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REPRESSION/1387: US-Verfassungsgericht stellt humanitäre Arbeit unter Terrorismusverdacht (SB)



Der Globale Krieg gegen den Terrorismus (GWOT) gilt zwar als Markenzeichen der US-amerikanischen Expansionspolitik unter Präsident George W. Bush, wird jedoch von seinem Nachfolger Barack Obama mit unverminderter Aggressivität fortgesetzt. Das gilt nicht nur für Afghanistan, sondern auch die eigene Gesellschaft. Die nach dem 11. September 2001 nicht erst begonnene, aber beschleunigt fortgesetzte Aushöhlung der Bürgerrechte wird auch deshalb so wenig Widerstand in der Bevölkerung entgegengesetzt, weil sie sich vorerst gegen sozial ausgegrenzte ethnische Minderheiten, gegen illegal in den USA lebende Arbeitsmigranten und politische Aktivisten der Linken richtet. Diese Gruppen werden zwar von kompetenten Bürgerrechtsanwälten vertreten, doch können diese letztlich nichts dagegen ausrichten, wenn die Mehrheit der neun Richter des US Supreme Court in Washington konform mit der neokonservativen Generallinie der Regierungspolitik der Vereinigten Staaten geht.

Dies zeigte sich einmal mehr, als der Oberste Verfassungsgerichtshof am Montag die Entscheidung eines untergeordneten Gerichts aufhob, das mehrere Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen gegen eine Strafverfolgung wegen Zusammenarbeit mit Gruppen schützte, die vom US-Außenministerium als "ausländische terroristische Organisationen" eingestuft werden. Konkret ging es um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Tamilischen Befreiungstiger (LTTE), die dem nun ungültigen Urteil gemäß auf legale Weise bei der Nutzung humanitären und internationalen Rechts, bei der Inanspruchnahme von UN-Organisationen und bei Friedensverhandlungen im Interesse der Bevölkerungen, für die sie sich in ihren Herkunftsländern einsetzen, beraten werden durften.

Auf Betreiben des US-Justizministers Eric Holder entschieden die Richter des Supreme Court mit sechs zu drei Stimmen, daß zivile Unterstützungsleistungen für diese Organisationen strafbar sind, weil sie gegen ein 1996 in der Folge des Bombenanschlags von Oklahoma City verabschiedetes Antiterrorgesetz, das die Habeas Corpus-Rechte von Verdächtigen massiv einschränkt, verstießen. Das als "material support law" bekannte Gesetz 18 U.S.C. § 2339B ist eines der wichtigsten Repressionsinstrumente der US-Regierung. Sie erhob seit 2001 auf seiner Grundlage gegen 150 Personen Anklage wegen Unterstützung des Terrorismus, von denen etwa 75 zu Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt wurden. Zur "materiellen Unterstützung" zählen neben der Bereitstellung von Finanzmitteln, Waffen, Kommunikations- und Transportmitteln, Unterkünften oder gefälschten Personaldokumenten auch "Dienstleistungen" "Ausbildung, Expertenberatung oder -unterstützung" und "Personal".

Die vom US-Justizministerium einer solchen, tatsächlich immateriellen Unterstützung bezichtigten Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen beriefen sich unter anderem auf den ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung, der das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert. Damit setzten sie sich gegen den Vorwurf der US-Regierung zur Wehr, den Terrorismus zu unterstützen, wenn sie zugunsten der PKK und LTTE bei US-Gerichten, beim US-Kongreß oder den Vereinten Nationen Fürsprache hielten. Selbst Stellungnahmen gegenüber Journalisten, in denen diese Gruppen nicht ausdrücklich verurteilt werden, ihre Unterrichtung in der Nutzung der Menschenrechte oder des Englischen können von der US-Regierung als Straftat verfolgt werden.

Damit würde die freie Rede kriminalisiert, argumentierten die Beklagten und richteten sich des weiteren gegen die selektive, teilweise aus politischen Gründen erfolgende Abstempelung bestimmter ausländischer Organisationen als terroristisch. Im Endeffekt wäre es nach Lesart der Regierung ein Verbrechen, wenn ihr allein mit dem Mittel der Sprache betriebenes Engagement in der Verhinderung von Gewalt durch die Förderung friedlicher Konfliktbewältigung resultiere. Mit diesem und weiteren Argumenten verwahrten sich die Beklagten vergeblich dagegen, daß ihr ausschließlich auf gewaltlose und friedliche Ziele gerichtete Arbeit der als terroristisch verfolgt würde.

Dem hielt der Präsident des Verfassungsgerichts, John Roberts, entgegen, daß auch diese Unterstützung gewalttätige Ergebnisse zeitigen könne. Vor allem monierte er - wobei er die Formulierung der Generalstaatsanwältin Elena Kagan fast wortgleich übernahm -, daß diese Arbeit der Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen den terroristischen Gruppen Legitimität verschaffe, die es ihnen wiederum erleichtere zu widerstehen, neue Mitglieder zu werben, Finanzmittel zu erhalten und damit weitere Terroranschläge zu begehen. Diese Legitimität führe dazu, "daß ihr Krankenhaus besser funktioniere. Die Menschen werden ihr Krankenhaus mögen. Damit wird die Partei, die Gruppe legitimiert." Roberts unterstellte insbesondere der PKK, die von den Beklagten eingesetzten Mittel der Beratung im Rahmen einer "größeren Strategie zur Ausübung von Terrorismus" einzusetzen, indem sie etwa "Friedensverhandlungen anstrebt, um sich damit Zeit zu verschaffen, in der sie sich von kurzfristigen Rückschlägen erholen kann, in der sie Gegner mit Sorglosigkeit einlullen und dabei letzten Endes neue Angriffe vorbereiten kann".

Auch Richter Antonin Scalia, ein besonders rabiater Verfechter des Terrorkriegs, stieß in dieses Horn und legte das Gesetz zur materiellen Unterstützung des Terrorismus dahingehend aus, daß, was immer den Menschen in irgendeiner Weise zugute käme, auch potentiell terroristisch sei. So habe etwa die Hamas Zuspruch in der palästinensischen Bevölkerung durch Aktivitäten erhalten, "die vollkommen gesetzestreu sind wie etwa der Betrieb von Krankenhäusern und allen möglichen anderen Dingen".

Damit übernahm die Mehrheit der Verfassungsrichter die Argumentation der Anklägerin, Generalstaatsanwältin Kagan. Sie führte unter anderem am Beispiel der libanesischen Hisbollah an, daß

"materielle Unterstützung, die die Absicht verfolgt, 'friedvolles gesetzestreues Verhalten zu fördern', den Terrorismus ausländischer Gruppen auf vielfältige Weise vorantreiben kann. Materielle Unterstützung ist per Definition eine wertvolle Ressource. Solche Unterstützung setzt andere Ressourcen in der Organisation frei, die für gewalttätige Zwecke eingesetzt werden können. Es gewährt ausländischen terroristischen Gruppen auch wichtige Hilfe beim Erlangen von Legitimation - Legitimation, die es diesen Gruppen leichter macht zu widerstehen, Mitglieder zu rekrutieren und Finanzmittel zu erhalten - all das führt zu weiteren terroristischen Attacken". [1]

Nichts könnte den politischen Charakter des Urteils besser unterstreichen als die totale Diskreditierung aller Gruppen, die die US-Regierung zu ihren Feinden erklärt, indem sie sie als terroristisch kriminalisiert. Völlig unabhängig vom konkreten Ausmaß an Gewalt, das sie ausüben, von der jeweiligen Motivation, die ihre Militanz als verbrecherisch kennzeichnet, während die gegen sie gerichteten militärischen Kräfte staatliche Legalität in Anspruch nehmen, und vor allem in Mißachtung aller humanitären und rechtlichen Ansprüche, die auch Menschen zukommen, die sich ins Unrecht gesetzt haben respektive dorthinein manövriert wurden, erklärt der oberste Gerichtshof der USA die eigene Regierung zur universalen Instanz, die über Gut und Böse in der Welt befindet.

Diese Lesart des Antiterrorstrafrechts hat weitreichende Implikationen nicht nur für die Arbeit humanitärer und bürgerrechtlicher Organisationen, die auf dem Feld der internationalen Konfliktbewältigung tätig sind. Sie betrifft auch die Veröffentlichung von Stellungnahmen als terroristisch stigmatisierter Organisationen, zu denen es in der US-Presse kommt, wenn etwa Erklärungen von Mitgliedern der palästinensischen Regierung, die der Hamas angehörten, veröffentlicht wurden. Indem anhand von Organisationen, die nach Maßgabe geostragischer Interessen der US-Regierung mit dem Terrorismusstigma behaftet werden, jegliche Form die Menschenrechte schützender und den Frieden fördernder Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Publikationen mit schwerwiegenden Strafen bedroht wird, erhebt die Exekutive Monopolanspruch auf eine Verfügungsgewalt, die zu Lasten aller Menschen geht, die mit demokratischen Mitteln Einspruch gegen eine Politik der Unterdrückung und Vernichtung erheben. Als Obama um die Präsidentschaft warb, versprach er unter anderem, derartige Entwicklungen des Terrorkriegs zurückzunehmen. Mit der von seiner Regierung angestrengten Klage tut er alles andere als das.



Fußnote:

[1] http://www.investigativeproject.org/2019/supreme-court-upholds-material-support-law

23. Juni 2010