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REPRESSION/1419: Atomterrorismus war gestern ... reale Bedrohungen werden kleingeschrieben (SB)



Nach den Anschlägen des 11. September 2001 bot die Gefahr eines terroristischen Anschlags mit Atomwaffen Anlaß zu einer massiven Aufrüstung staatlicher Sicherheitsmaßnahmen. Um das Bedrohungsszenario eines atomaren Angriffs der Sowjetunion unter anderem Titel, dem des "islamistischen Terrorismus", fortschreiben zu können, wurde Al Qaida verdächtigt, mittels einer schmutzigen Bombe die großflächige Verstrahlung US-amerikanischer Städte zu planen. In das Dispositiv des "Atomterrorismus" wurden auch Länder wie Pakistan, Nordkorea, Iran und Irak einbezogen. Sie wurden aufgrund ihrer angeblichen Bereitschaft, waffenfähigen Kernbrennstoff an Terroristen zu liefern, als Sicherheitsrisiken für die von Al Qaida bedrohte westliche Welt dargestellt. Im Falle des Iraks trug diese Behauptung dazu bei, das Land in einem völkerrechtswidrigen Krieg zu überfallen, im Falle des Irans wird bis heute versucht, das Argument der atomaren Bedrohung zum Vorwand seiner politischen Nötigung respektive kriegerischen Unterwerfung auszubauen.

Nun ist es doch ganz anders gekommen, als die Sicherheitsexperten der westlichen Welt behaupteten. Die reale Gefahr der nuklearen Verstrahlung geht von Atomkraftwerken aus, das war auch vor 9/11 so. Der Hype um den Atomterrorismus war Bestandteil breit orchestrierter staatlicher Repression, mit der nicht zuletzt der Widerstand gegen die atomare Hochrüstung und den zivilen Ausbau der Kernenergie kriminalisiert wird. Perfekter konnte man die Bürger nicht in die Irre führen - sucht die Terroristen, während wir in aller Ruhe unser nukleares Süppchen kochen! Dieses bedroht nun mit der Reaktorkatastrophe in Fukushima nicht nur die japanische Bevölkerung, sondern auch die Nachbarstaaten und - wenn man, wie viele Experten, davon ausgeht, daß es so etwas wie eine gesundheitlich risikofreie Untergrenze künstlich erzeugter Strahlung nicht gibt - letztlich die ganze Welt.

Besonders beunruhigend ist die politische und mediale Verwertung der Entwicklung in Japan, wie Tom Engelhardt im US-Magazin Counterpunch ausführt [1]. Griff man bei der Zerstörung des World Trade Centers bereitwillig zur Metaphorik des Atomkriegs, indem der ehemalige Standort der beiden Türme als "Ground Zero" bezeichnet wurde, rechtfertigte US-Präsident George W. Bush den Irakkrieg mit der Erklärung, man wolle nicht erst darauf warten, daß aus dem rauchenden Colt ein Atompilz wird, entwarf man Katastrophenszenarios von apokalyptischem Schrecken, um die tiefgreifenden Bürgerrechtseinschränkungen und selbstherrlichen Ermächtigungspraktiken des Terrorkriegs zu legitimieren, so halten sich die Regierungen und Konzernmedien mit der öffentlichen Debatte über naheliegende Eskalationsszenarios in diesem wirklich gefährlichen Fall stark zurück.

Das betrifft zum einen die von der Atomindustrie ausgehenden Gefahren. So sind von den 104 in den USA im Betrieb befindlichen Kernkraftwerken 24 baugleich mit den havarierten Reaktoren in Fukushima. Einige von ihnen befinden sich zudem auf erdbebengefährdetem Gebiet [2]. Nicht gering zu schätzen ist die Gefahr der Entstehung von Bränden in den Abklingbecken, in denen laut dem ehemaligen Beamten des US-Energieministeriums Robert Alvarez etwa 63.000 metrische Tonnen an verbrauchten Brennstäben lagern. Diese könnten sich aufgrund der zu großen Dichte, in der sie gepackt sind, entzünden und eine Katastrophe von der Dimension Tschernobyls auslösen, wie Alvarez und andere Wissenschaftler bislang vergeblich warnen [3].

Wie Japan, Frankreich und die Bundesrepublik exportieren auch die USA zivile Atomtechnologie in alle Welt als Bestandteil einer Politik der Ressourcensicherung, die mit ökonomischen wie militärischen Maßnahmen betrieben wird. Als Entwickler wie Nutzer dieser Spitzentechnologie der Energieerzeugung sind die Interessen dieser Staaten im Falle der von Atomkraftwerken ausgehenden Bedrohung ganz anders sortiert als bei der unterstellten Bedrohung durch Atomwaffen in Terroristenhand. So wird die militärische Bedeutung, die die Entwicklung der zivilen Atomkraftnutzung für die NATO-Staaten hat, fast vollständig in der Berichterstattung unterschlagen. Das große machtpolitische Interesse, Verfügungsgewalt über diese Schlüsseltechnologie zu besitzen, wird auf negative Weise am Beispiel des Iran exemplifiziert. Fragt man einmal nach, wieso die NATO-Staaten ihrer Bringschuld gegenüber dem Atomwaffensperrvertrag so gut wie gar nicht nachkommen, dann erweist sich die strategische Bedeutung, über die ultimative Zerstörungsgewalt zu verfügen, als zentrales Mittel imperialistischer Gewalt.

So dramatisch und spekulativ der Alarmismus beim Atomterrorismus war, so pragmatisch und realistisch laufen die Vorbereitungen für diesen Ernstfall. Die Möglichkeit der Verstrahlung eines großen Teils Japans und die Erklärung des Landes zu einer Art nuklearer Todeszone wäre vor kurzem noch so abwegig gewesen wie der Plot eines apokalyptischen B-Movies. Nun, da diese Gefahr in greifbare Nähe rückt, schweigt man sich über sie auf eine Weise aus, die Anlaß zu größter Besorgnis über die administrativen Maßnahmen und ihre menschlichen Folgen gibt. Die Pläne zum Katastrophenschutz bei atomaren Schadensfällen des nun möglichen Ausmaßes unterscheiden sich kaum von denjenigen, die bei Angriffen mit Atomwaffen in Kraft treten. In ihnen werden die betroffenen Menschen zur Manövriermasse einer Schadensbegrenzung, die so unsentimental durchgesetzt wird, wie bislang noch Krokodilstränen über die Folgen einer zuvor noch gutgeheißenen Produktionsweise vergossen werden. So furchtbar die Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki waren, sie könnten sich angesichts der immensen Menge möglicherweise in Fukushima freigesetzter und den Großraum Tokio verseuchender Strahlung als vergleichsweise begrenzt und beherrschbar erweisen. Auch dieser naheliegende Vergleich wird kaum gezogen, erinnerte er doch an die große Nähe zwischen dem zivilen und militärischen Zerstörungspotential der Atomenergie. In beiden Fällen handelt es sich um Machtmittel, deren Menschenfeindlichkeit verdaulich und akzeptabel zu machen erhebliche Anstrengungen an irrationaler Verkennung erfordert.

Fußnoten:

[1] http://www.counterpunch.org/engelhardt03232011.html

[2] http://www.counterpunch.org/washington03232011.html

[3] http://www.ips-dc.org/reports/reducing_the_hazards_from_stored_spent_power-reactor_fuel_in_the_united_states

28. März 2011