Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1195: Ressourcen - ihr Noterhalt und ihr Verbrauch ... (SB)



Der Ausstoß schädlicher Treibhausgase muß seinen Preis haben, und nur so können wir verhindern, daß wir am Ende ein Mehrfaches der Kosten tragen müssen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel [1]

Was die Bundeskanzlerin im PR-Video auf der Seite der Global Pricing Leadership Coalition (CPLC) als alternativlosen Handlungsbedarf präsentiert unterstellt eine Bemeßbarkeit und Verkehrsfähigkeit auf CO2 bezogener Naturzerstörung, die vor allem eines sicherstellen soll - das Akkumulationsmodell der auf Wachstum orientierten kapitalistischen Arbeitsgesellschaft. Was aus marktwirtschaftlicher Sicht einleuchtet, erscheint angesichts dessen, daß der lebensbedrohliche Naturverbrauch mit einem Mittel, das ihn originär hervorgebracht hat, bekämpft werden soll, als ausgesprochen kontraproduktiv.

Ohnehin war lebensbedrohlicher Mangel für Hunderte Millionen Menschen schon Realität, als die Natur noch als unerschöpfliches Reservoir der Reichtumsproduktion galt. Handlungsbedarf wird erst postuliert, wenn die destruktiven Folgen des Verbrauchs die Spitze der Freßkette einzuholen drohen. Wird die Luft dort dünn, dann ist sie an ihrem Ende kaum noch atembar. Die Kommodifizierung der Schäden, also die Bepreisung des zu entsorgenden Kohlenstoffes, wird das Problem eher verschärfen als lindern, wie die Geschichte der Verbrauchssteuern, die die Menschen beim Einkauf unterschiedslos zu entrichten haben, zeigt. Dabei war viel Zeit, in der über weniger drastische Lösungen hätte nachgedacht werden können. Umgekehrt könnte man sagen, Staat und Wirtschaft haben ihre Interessen unbeinträchtigt von Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels solange rücksichtslos durchgesetzt, bis es nicht anders geht, um nun, wiederum zum eigenen Vorteil, den Imperativ des Handlungsnotstandes in Anspruch nehmen zu können.

Schon seit rund 200 Jahren befeuert der industrielle Brand den Wohlstand der europäischen Industriestaaten, und seit mindestens 50 Jahren weiß man, daß die in Kohle, Gas und Öl über Jahrmillionen aufgebaute Antriebsenergie die Atmosphäre auf riskante Weise aufheizt. Der so erwirtschaftete Reichtum steht ebenso lange in groteskem Mißverhältnis zu den Millionen Menschen, deren Körper durch Arbeit mittels offener Gewalt oder ökonomischem Zwang ausgebeutet und verbraucht wurden, wie zu den Millionen, die ihr Dasein am Rande des Hungers fristen. Der lebensbedrohliche Charakter des Klimawandels holt praktisch für alle nach, was für Millionen schon Realität war, als die Natur noch als unerschöpfliches Reservoir der Reichtumsproduktion galt. Anstatt eine Aussage dazu zu treffen, wie auf der einen Seite Naturverbrauch reduziert und auf der anderen Seite akute materielle Not überwunden werden soll, propagiert die CLPC Geschäftsgelegenheiten, wie die 34 Nationalregierungen, darunter die Bundesregierung, 162 zum Teil transnational agierende Konzerne und 77 sogenannte strategische Partner aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, der Weltbank und diversen Nichtregierungsorganisationen nicht müde zu betonen werden.

Anstatt zu diktieren, wer Emissionen wo und wie reduzieren sollte, gibt ein Karbonpreis ein ökonomisches Signal und die Verschmutzer können selbst entscheiden, ob sie ihre verschmutzende Aktivität einstellen, Emissionen reduzieren oder mit der Verschmutzung fortfahren und dafür bezahlen wollen. Auf diese Weise wird das übergreifende Umweltziel auf die flexibelste und kostengünstigste Art für die Gesellschaft erreicht. [2]

Man versucht gar nicht erst, irgendwelche altruistischen Argumente aufzufahren und den schönen Schein zu wahren. Die Marktlogik des neoliberalen Kapitalismus wird auf die auch zuvor interessenbedingt vollzogene Naturzerstörung angewendet, um, wie bei der Verbriefung von Schulden und ihrer Verwandlung in neue Investments, aus Schaden ein Geschäft zu machen. Was gar nicht geht, ist den Dingen ihren Lauf und den natürlichen Verhältnissen ihre Subjektivität zu lassen. Für ein solches Interesse gibt es kein in universalen Werten oder Rechtspostulaten begründetes Argument, nimmt die bürgerliche Moral doch ihrerseits nichts als die reale oder suggerierte Schuld von Gesellschaftssubjekten in Anspruch, um daraus pekuniären oder regulativen Ertrag zu schöpfen. Hätte Moral in einem positiven Sinne irgendeine Bedeutung in diesem Zusammenhang, dann ließe die Bringschuld gegenüber den Bevölkerungen des Globalen Südens alle Versuche, mit der Praxis ihrer Ausbeutung fortzufahren, sofort auffliegen.

Um die Geschäfte und ihre Akteure unangetastet zu lassen, werden die natürlichen Lebensgrundlagen selbst zur Ware erklärt und der verabsolutierten Logik des Marktes unterworfen. So hält Sir Nicholas Stern, der 2006 mit seinem Report "The Economics of Climate Change" das Zeitalter des grünen Kapitalismus eröffnet hat, den Klimawandel für das Ergebnis des "größten Marktversagens, das die Welt jemals gesehen hat" [3]. Mit der Einführung von einer Tonne CO2 als Äquivalent für alle Formen von Treibhausgas wurde der Klimawandel mit einer metrischen Dimension versehen, ohne die sich die geldförmige Verwertung des Schadens für Emissionshandel und CO2-Steuer nicht praktizieren ließe. Die Reduzierung des komplexen Problems eines Ressourcenverbrauchs, bei dem die Natur als Quelle kostenloser Arbeitsenergie und Rohstoffe für ein höchst selektives, die globale Ungleichheit vertiefendes industrielles Wachstum vernutzt wird, auf Kohlenstoff oder Karbon schafft eine universale Referenz, der alle anderen Stoffwechselprozesse nachgeordnet werden.

So spielt das Problem der abnehmenden Biodiversität bestenfalls eine nachrangige Rolle, wenn über den Verbrauch von Primärenergie und den Verbleib der dabei freigesetzten Emissionen nachgedacht wird. Dafür diskutierte Lösungen wie die Aufnahme von Karbon durch agroindustriell bewirtschaftete Felder oder Plantagenwälder sind den dort lebenden Tieren ebenso abträglich wie den indigenen Bevölkerungen, die in der neuen Kohlenstoffökonomie bestenfalls Armutsjobs erhalten, schlimmstenfalls aber mit dem Argument, die Wälder nicht mehr wie bisher nutzen zu dürfen, ihrer Lebensgrundlage verlustig gehen.

Wenn der ehemalige Manager der Deutschen Bank und Umweltökonom Pavan Sukhdev die Bildung sogenannten Naturkapitals und die Bepreisung sogenannter Ökosystemleistungen 2012 mit der Aussage legitimiert, daß wir Natur gebrauchen, weil sie wertvoll ist, aber verlieren, weil sie umsonst ist [4], dann merkt er nicht, daß es sich dabei um keinen Widerspruch handelt. Dem Gebrauchswert der Natur stand der Tauschwert der daraus erwirtschafteten Produktionsmittel und der Mehrwert der dafür eingesetzten Arbeit stets gegenüber. "Umsonst" war sie lediglich für diejenigen, die sie sich mehr oder minder gewaltsam angeeignet haben, wofür dabei vertriebene Bevölkerungen ebenso teuer bezahlen mußten wie die von Umweltgiften und Wassermangel betroffenen Menschen und alle anderen im Verwertungsprozeß vernichteten Lebewesen.

Wenn Shukdev nahelegt, daß eine sogenannte Ökosystemdienstleistung wie das über dem Amazonas-Becken aufsteigende und über der La Plata-Ebene abregnende Wasser einen Preis haben müßte, den die davon profitierenden Landwirte zu entrichten hätten [5], dann erweist sich Bepreisung des Karbons zumindest in dieser Anwendungsform als Instrument neokolonialistischer Landnahme. Wer entscheidet darüber, welche Ressourcen unter welchen Bedingungen und in welcher Menge gefördert werden, wenn der Zugriff auf natürliche Ressourcen mehr noch als bisher an die Verfügbarkeit von genügend Kapital gebunden ist? Wem wird vorenthalten, was einst als Gemeineigentum von jedem Menschen zur Erhaltung seines Lebens in Anspruch genommen werden konnte? Die marktwirtschaftliche Bewältigung des Klimawandels unter der erklärten Bedingung, keine negativen Folgen für das Wirtschaftswachstum in Kauf nehmen zu wollen, läßt ahnen, daß die vom real existierenden Kapitalismus hervorgebrachten Gewaltverhältnisse noch ein großes Potential zu ihrer Steigerung enthalten. Höchste Zeit, das nicht unkomplizierte Thema des Zusammenhangs von Kapitalismus und gesellschaftlichen Naturverhältnissen für die politische Linke und die Klimagerechtigkeitsbewegung zu erschließen, um welcher Leadership Coalition auch immer Paroli zu bieten.


Fußnoten:

[1] https://youtu.be/5fvbD0Ev7eU

[2] https://www.carbonpricingleadership.org/what

[3] Carbon Metrics - Global abstractions and ecological epistemicide, S. 45
https://www.boell.de/de/node/287891

[4] Klimacamp trifft Degrowth - Rechenbar, teilbar, frei zum endlichen Verbrauch ... (1) (SB)
http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0064.html

[5] https://www.researchgate.net/publication/303859294_Bringing_Liquidity_to_Life_Markets_for_Ecosystem_Services_and_the_New_Political_Economy_of_Extinction

29. April 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang