Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1290: Das Geist Guantanamos läßt sich nicht wieder einsperren (SB)



Mit der allgemein begrüßten Auflösung des US-Lagers Guantanamo wird die Uhr nicht auf den Zeitpunkt zurückgedreht, als es diese Form dauerhafter Administrativhaft und das Konstrukt des "illegalen feindlichen Kombattanten" noch nicht gab. Das System Guantanamo hat von Anfang an mehr umfaßt als die Entrechtung, Verschleppung, Inhaftierung und Folterung unbescholtener Menschen im Terrorkrieg. Es steht für die Überschreitung der Maßgaben des konventionellen Strafrechts durch Staatsschutzgesetze, die weit im Vorfeld schuldhafter Vergehen greifen und die Anwendung von Gewaltmitteln gegen Unschuldige legalisieren. Der Kernbegriff lautet Prävention, also die Abwehr potentieller Gefahren durch das Ergreifen von Maßnahmen gegen Menschen, von denen nach der Einschätzung der eigenen Polizeibehörden und Geheimdienste möglicherweise einmal eine Bedrohung ausgehen könnte.

Wie die Debatte um die Aufnahme von Gefangenen aus Guantanamo, die nicht ungefährdet in ihre Heimatländer zurückkehren können, in der Bundesrepublik zeigt, reproduziert sich das System ohne weiteres auf dem Feld antiterroristischer Maßnahmen. Aus "Kombattanten" werden "Gefährder", die man, obwohl man ihnen keinen Rechtsbruch nachweisen kann, nicht frei herumlaufen lassen will, sondern die mit Zwangsmitteln unter Kontrolle gebracht werden sollen. Der "Gefährder" ist das zum "Kombattanten" äquivalente Konstrukt eines rechtlichen Ausnahmezustands, der der Exekutive Zwangsmittel an die Hand gibt, die mit der vielbeschworenen Tradition des freiheitlichen Rechtsstaats brechen.

Wenn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sich heute strikt gegen die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen verwahrt, weil dies allein Sache der USA sei, dann erweckt er den Eindruck, man habe in der Bundesrepublik nichts mit dem System Guantanamo zu tun. Er selbst hat sich jedoch positiv dazu geäußert, aus Folterverhören stammende Informationen anderer Staaten und Dienste nicht zu ignorieren, sondern im Zweifelsfall zu verwenden. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben mit ihren US-Kollegen Informationen ausgetauscht, die allem Anschein nach zur Inhaftierung von Personen in Guantanamo geführt haben. Sie haben Informationen der US-Behörden im Wissen, daß diese ihre Gefangenen foltern, gegen sogenannte Terrorverdächtige hierzulande verwendet. Die Justiz- und Innenminister haben die von Guantanamo ausgehende Aufhebung grundrechtlicher Standards dazu verwendet, Verschärfungen des Staatsschutzstrafrechts durchzusetzen, die ansonsten kaum mehrheitsfähig gewesen wären.

Allen auf nationaler wie EU-europäischer Ebene erwirkten Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung ist gemein, daß sie zur Aushöhlung bürgerrechtlicher Schutzgarantien beitragen, indem sie das staatliche Gewaltmonopol verabsolutieren und den Anspruch des einzelnen auf eine überprüfbare und kalkulierbare Strafverfolgung relativieren. In Deutschland steht hier das Kollektiv- und Gesinnungstrafrecht nach Paragraph 129 a und b im Mittelpunkt, zu dem sich nun ein neuer Paragraph 89 a und b gesellt. Mit ihm sollen potentielle Einzeltäter, die sich nicht durch die Strafbarkeit der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung fassen lassen, verfolgbar werden. Die ihnen angelasteten Vorbereitungshandlungen greifen weit ins Feld bloßer Informations- oder Gesinnungsdelikte hinein und verlangen den naturgemäß schwer zu erbringenden Nachweis, daß sie in der Absicht begangen werden, terroristische Straftaten zu begehen.

Eine solche Gesetzesentwicklung impliziert, was in Guantanamo gang und gäbe ist. Man fischt nicht etwa im Trüben, denn das unterstellte, daß man auf den positiven Nachweis einer Straftat aus wäre, den man nicht erbringen kann, weil sie noch nicht stattgefunden hat. Man unterstellt unbescholtenen Menschen bösartige Absichten, deren Vorhandensein man mit ihrem sozialen Umfeld, ihrem religiösen Bekenntnis oder ihren politischen Ansichten begründet, und zieht sie aus dem Verkehr.

Es handelt sich um exekutive Willkür, mit der unter dem Schirm eines angeblichen höheren Interesses Normen des politischen Wohlverhaltens und der Abweichung davon konstituiert werden. Mit der in Guantanamo praktizierten Terrorjustiz und ihrem rechtsstaatlichen Klon des politischen Strafrechts, das es schon vor dem 11. September 2001 gab, das jedoch seitdem massive Verschärfungen aufweist, werden Verhaltensnormen definiert, in denen die Gut-Böse-Dichotomie des Terrorkriegs auf rechtsförmige Weise abgebildet und auf gesellschaftspolitische Weise operabel gemacht wird. Was als rechtlicher Ausnahmezustand begann, wird als rechtsstaatliche Regel verstetigt und schafft positive Vorgaben erwünschten Verhaltens, an die man sich besser halten sollte, wenn man nicht dem immer unberechenbarer werdenden Sicherheitsstaat zum Opfer fallen will.

24. Januar 2009