendung den Verdacht, daß Brandt den Verfassungsschutz möglicherweise für eigene Zwecke benutzte:

"Gewissen Personen des Thüringer Heimatschutzes war es bekannt, daß Herr Brandt für den Verfassungsschutz arbeitet, aber nicht allen, und es war bekannt, daß er dann Gelder bekommt, und damit wurde auch reichlich politische Arbeit finanziert."

"Diese Angespanntheit, dieser Spannungsmoment, jemand von uns als Spitzel beim Verfassungsschutz zu haben, so in diese Richtung ging das ja, also nicht umgedreht, daß wir Spitzel in unseren Reihen hatten vom Verfassungsschutz, sondern umgedreht, wie schon gesagt, daß wir jemand in den Verfassungsschutz geschickt haben, um letzten Endes zu erfahren, was dieses System mit uns vorhat, daß war eigentlich so dieser Moment für uns gewesen, wo wir gesagt haben, das ist es."

Auch der in den 1990er Jahren, als das Zwickauer Trio seine Mordserie aufnahm, vom thüringischen Verfassungsschutz geführte und bezahlte Thomas Dienel hat öffentlich erklärt, einige seiner Aktionen mit der Behörde abgesprochen zu haben. Dienel ist ein Veteran der deutschen Naziszene, dessen Gesinnung von einem extremen Judenhaß bestimmt war und der zusammen mit dem Hamburger Christian Worch eine für die Naziszene zentrale Demonstration am 9. November 1993 in Halle organisierte.

Selbst bei im NPD-Verbotsverfahren berühmt gewordenen Frenz gibt es Hinweise darauf, daß seine Tätigkeit als Informant des Verfassungsschutzes in der Partei bekannt war. So erklärte der ehemalige NPD-Vorsitzende Günther Deckert über seinen früheren Parteifreund gegenüber dem ARD-Magazin Report Mainz am 28. Januar 2002:

"Ja, er hat nicht gerade mit der großen Glocke geschellt 'Ich bin Frenz, ich bin VS-Informant, Vorsicht, was ihr sagt, wenn ich da bin'. Nein, aber wenn er angesprochen wurde, hat er gesagt: 'Ja, ist zutreffend'."

In der gleichen Sendung sagte Frenz selbst aus:

"Es ist also nie ein Geheimnis in engeren Führungskreisen der NPD gewesen, daß ich Kontakte zum Verfassungsschutz hatte. Das Motiv war in erster Linie, der NPD zu helfen und unter anderem auch zu gucken, wo überhaupt die Richtung der Ermittlungen beziehungsweise der Ausforschungen der NPD hinlaufen sollten."

Dem ZDF zufolge sei bereits auf der Vorstandssitzung des Jahres 1997 in Ehringshausen die V-Mann-Tätigkeit von Frenz Thema gewesen. Der Staatsrechtler Professor Jörn Ipsen von der Universität Osnabrück fällte in der ZDF-Sendung nicht nur ein vernichtendes Urteil über die Vereinbarung, die der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mit Frenz bezüglich des Verschweigens seiner Identität vor dem Bundesverfassungsgericht getroffen hatte, sondern sah den staatlichen Auftraggeber selbst als Objekt feindlicher Observation:

"Im Ergebnis, würde ich meinen, ist er eher ein Agent der NPD als des Verfassungsschutzes. Er hat seine Agententätigkeit, wie er selbst sagt, als eine Art Indianerspiel begriffen, hat hier aber auch tiefe Einblicke gewonnen in die Arbeit der deutschen Geheimdienste, und das ist für einen NPD-Funktionär, glaube ich, von großem Wert."

Die Mordanschläge, die im Umfeld oder unter Beteiligung von V-Leuten erfolgten, komplettieren das Bild einer geheimdienstlichen Kollaboration, die gerade vor dem Hintergrund des thüringischen Geheimdienstskandals nicht zu den Akten gelegt werden kann. So erfolgte der Brandanschlag auf ein türkisches Wohnhaus in Solingen, bei dem 1993 fünf Menschen starben, aus dem Umfeld einer von dem V-Mann Bernd Schmidt geführten Kampfkunstschule. Ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Dieter Lepzien, baute 1977 Bomben, mit denen Anschläge auf Justizgebäude in Flensburg und Hannover begangen wurden. Sein damaliger Mitverschwörer in der "Braunschweiger Gruppe" der "NSDAP-Auslands- und Aufbauorganisation" (NSDAP-AO), Paul Otte, gab vor Gericht zu Protokoll: "Wenn der Verfassungsschutz durch ihn unsere Aktivitäten nicht angeheizt hätte, wären wir alle heute nicht hier." [1]

Ein vom Landesverfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern geführter V-Mann namens Michael Grube, der bis zum Vorsitzenden der NPD-Kreisorganisation Nordwestmecklenburg aufstieg, beteiligte sich im März 1999 an einem Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen, was die Aufdeckung seiner Identität zur Folge hatte. Der damalige Lehrling mit dem Decknamen Markus, der für seine Informationen monatlich 500 bis 700 DM erhielt, hatte bei der Landtagswahl 1998 auf Platz 11 der NPD-Landesliste kandidiert. Da man es damals für möglich hielt, daß die in diesem Bundesland sehr aktive Partei den Einzug ins Landesparlament schaffte, hätte der Fall eintreten können, daß das Schweriner Innenministerium einen Agenten in der NPD-Fraktion besessen hätte. Die Beteiligung an einem Anschlag auf eine von Ausländern betriebene Pizzeria begründete er nach seiner Verhaftung damit, daß bereits Gerüchte über seine behördlich entlohnte Nebentätigkeit kursierten und er so daran teilnehmen mußte, um nicht enttarnt zu werden.

Der ehemalige Leiter des Staatsschutzes bei der Polizeidirektion Braunschweig, Hans-Günther Brasche, wurde 2002 in der Wochenzeitung Die Zeit mit der Behauptung zitiert, daß Beamte des Verfassungsschutzes die von ihnen geführten V-Leute regelrecht animiert hätten, Provokationsakte zu begehen: "Die haben die Leute hochgestachelt. Die V-Leute kamen teilweise nachher zu mir und sagten: Wir sollen hier eine vollkommen neue Ebene der Provokation erzeugen. Es sind konkrete Aufforderungen zu Straftaten dabei gewesen." So schilderte er den Fall eines V-Mannes des niedersächsischen Verfassungsschutzes namens Michael Wobbe, der 1993 im bayerischen Füssen eine Wehrsportgruppe gründete, die Jugendliche zu nazistischen Aktivitäten und Gewalttaten agitierte. Auch habe ihm ein Informant des Verfassungsschutzes berichtet, von seinem Agentenführer angeregt worden zu sein, "doch mal etwas gegen die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Braunschweig zu unternehmen". [2]

Nachdem neben Udo Holtmann, dessen Aussagen zum Beweismaterial für das Verbotsverfahren gehörten, auch noch der Vorsitzende des NPD-Landesverbands NRW in seiner Funktion als aktiver Zuträger des Bundesamts für Verfassungsschutz enttarnt worden war, hätte sich das Karlsruher Gericht mit einer Verbotsverfügung vollends dem Vorwurf ausgesetzt, Rechtsradikale mit Mitteln zu kriminalisieren, die man eher im Fundus ihrer staatsautoritären Ideologie als im Hort der Demokratie vermutet hätte. Wenn nun erneut die Forderung nach dem Einsatz der schärfsten Waffe der sogenannten wehrhaften Demokratie verlangt wird, ohne auch nur abzuwarten, bis der virulente Verdacht einer mittelbaren Beteiligung staatlicher Stellen an rassistisch motivierten Morden aus der Welt geschafft wurde, dann dokumentiert das vor allem den Verfall jener rechtstaatlichen Grundsätze, die zu schützen angeblich wichtigstes Ziel der staatlichen Antiextremismusdoktrin sei.

Dessen totalitarismustheoretische Grundlegung läßt ahnen, wogegen sich politische Repression in erster Linie richtet. Nicht gegen einen rechten Rand, dem die zusehends sozialdarwinistisch und nationalchauvinistisch orientierte Mitte das Wasser abgräbt, wobei sich ihre Sachwalter praktischerweise darauf berufen, mit der realpolitischen Verschärfung der Feindseligkeit in der Gesellschaft die Popularität nazistischen Gedankenguts zu befördern. Im Visier staatlicher Repression steht der soziale Widerstand linker antikapitalistischer Kräfte, da diese eine ernsthafte Bedrohung des herrschenden Verwertungsmodells darstellen.

Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13512210.html

[2] http://www.zeit.de/2002/30/In_die_Falle_gelockspitzelt/komplettansicht

21. November 2011