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REPRESSION/1340: Freiheit des Kapitals, nicht des Menschen (SB)



Die Freiheit des Kapitals ist erklärte Voraussetzung der neoliberalen Marktwirtschaft, deren systemischer Vorrang durch die Weltwirtschaftskrise keineswegs erschüttert ist. Gemeint ist allerdings kein grundsätzliches Bürgerrecht auf unkontrollierte individuelle Geschäftstätigkeit, sondern die Schaffung günstiger Bedingungen der Kapitalverwertung. Hier läßt sich durchaus, wie der weitgehend folgenlos gebliebene Ruf nach Regulation des Finanzmarkts belegt, die Faustregel aufstellen, daß die Freiheit des Kapitals desto größer ist, je mehr sich davon in der Verfügungsgewalt einzelner Personen oder Körperschaften befindet. Wo die wahren Leistungsträger des Kapitalismus, die Großinvestoren, das Geld angeblich für sich arbeiten lassen, herrscht nach wie vor eine Freibeutermentalität vor, die durch die bereitwillige Alimentation "systemrelevanter" Banken im Rahmen des staatlichen Krisenmanagements auch noch auf öffentliche Bereiche ausgedehnt wird. Wo unter dem Vorwand der Solidität in der Haushaltsführung bei Sozialtransfers an Menschen, die es wirklich nötig haben, jeder Cent dreimal umgedreht wird, gibt man sich ganz locker, wenn es um die Geschäftsrisiken des Finanzkapitals geht. Was kostet die Welt? wird bei schnellen Rettungsmanövern gar nicht erst gefragt, um unter Verweis auf die strategische Bedeutung des Finanzsektors mitzuteilen, daß die Härte künftiger Verteilungskämpfe erst recht keine sozialpolitischen Wohltaten mehr zuläßt.

Wenn Rentnern, Arbeitsunfähigen und Erwerbslosen mit kleiner Münze vergolten wird, wofür sie sich jahrelang krumm gemacht haben, dann wird alles, was außer diesem Notgroschen noch vorhanden sein könnte, äußerst genau observiert. In der ersten Hälfte des Jahres haben deutsche Behörden fast 57.000 private Bankkonten ausgespäht, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervorgeht (NZZ, 18.07.2009). Als Anlaß dafür genannt wurden unter anderem Überprüfungen bei Hartz IV-"Kunden", bei Bafög-Beziehern und bei Personen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird. Bei Erwerbslosen und den Beziehern staatlicher Lohnersatzleistungen werden auf diese Weise Angaben zu Einkommen und Vermögensstand überprüft, um positiv bestätigen zu können, daß sie praktisch mittellos sind.

Menschen, die im ökonomischen Sinne gänzlich unproduktiv sind oder deren Arbeitskraft keine Verwendung findet, werden so auf die Norm eines Mangels festgeschweißt, die zur Sicherung kapitalistischer Herrschaft unentbehrlich ist. Seit die Bundesregierung bewiesen hat, daß sie zum Erhalt dieses Verwertungssystems bereit ist, sich über beide Ohren zu verschulden, obwohl nicht einmal erwiesen ist, daß die öffentliche Garantie für marode Finanzinstitute einen positiven gesamtwirtschaftlichen Zweck erzielt, kann die Behauptung, daß der angeblich extensive Leistungsmißbrauch unter Alg 2-Empfängern ein haushaltspolitisches Problem darstelle, noch weniger als zuvor verfangen. Um so deutlicher wird, daß die mangelgestützte Basis der betrieblichen Kostensenkung erhalten und jeder Gedanke daran, es gäbe andere Möglichkeiten, das Problem der Grundversorgung aller Menschen zu lösen, aus dem Feld geschlagen werden soll.

Dazu dient auch die immer umfassendere Kontrolle des individuellen Geschäftsgebarens. Die Verfügbarkeit anonymer Zahlungsmittel könnte Räume autonomen Handelns eröffnen, die in der Logik des autoritären Sicherheitsstaates ebenso unter Kontrolle gebracht werden müssen wie etwa der "rechtsfreie Raum" der eigenen Wohnung oder des Internets. Die dazu geschaffenen Maßnahmen wurden seit dem 11. September 2001 erheblich verschärft und treffen bei weitem nicht nur sogenannte Terrorverdächtige, deren wirtschaftliche Existenz mit einem Federstrich ruiniert werden kann, indem sie ohne gerichtliche Prüfung auf eine sogenannte Terrorliste gesetzt und aller normalen geschäftlichen Möglichkeiten beraubt werden.

2006 war es noch für einen kleinen Skandal gut, als publik wurde, daß die US-Regierung sich selbstherrlich Zugriff auf die Daten der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) verschaffte, bei der täglich etwa 15 Millionen Finanztransaktionen der rund 8000 angeschlossenen Geldinstitute und Finanzinstitutionen registriert werden. Da die in den USA prozessierten SWIFT-Daten auch Zahlungsvorgänge in der EU betreffen, sollte den US-Geheimdiensten und -Sicherheitsbehörden durch die Schaffung einer europäischen Clearing-Stelle darauf der Zugriff entzogen werden. Das Ergebnis dieses Plans besteht laut Heise Online (20.07.2009) nun darin, daß die EU-Kommission diese Finanzdaten ihrerseits für Fahndungszwecke verwenden will. Angeblich zur Bekämpfung des Terrorismus sollen nun auch europäische Ermittlungsbehörden SWIFT-Daten auswerten können, um sie selbst nutzen und bei Bedarf den Kollegen in den USA zur Verfügung stellen zu können. Das ganze Projekt soll ohne Mitwirkung des EU-Parlaments in Kraft gesetzt werden, um, wie Heise Online nach einem Bericht des Handelsblatts mitteilt, in einem zweiten Schritt ein eigenes Antiterrorprogramm nach dem Vorbild der USA zu errichten.

So wird die Freiheit des Kapitals, sich nach Maßgabe herrschender Interessen zu verwerten, proportional zu dem dabei entstehenden Widerspruchspotential mit anwachsender Repression gesichert. Wer nicht zum Kreis der wahren Leistungsträger gehört, dem wird die Verfügungsgewalt über anonyme Zahlungsmittel zusehends entzogen. Der angebliche Antagonismus zwischen Staat und Kapital geht in einer Matrix der Kontrolle auf, die die Produktivkraft des Menschen ebenso bemißt, wie sie seinen Ressourcenver- und -mißbrauch sanktioniert, die seinen Handlungs- und Bewegungsraum ebenso umgrenzt, wie sie seine ökonomischen Aktivitäten beziffert. Ein Schritt in diese Richtung besteht in der einheitlichen, unveränderlichen und über den Tod hinaus gültigen Steueridentifikationsnummer, mit deren Zentralregistratur sich alle nur erdenklichen ökonomischen Aktivitäten des einzelnen Bundesbürgers transparent machen und miteinander korrelieren lassen. Auch der Ausbau des elektronischen Zahlungsverkehrs, anhand dessen sich Umfang und Zweck aller Geldtransfers nachvollziehen lassen, gesellt sich zu einem Ensemble der Finanzkontrolle, in dem die Freiheit des Kapitals als Verfügbarkeit seines Besitzers zu sich selbst kommt.

23. Juli 2009