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RAUB/1238: Bayer-Konzern - trotz Glyphosatskandals tief im Sattel ... (SB)



Dieses Jahr ging alles glatt - die Hauptversammlung des Bayer-Konzerns fand coronabedingt online statt, mit Protesten vor der Tür mußte nicht gerechnet und störende Wortmeldungen aus den Reihen der Aktionäre konnten moderiert werden, da Fragen im Vorwege schriftlich eingereicht werden mußten. Der Vorstand wurde im Unterschied zur Hauptversammlung 2919, als die Wellen um die Übernahme des US-Konzerns Monsanto noch hochschlugen, entlastet. Das Geschäftsergebnis des ersten Quartals 2020 fiel um ein Fünftel höher aus als im Vorjahr und es wurde eine Dividende in Höhe von 2,80 Euro je Aktie angekündigt.

Bayer ist aufgrund der 60 Milliarden Euro schweren Übernahme von Monsanto vor zwei Jahren zwar mit rund 34 Milliarden Euro zum Jahreswechsel hochverschuldet und steuert auf einen Vergleich in Höhe von voraussichtlich 10 Milliarden US-Dollar zu, um die Sammelklagen der Glyphosatgeschädigten abzuwehren. Als nunmehr größter Saatgutproduzent und zweitgrößtes Agrochemieunternehmen der Welt sowie wichtiger Akteur bei der Digitalisierung der Landwirtschaft befindet sich der deutsche Chemie- und Pharmagigant aber auch in einer Schlüsselstellung bei der Kontrolle über die weltweite Nahrungsmittelerzeugung. Deren Bedeutung wird weiter zunehmen, wie die durch die Coronapandemie entstandenen Versorgungslücken hierzulande und die drastische Zunahme hungernder Menschen weltweit zeigen.

Die häufig gestellte Frage, wieso Bayer mit der Übernahme von Monsanto nicht nur ein Reputationsproblem erwerbe, sondern auch das Risiko eines unabsehbaren Ausmaßes an Klagen Pestizidgeschädigter in Kauf nehme, hat der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann schon vor der größten Auslandsaquisition der deutschen Unternehmensgeschichte mit den Ernährungsproblemen begründet, die aus der schnell wachsenden Weltbevölkerung und dem Klimawandel resultieren. Die Konzentrationsprozesse in der globalen Agrarindustrie haben in den letzten Jahren zur Bildung eines Oligopols geführt, dessen Akteure den gesamten Produktionsprozeß von Nahrungsmitteln unter ihrem Dach vereinen. Neben Bayer gehört vor allem BASF zu den Konzernen, die ihr Geschäft mit Agrochemie, Saatgutpatenten und Landwirtschaftsdaten von der Bundesrepublik aus betreiben.


Zwei konträre Modelle der Nahrungsmittelproduktion

"Ernährungssicherheit" lautet der euphemistische Titel des von Staat und Kapital propagierten Akkumulationsmodells einer global arbeitsteiligen Agrarindustrie, die mit hohem Input an fossiler Energie und synthetischen Düngemitteln eher destruktive ökologische Ergebnisse zeitigt. "Ernährungssouveränität" ist das Leitmotiv der traditionellen kleinbäuerlichen und agrarökologischen Wirtschaftsweise einer möglichst selbstbestimmten und nachhaltigen, in lokale und regionale Strukturen eingebundenen Nahrungsmittelerzeugung. Wie sich die Zukunft der menschlicher Ernährung gestalten wird und wie destruktiv ihre Auswirkung auf die Krisen des Klimas, der Biodiversität, des Bodens und des Wassers sein werden, entscheidet sich zu einem Gutteil daran, wer künftig am meisten Einfluß auf die Nahrungsmittelproduktion geltend machen kann.

Unter den Bedingungen des kapitalistischen Weltsystems stehen die Chancen für die transnationale Agroindustrie, tiefgreifende Kontrolle über das Leben von Pflanzen und Tieren zu erlangen und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln zu monopolisieren, nicht schlecht. Mit der Liberalisierung des Welthandels seit den 1980er Jahren und der anwachsenden Bedeutung des Finanzkapitals für die Erzeugung des gesellschaftlichen Gesamtproduktes fand eine Welle von Unternehmensübernahmen und -fusionen statt, nach der nur noch einige wenige Konzerne den globalen Nahrungsmittelmarkt kontrollieren. Ein Gutteil des Geschäftes auch von Bayer beruht auf der Patentierung biotechnologisch veränderter pflanzlicher und tierischer Bioorganismen, der daraus resultierenden Einnahme von Lizenzgebühren und der Vermarktung von Hochleistungssorten, die sich nicht als Saatgut weiterverwenden lassen und resistent gegen Herbizide, Insektizide und Fungizide aus der eigenen Agrochemikalienproduktion sind.

Der durch den biotechnologischen und informationstechnischen Fortschritt in der Landwirtschaft erzeugte Innovationsdruck führt zu einer Wettbewerbsverschärfung, der viele kleine und mittlere Betriebe nicht standhalten können. Wer seine Landmaschinen nicht mit den Apparaturen des Precision Farmings ausstattet und dadurch wachsende Erträge bei sinkendem Einsatz von Dünger und Pestiziden erbringt, ist ebensowenig wettbewerbsfähig wie Landwirte, die nicht zu den Hochleistungssorten der Saatguthersteller und ihren spezifischen Pestiziden greifen.

Daß diese Entwicklung zugleich von anwachsenden Resistenzen bei sogenannten Unkräutern oder Schädlingen unterlaufen wird, ist nur eines der vielen Probleme, die die industrialisierte Landwirtschaft bei dem Versuch in die Welt setzt, die Erträge der Böden durch eine immer intensivere, technisch forcierte Bewirtschaftung zu steigern oder Wachstumsprozesse mit gentechnischen Mitteln oder dem Werkzeugkasten der Synthetischen Biologie zu optimieren. Den bäuerlichen Betrieben werden durch die am Weltmarkt orientierte Preiskonkurrenz Wachstumsziele aufoktroyiert, denen die Fruchtbarkeit der Böden, die Sauberkeit des Trinkwassers und die Gesundheit des sogenannten Nutzviehs nicht standhalten können. Artenschwund, Desertifikation und entvitalisierte Lebensmittel sind die Folge der systematischen Externalisierung von Kosten, die auf die Allgemeinheit der steuerzahlenden, durch Junkfood in ihrer Gesundheit beeinträchtigten oder durch Landraub ihres Lebenserwerbs beraubten Bevölkerung umgeschlagen werden.

In der Logik herrschaftlicher Monopolgewalt wird sich die Investition, die Bayer mit der Übernahme Monsantos getätigt hat, zumindest langfristig als Erfolgsgeschichte erweisen. Der dagegen gerichtete soziale Widerstand wird weltweit geprobt, hat es aber wie alle Bemühungen, aus der Position der Schwächeren aktiv zu werden, äußerst schwer. Um so wichtiger ist es, Bewußtsein für die materiellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen einer Krisenbewältigung zu schaffen, die nicht mehr in den Händen des kapitalistischen Akkumulationsregimes liegt, sondern von den ArbeiterInnen und BäuerInnen weltweit bestimmt werden.

4. Mai 2020


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