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REPRESSION/1354: Perfider Fußballfeiertag soll Honduraner weichkochen (SB)



Putschistenführer Roberto Micheletti hat den heutigen Donnerstag kurzerhand zum nationalen Feiertag in Honduras erklärt. In einer Fernsehansprache dankte er Gott, weil dieser dem Land ein solches Glück beschert habe. Was ist geschehen? Hat das Regime eingelenkt und die Weichen für eine Beilegung des Konflikts gestellt, kann Präsident Manuel Zelaya unverzüglich ins Amt zurückkehren? Natürlich nicht. Micheletti bedient sich vielmehr einer Welle der Euphorie, nachdem sich die Nationalmannschaft durch einen Sieg gegen das Nachbarland El Salvador erstmals seit 27 Jahren für die Teilnahme an der Fußballweltmeisterschaft qualifiziert hat, die im nächsten Jahr in Südafrika ausgetragen wird. Zugleich forderte Micheletti das Volk auf, die politischen Gegensätze für kurze Zeit zu überwinden. Er schlug einen Bogen zur Nationalmannschaft und verkündete, nur sie könne es schaffen, die Honduraner ohne Rücksicht auf Politik und Religion wieder zu versöhnen.

Die perfide Vereinnahmung des Sports durch das Putschistenregime ist nur möglich, weil dieser innig mit Strategien der Zurichtung von Leib und Leben im Dienst der Herrschaftssicherung verschränkt ist. Auch stellt sich das von Micheletti bemühte Volk nicht das beste Zeugnis aus, wenn es übergangslos dem Rausch des Fußballfreudentaumels verfällt. Andererseits ist natürlich auch verständlich, daß die Honduraner nach Monaten der Auseinandersetzungen nur allzu gern bereit sind, die drängenden Probleme zumindest für eine kurze Frist zu vertagen und sich einem Freudenfest hinzugeben, als hätten sie tatsächlich etwas gewonnen. Stolz schwenkte man die Landesflagge, die Straßen waren von Autocorsos verstopft, überall Jubel und Gesänge, als in der Hauptstadt Tegucigalpa bis in die Morgenstunden ausgelassen gefeiert wurde.

Hat man vergessen, auf welch furchtbare Weise Diktatur und Stadion seit dem 11. September 1973 in Santiago de Chile miteinander verbunden sind? Ende September 2009 verdichteten sich Gerüchte und Befürchtungen zur Gewißheit, daß auch das Regime in Honduras Gebrauch von solchen Sportstätten macht, um seine Gegner zusammenzutreiben und gefangenzuhalten. Mit einem Großaufgebot von Sicherheitskräften hatten die Putschisten eine Rückkehr Zelayas in sein Heimatland verhindert, der sich nach einigen Minuten auf dem Boden von Honduras wieder nach Nicaragua zurückziehen mußte. Nur wenigen hundert Menschen war es gelungen, über Schleichwege durch die Berge bis unmittelbar an den kleinen Grenzposten Las Manos zu gelangen. Tausende andere wurden von den Straßensperren aufgehalten, die das Militär zwischen El Paraíso und Las Manos errichtet hatte. Wie Demonstranten berichteten, sei ein wenige Kilometer von El Paraíso entferntes Sportstadion zu einem Gefangenenlager umgebaut worden.

Unterdessen demonstrierten ungeachtet der Ausgangssperre Tausende in den Straßen Tegucigalpas gegen die Putschregierung. Bei den Auseinandersetzungen mit den Soldaten kam es zu Toten und Dutzenden Verletzten. Mehrere hundert Personen wurden festgenommen und in einem Sportstadion interniert, wo sie Sonne und Regen schutzlos ausgeliefert waren, weder Wasser noch Nahrung erhielten und nicht medizinisch versorgt wurden. In der Bewegung des Widerstands sprach man von Bildern, die denen nach dem Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende durch General Augusto Pinochet glichen. Anfang Oktober ordnete das Regime per Dekret die Verhaftung "verdächtiger Personen" an und fügte hinzu, daß diese in "rechtlich abgesicherten Internierungslagern" untergebracht werden sollten. Es gab Berichte, denen zufolge der Befehl ergangen war, Jagd auf bekannte Aktivisten zu machen und sie in ein Fußballstadion zu sperren.

Ist die Fußballeuphorie verflogen, kehrt der Katzenjammer zurück. Bei den Krisengesprächen zwischen den Konfliktparteien über eine Rückkehr Zelayas in das Präsidentenamt konnte bislang keine Einigung erzielt werden. Hauptstreitpunkt bleibt dem Vernehmen nach, ob das Parlament oder der Oberste Gerichtshof über eine Wiedereinsetzung Zelayas entscheiden soll. Wie Micheletti im Fernsehen erklärte, verlange Zelaya, daß der Kongreß über seine Rückkehr in den Präsidentenpalast entscheidet. Darüber müßten jedoch die Obersten Richter urteilen, erklärte der sogenannte Übergangspräsident - wohl wissend, daß der Gerichtshof eine sichere Bastion des Regimes ist, während im Parlament putschmüde Fraktionen einen Unsicherheitsfaktor darstellen.

Armeechef Romeo Vasquez, der eine zentrale Rolle bei dem Putsch am 28. Juni gespielt hatte, erweckte den Eindruck, daß eine Einigung in greifbare Nähe gerückt sei. Man habe bedeutende Fortschritte erzielt und das Ende der Krise beinahe erreicht. Das kann zweierlei bedeuten: Entweder setzen die Putschisten ihre Taktik fort, einerseits Gesprächsbereitschaft zu signalisieren und andererseits jeden Kompromißvorschlag abzulehnen, oder sie wähnen sich tatsächlich so gut wie am Ziel, weil sie die Gegenseite fast schon über den Tisch gezogen haben.

Zelaya ließ die Nachrichtenagentur AFP telefonisch aus der brasilianischen Botschaft wissen, daß seine Delegation an den Verhandlungstisch zurückkehren und die Diskussion wieder aufnehmen werde, sofern Änderungen in dem Text vorgenommen würden. Die Sprecherin der Delegation des gestürzten Präsidenten teilte mit, die Konfliktparteien hätten bei ihrer Suche nach einer Lösung der Krise noch keinen Durchbruch erzielt. Man habe versucht, die entscheidende Frage zu diskutieren, ob Zelaya als Chef einer Regierung der nationalen Versöhnung ins Präsidentenamt zurückkehren kann, und werde die Verhandlungen fortführen.

Geplant war, die Gespräche heute fortzusetzen, was Micheletti mit seinem perfiden Fußballfeiertag verhindert haben dürfte. Hofft er, seine Landsleute in ihrer nationalstolzen Euphorie derart weichzukochen, daß sie hinterher alles akzeptieren, was ihnen die Putschisten als fairen Kompromiß verkaufen?

15. Oktober 2009