Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1318: US-Präsident Obama "schützt das Recht" (SB)



Nachdem beide Häuser des US-Kongresses mit großer Mehrheit, also unter massiver Beteiligung von Abgeordneten und Senatoren der Demokraten, den Antrag des Präsidenten auf Bewilligung von 80 Millionen Dollar, die zur Schließung des berüchtigten Gefangenenlagers Guantanamo erforderlich sind, ablehnten, konnte Barack Obama in seiner Rede zur Nationalen Sicherheit darauf bauen, mit seinem Vorhaben, Insassen des Lagers vor Militärtribunale zu stellen und einige Gefangene dauerhaft ohne Prozeß eingesperrt zu lassen, auf keinerlei Widerstand zu stoßen. Ganz im Gegenteil, die im Kongreß artikulierten Sorgen vor einer Verlegung von Guantanamo-Häftlingen in Haftanstalten auf US-Territorium förderten zutage, wie verbreitet die Ansicht unter den Volksvertretern ist, daß es sich bei den nach Guantanamo verschleppten Menschen so oder so um Terroristen handelt.

Was hierzulande als Justizskandal von kafkaesker Dimension gilt, wird in den USA von großen Teilen der Bevölkerung als angemessene Antwort auf die Bedrohung des Terrorismus verstanden. Auch wenn der US-Kongreß sicherlich zum Kopf der Reaktion gehört, so kann gerade beim Thema Terrorismus davon ausgegangen werden, daß die jahrelange Indoktrination der Bevölkerung nicht ohne Wirkung geblieben ist. Obamas Vorgänger mag wegen seiner Kriegführung im Irak an Ansehen verloren haben, doch die Ratio des Terrorkriegs, die ihm lange Zeit hohe Zustimmungsraten bescherte und beide seiner Amtszeiten als US-Präsident bestimmte, ist tief in die Köpfe und Herzen der US-Bürger gesunken. Die Anschläge des 11. September 2001 und die daraufhin erfolgte Mobilisierung zu emphatischer nationalistischer Selbstvergewisserung haben Guantanamo zu einem Ort der gerechten Abrechnung mit den Feinden der USA gemacht. Die bekanntgewordenen Details des dort herrschenden Folterregimes empören vor allem liberale Bürgerrechtler und linke Aktivisten, die im Gesamtspektrum der US-Bevölkerung eine zwar lautstarke, aber kleine Minderheit bilden.

Auf jeden Fall irreführend ist der Eindruck, Obama sei gewählt worden, weil er den Terrorkrieg beenden wolle. Er hat versprochen, die US-Soldaten aus dem Irak abzuziehen, und schon im Wahlkampf deutlich gemacht, daß sich der Kriegsschauplatz von dem falschen auf den richtigen Ort, Afghanistan, verlagern wird. Dort werde der Krieg gegen den Terrorismus geführt, für den Obama die Zustimmung vieler seiner Anhänger erhalten hat.

Dementsprechend hat Obama am Donnerstag an symbolträchtigem Ort, dem Aufbewahrungsort der Unabhängigkeitserklärung und der US-Verfassung, den National Archives in Washington, betonte, daß die USA sich "im Krieg mit Al Qaida und seinen Verbündeten befinden". Diese Generation von US-Bürgern werde von der Herausforderung des Terrorismus auf die Probe gestellt, ohne daß es Gewißheit darüber gebe, wann dieser Krieg beendet sein werde, so Obama. Er versprach, die US-Bevölkerung vor "in diesem Augenblick in fernen Ausbildungslagern und in dicht bevölkerten Städten geschmiedeten Plänen, das Leben von Amerikanern zu vernichten", zu schützen. "Und ich weiß mit Sicherheit, daß wir Al Qaida besiegen können", bekräftigte Obama seinen Willen, diesen Krieg nun nach den Werten und Prinzipien, auf denen die USA errichtet sind, weiterzuführen und gerade deshalb erfolgreich zu sein.

Die mehrfach hervorgehobene Absicht Obamas, den Terrorkrieg im Unterschied zu seinem Vorgänger rechtskonform zu führen, setzt eine Modifikation des Rechts im Sinne seiner praktischen Aufhebung voraus. So kündigte Obama die dauerhafte Inhaftierung einiger Guantanamo-Insassen an, denen nicht einmal vor einem Militärtribunal der Prozeß gemacht werden könne, weil es an Beweisen für ihre Schuldhaftigkeit mangle, die aber dennoch "eine Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellen" sollen. Diese Personen, die ihre feindseligen Gesinnung durch eine Ausbildung in Al Qaida-Trainingscamps, durch das Ausüben von Befehlsgewalt über Truppen der Taliban während des Afghanistankriegs, durch einen auf Osama bin Laden abgeleisteten Treueid oder die Absicht, US-Bürger töten zu wollen, angeblich dokumentiert haben, "führen auch in Zukunft Krieg gegen die Vereinigten Staaten".

Obama ist zu sehr Jurist, um nicht zu wissen, daß die Inhaftierung von Menschen allein aufgrund ihrer angeblich feindseligen Gesinnung in Konflikt mit den Normen internationalen Rechts steht. Mit dem Insistieren darauf, daß die USA sich im Krieg mit Al Qaida befänden, nimmt Obama einen Ausnahmezustand in Anspruch, mit dem der Status des "illegalen feindlichen Kombattanten", dem grundsätzliche Rechts- und Lebensansprüche vorenthalten werden, prinzipiell aufrechterhalten bleibt. Seine Behauptung, man könne den Terrorkrieg auf legale Weise führen, wenn man nur die Gesetze nach den neuen Erfordernissen ausrichte, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Zusicherung Bushs, die USA folterten nicht. Was diesem heute zur Last gelegt wird, ist eine besonders krasse Form der Rechtsbeugung, die Obama in dieser eklatanten Form moderieren, aber nicht wirklich rückgängig machen will.

Der in seiner Rede zur Nationalen Sicherheit der USA vorgenommene Brückenschlag zwischen den Normen des internationalen Rechts und einer neuen, aus positivistischem Rechtsverständnis geschöpften Legalität des Terrorkriegs kann niemanden überraschen, der weiß, daß der US-Präsident einer Staatsräson verpflichtet ist, die der Durchsetzung imperialistischer Interessen dient. Gefährlich für alle anderen Menschen auf der Welt ist diese Politik nicht nur, weil sie die expansive Kriegführung Washingtons fortschreibt. Sie droht die Normen internationalen Rechts zugunsten einer Terrorjustiz aufzuweichen, die dem hierzulande diskutierten Feindstrafrecht entspricht und im Endeffekt eine Unterscheidung zwischen Menschen und Nichtmenschen in die Rechtsprechung einführt.

23. Mai 2009