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REPRESSION/1424: Krieg gegen die Drogen - Als strategische Vorwandslage keineswegs gescheitert (SB)



Der sogenannte Kampf gegen die Drogen war nie das, was er zu sein vorgab. Wenngleich mit immensem Aufwand und beträchtlichen Verlusten geführt, ist er doch vor allem als strategische Vorwandslage konzipiert, supranationale Zugriffsstrukturen durchzusetzen und repressive Instrumente im eigenen Land in Stellung zu bringen. Als zentrales Versatzstück der flankierenden Propaganda mußte die Formel herhalten, der international organisierten Drogenkriminalität könne man nur mit einer grenzübergreifenden und letztlich nicht minder ungehinderten Beobachtung, Fahndung und Verfolgung das Wasser abgraben. Nationalstaatliche Souveränität und territoriale Integrität hatten ausgedient, soweit es sich um Länder und Regionen handelte, die ins Visier der Vereinigten Staaten und deren Verbündeten gerieten.

Nicht nur waren US-Geheimdienste maßgeblich ins Drogengeschäft involviert, dessen Erlöse sie jahrzehntelang zur Finanzierung inoffizieller Kriege benötigten, auch das weltweite militärische Engagement der USA als solches ließ den Drogenhandel aufblühen. Der Drogenkonsum der US-Soldaten und insbesondere die von den Streitkräften aufgebauten Transportwege in die wichtigsten Abnehmerländer trugen entscheidend zur Internationalisierung des Drogengeschäfts bei.

Was sich als kurzsichtige, verfehlte und irrationale Politik darstellen mag, folgt stringent der Logik künftiger Herrschaftssicherung, die mit weitreichenden Entwürfen operiert, um alte Strukturen aufzubrechen und neue Verfügungsmechanismen zu installieren. Als Vorläufer und älterer Bruder des "Kriegs gegen den Terror" schuf der "Antidrogenkrieg" die Voraussetzungen für den permanenten Feldzug Washingtons und der NATO, in dem strategische Vorteile für die Kriege von morgen geschaffen werden sollen.

In den USA selbst beförderte der Krieg gegen die Drogen Sozialkontrolle und Repression, die sich insbesondere gegen Schwarze und Latinos richtet. Die Ermächtigung polizeistaatlicher Gewalt und der Ausbau des gefängnisindustriellen Komplexes wurden auf dieser Schiene entscheidend befördert. Die Vereinigten Staaten weisen den weltweit höchsten Prozentsatz an Gefängnisinsassen auf: Waren es in den frühen siebziger Jahren rund 300.000, so befinden sich heute etwa 2,3 Millionen Menschen hinter Gittern. Im Laufe der letzten 25 Jahre haben sich die Festnahmen wegen Drogendelikten verdreifacht, die Aufwendungen für Gefängnisse stiegen im selben Zeitraum um das Zehnfache von 6,9 Milliarden auf 68 Milliarden Dollar im Jahr 2006. Während rund 14 Prozent der Drogenkonsumenten Afroamerikaner sind, entstammen 56 Prozenten der wegen Drogendelikten Inhaftierten dieser Gruppe der Bevölkerung. Zugleich ging die Behandlung Drogenabhängiger in den Strafanstalten dramatisch zurück. Wurde 1991 noch jeder dritte Abhängige im Gefängnis behandelt, ist es heute nur noch einer von sieben. [1]

Zugleich stellt das Drogengeschäft einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftszweig dar, der wie alle anderen als unablässige Vermehrung des Reichtums auf Grundlage wachsender Armut expandiert. Konsumenten und Zuträger der Kartelle bilden einen informellen Sektor der Ökonomie heraus, während die daraus resultierenden Geldströme zum überwiegenden Teil gewaschen und in das legale Finanzsystem eingespeist werden. Als die Wachovia-Bank im vergangenen Jahr Probleme mit dem US-Justizministerium bekam, ging es unter anderem um die beträchtliche Summe von 378,4 Milliarden Dollar, die das mexikanische Sinaloa-Kartell bei ihr gewaschen haben soll. Wie der britische Observer damals schrieb, sei das offenbar nur die Spitze des Eisbergs der Zusammenarbeit zwischen führenden Drogenhändlern und den bedeutendsten US-amerikanischen Banken und Finanzhäusern.

Unterdessen wird aus Steuergeldern der Krieg gegen die Drogen finanziert, mit dessen Hilfe man während der Clinton-Ära insbesondere in Kolumbien den Kampf gegen Guerillaorganisationen und mithin jede denkbare gesellschaftliche Veränderung zu Lasten der ungehinderten kapitalistischen Verwertung und imperialistischen Ausplünderung im großen Stil zu führen begann. George W. Bush und sein mexikanischer Amtskollege Felipe Calderón beschlossen 2007 die zunächst auf drei Jahre veranschlagte Mérida-Initiative, die 1,5 Milliarden Dollar in den "Antidrogenkrieg" pumpte. Als Senator hatte Barack Obama diese Vorgehensweise noch als krassen Fehlschlag bezeichnet. Als Präsident setzte er den Kurs seines Vorgängers fort, stellte für die Strafverfolgung von Drogendelikten etwa doppelt so viel Mittel wie für Prävention und Behandlung zur Verfügung und intensivierte nicht zuletzt das Engagement in Mexiko. Seit Calderón bei seinem Amtsantritt im Jahr 2006 den Kartellen den Krieg erklärt hat, ist dort vielerorts die Hölle los. Für das Haushaltsjahr 2011 hat die Obama-Administration weitere 410 Millionen Dollar vorgesehen, die im Rahmen der verlängerten Mérida-Initiative den mexikanischen Sicherheitskräften in Form militärischer Ausrüstung und Ausbildung zur Verfügung gestellt werden.

Als die UN-Drogenkonvention vor einem halben Jahrhundert in Kraft trat, entwarf man das fiktive Ziel einer drogenfreien Welt. Scharfe Gesetze gegen Drogenproduzenten, -besitzer und -süchtige sollten den Drogenmarkt für immer eliminieren. Fünfzig Jahre später zeigt sich, daß das Ausmaß dieses illegalen Marktes dramatisch zugenommen hat. Nach UN-Erhebungen ist der Konsum von Opiaten seit 1998 um 35 Prozent gestiegen, der von Kokain um 27 Prozent. Heute mehren sich die Stimmen, die den Krieg gegen die Drogen für gescheitert erklären. Offenbar drosselt die aktuelle Politik den Drogenkonsum nicht, sondern heizt die organisierte Kriminalität an.

Am anschaulichsten dokumentiert dies das abschreckende Beispiel Mexikos. Dort starben in den vergangenen fünf Jahren rund 40.000 Menschen beim Kampf zwischen Sicherheitskräften und Kartellen oder der Drogenbanden untereinander. Die Gewalt nahm exorbitant zu, die Korruption griff um sich, staatliche Strukturen wurden unterwandert, während der Drogenkonsum insbesondere im Hauptabnehmerland USA immer weiter steigt. "Wir können nicht länger ignorieren, dass die Gewalt in Zusammenhang mit Drogen, Kriminalität und Korruption in Lateinamerika das Resultat einer gescheiterten Drogenpolitik sind", sagte der frühere kolumbianische Präsident César Gaviria. [2]

Ende Januar 2011 gründete ein hochkarätig besetztes Gremium aus ehemaligen Politikern, Geschäftsleuten und Schriftstellern die Global Commission on Drug Policy in Genf. Dem 19köpfigen Gremium gehören unter anderen der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, der frühere NATO-Chef Javier Solana, der Ex-US-Notenbankchef Paul Volcker, der vormalige US-Außenminister George Shultz, der britische Unternehmer Richard Branson, der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der mexikanische Autor Carlos Fuentes sowie die ehemaligen Staatspräsidenten Fernando Henrique Cardoso (Brasilien), César Gaviria (Kolumbien), Ernesto Zedillo (Mexiko) und die ehemalige Bundespräsidentin und Gesundheitsministerin Ruth Dreifuss an. Ziel der Kommission ist ein Strategiewechsel in der internationalen Drogenpolitik, indem der in Repression erstarrte Drogenkrieg durch einen auf soziale und medizinische Aspekte konzentrierten Kampf gegen Rauschgift ersetzt werden soll.

Vor wenigen Tagen hat dieses Gremium in New York einen Bericht veröffentlicht, dem zufolge der weltweite Kampf gegen Drogen gescheitert ist. Politische Führer sollten den Mut haben, öffentlich zu äußern, was viele von ihnen insgeheim wüßten: Repressive Strategien lösen das Drogenproblem nicht. "Der Krieg gegen Drogen ist nicht gewonnen und wird niemals gewonnen werden", heißt es in dem Bericht. [3] Wenngleich diese Initiative Wesen und Stoßrichtung des "Antidrogenkampfs" nicht realisiert und diesen für bare Münze nimmt, bekommt damit doch die wachsende Ablehnung der vorherrschenden Drogenpolitik eine weitere Stimme. Der Krieg gegen die Drogen habe den Drogenkonsum nicht geschmälert, wohl aber die Gefängnisse gefüllt, Millionen von Dollars an Steuergeldern verschlungen, die organisierte Kriminalität angeheizt und Tausende Tote verursacht, so Richard Branson. Die Kommission fordert, daß Menschen, die Drogen nehmen, anderen damit aber nicht schaden, nicht mehr kriminalisiert, ausgegrenzt und stigmatisiert werden. Sie ruft die Regierungen dazu auf, hinsichtlich der Legalisierung von Drogen wie insbesondere Cannabis experimentierfreudiger zu sein. Auf diese Weise könne die Macht der organisierten Kriminalität untergraben und der Schutz der Bürger verbessert werden.

Erste offizielle Reaktionen auf diese vielbeachtete Initiative ließen nicht lange auf sich warten. Der "Drogenzar" des Weißen Hauses, Gil Kerlikowske, bezeichnete den Bericht als "fehlgeleitet". Drogen leichter erreichbar zu machen, wie es dieser Report vorschlägt, würde es erschweren, die Gesellschaft gesund und sicher zu erhalten, hieß es abschlägig seitens der Nationalen Antidrogenbehörde der USA in Washington. [4]

In Mexiko erklärte Alejandro Poiré Romero von der Behörde für Nationale Sicherheit, die Regierung weise die Auffassung kategorisch zurück, ihre vermehrten Anstrengungen, die gesetzlichen Vorgaben anzuwenden, seien für die wachsende Gewalt der Drogenhändler verantwortlich. Eine Legalisierung würde weder das organisierte Verbrechen stoppen noch seine rivalisierenden Fraktionen und die Gewalt.

In Großbritannien haben der Musiker Sting, die Schauspielerin Judi Dench und andere Prominente Premierminister David Cameron in dem Brief aufgefordert, seine Politik zu überdenken. Die Praxis, Konsum und Besitz von Drogen unter Strafe zu stellen, führe nur zur Ausgrenzung von Drogenabhängigen und sei gescheitert. Darauf erwiderte ein Sprecher des Londoner Innenministeriums, die Regierung habe nicht die Absicht, Drogengesetze zu liberalisieren. Drogen seien illegal, weil sie schädlich sind. Sie zerstörten Leben und verursachten unermeßlichen Schaden in Familien und Gemeinden.

Ginge es tatsächlich und ausschließlich um einen Krieg gegen Drogen, würden die Autoren des Berichts womöglich offene Türen einrennen. Die Widerstände in Regierungskreisen erklären sich jedoch nicht allein aus politischer Verbohrtheit oder administrativer Halsstarrigkeit, die einen Kardinalfehler produzieren, den es zu korrigieren gilt, um das Drogenproblem vernünftiger und vielversprechender anzugehen. Der Krieg gegen die Drogen ist keineswegs gescheitert, sondern im Gegenteil gemessen an seinen eingangs angesprochenen strategischen Zielen bislang sehr erfolgreich verlaufen. Das ist der Grund, warum man in Washington, Mexiko-Stadt und London das Ansinnen vehement zurückweist, an diesem Konstrukt zu rütteln.

Fußnoten: [1] http://www1.wsws.org/articles/2011/jun2011/drug-j03.shtml

[2] http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/06/02/International/Krieg-gegen-Drogen-ist-verloren

[3] http://www.taz.de/1/zukunft/konsum/artikel/1/krieg-gegen-die-drogen-ist-gescheitert/

[4] http://kurier.at/nachrichten/3910339.php

4. Juni 2011