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RAUB/1215: Dead Planet 2019 - für den Vorstand des Lebensmittelkonzerns JBS ... (SB)



Die Stiftung Ethik & Ökonomie ethecon hat den Dead Planet Award 2019 dem Vorstand des größten Fleischkonzerns der Welt, JBS, verliehen. Das brasilianische Unternehmen wird unter anderem für die Zerstörung des amazonischen Regenwaldes, die Bestechung zahlreicher Abgeordneter bis hin zu Präsidenten, die Kontaminierung seiner Produkte mit gesundheitsschädlichen Substanzen und die brutale Ausbeutung der von dem Konzern abhängigen ArbeiterInnen verantwortlich gemacht. Angesichts der umfassenden Aktivitäten dieses weltweit agierenden Unternehmens vermag die Begründung für die Verleihung dieses alljährlich von ethecon vergebenen Schmähpreises [1] nur die wichtigsten Punkte zusammenzufassen. Doch schon daraus geht hervor, daß diese Demütigung nicht die Falschen trifft.

Zu kurz kommt bei der Kritik der von monopolistischen Großkonzernen formierten Verfügungsgewalt unternehmerischen Kapitals die Rolle des Staates. Daß Brasilien heute eine Spitzenposition im agroindustriell befeuerten Welthandel einnimmt und bei den Exportraten von Hühner- und Rindfleisch wie Sojabohnen den ersten Platz einnimmt ist Ergebnis einer nationalen Entwicklungspolitik, die darauf aus ist, den Status eines Schwellenlandes zu überwinden und zu den größten Akteuren der Welt aufzuschließen. Nur durch große Kredite und Investitionen der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES war JBS in der Lage, sein Geschäft international auszuweiten und zum Beispiel führende Akteure der fleischproduzierenden Industrie in den USA aufzukaufen. Von der Politik, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige "National Champions" aufzubauen und auf diesem Wege zahlreiche kleinere Unternehmen aufzukaufen, profitierten fast ausschließlich extraktivistische Industrien im Bereich der mineralischen, fossilistischen und agrarischen Rohstoffproduktion. 25 Prozent der Anteile an JBS gehören BNDES, weitere 10 Prozent werden von der mit öffentlichen Mitteln bestückten Bank Caixa Economica Federal gehalten [2].

Die Zusammenarbeit von BNDES und JBS war wesentlicher Bestandteil der Entmachtung der PräsidentInnen Dilma Rousseff und Lula da Silva, unter denen der Aufstieg brasilianischer Großunternehmen zugunsten der nationalen Wirtschaftsentwicklung erfolgt war. Wiewohl es gute Gründe dafür gibt, die Behauptung zu bezweifeln, daß Rousseff und da Silva Bestechungsgelder von JBS angenommen hätten, und davon auszugehen ist, daß ihre Entmachtung einer Intrige rechter Oligarchen und PolitikerInnen geschuldet ist, bestand ihr Anteil am Erfolg von JBS darin, eine auf Kapitalkonzentration und Weltmarktkonkurrenz orientierte Entwicklungspolitik mit den von ethecon geschilderten negativen Folgen zu betreiben.

Wenn linke Regierungen in Lateinamerika auf industriellen Produktivismus als zentralen Faktor nationaler Reichtumsproduktion setzen, dann tun sie dies durchaus in der Absicht, das dabei erwirtschaftete Gesamtprodukt sozial gerecht umzuverteilen und das Wohlstandsniveau auch bis dahin benachteiligter Gruppen der Bevölkerung anzuheben. Sie nehmen damit allerdings in Kauf, daß die ökologischen Probleme ihres Landes verschärft, die natürlichen Grundlagen nationaler Ernährungssouveränität beschädigt und die Möglichkeiten einfacher Subsistenzproduktion eingeschränkt werden. Letzteres betrifft Millionen kleinbäuerliche Existenzen und indigene Bevölkerungen, die häufig aus ihren offiziell geschützten Territorien vertrieben werden.

Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Problems, einen weniger zerstörerischen Umgang mit Menschen wie nichtmenschlichen Lebensformen zu entwickeln, um die Klimakatastrophe, die von dem um den Zugriff auf Lebensressourcen geführten sozialen Krieg nicht zu trennen ist, noch aufzuhalten, reicht die in grünen Bewegungen verbreitete Kritik an zerstörerisch agierenden Unternehmen nicht aus. So werden die Geschäfte des Fleischkonzerns JBS ebenso vom Konsum in der Bundesrepublik angeheizt wie der Betrieb deutscher Schlachtunternehmen auf den Import von Soja, das als Tierfutter verwendet wird, aus Lateinamerika angewiesen ist. All das basiert auf einem politisch gewollten und weiterhin expandierenden Welthandel, der nur durch die Externalisierung seiner ökologischen wie sozialen Kosten überhaupt profitabel sein kann. Der Weltmarkt wiederum entbehrte ohne Kapitalverwertung durch Lohnarbeit und die zwischen Staaten erfolgende Ausbeutung jeweiliger Produktivitätsunterschiede jeglicher Grundlage. Die von rechts gegebene Antwort auf die Probleme der Globalisierung allerdings verschlimmert das Problem, da die Renationalisierung den innerimperialistischen Konkurrenzkampf verschärft und neue Staatenkriege provoziert.

Ohne die Basis monetärer Tauschwertlogik und der daraus erwachsenden Kapitalakkumulation in Frage zu stellen werden sich die immer weiter auftürmenden sozialökologischen Probleme nicht bewältigen lassen. Über ganz andere Formen des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur nachzudenken und die soziale Reproduktion auf verbrauchsarme Füße zu stellen schließt monopolistische Strukturen und unternehmerische Kapitalkonzentration von vornherein aus. Möglicherweise wissen die Indigenen der amazonischen Regenwälder einiges darüber, wie sich anders leben und die Zerstörungsgewalt der von Feuer und Rad getriebenen industriellen Ausbeutung der Natur auf ein allgemein erträgliches Maß senken läßt. Möglicherweise kann auch das Nachdenken darüber, was der Mensch eigentlich tut, wenn er psychophysisch nicht anders als er selbst innigst mit ihrer Umgebung verbundene Lebewesen zu Nahrungsmitteln verarbeitet, dabei helfen, den Brand des Stoffwechsels, der in jeder Körperzelle ebenso lodert wie bei der Rodung des amazonischen Regenwaldes zur Schaffung neuer Rinderweiden und Sojafelder, auf ein weniger sich selbst und andere verzehrendes Niveau zu bringen.


Fußnoten:

[1] https://www.ethecon.org/download/191002%20Begr%FCndung%20Dead%20PA%20de.pdf

[2] https://www.iatp.org/the-rise-of-big-meat

30. November 2019


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