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RAUB/1151: Plastik - Verkehrsformwandel zwingend ... (SB)



Von den 330.000 Tonnen Mikroplastik, die in der Bundesrepublik jährlich freigesetzt werden, stammt allein ein Drittel aus dem Abrieb von Autoreifen, wie eine aktuelle Studie des Fraunhofer Institutes für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen [1] besagt. Darüberhinaus steht der Abrieb von Fahrbahndecken auf dem dritten Platz der für das freigesetzte Mikroplastik verantwortlichen Quellen. Gemeint ist das Gesamtaufkommen an Mikroplastik, also kleinster, zum Teil nur unter dem Mikroskop zu erkennender Partikel und Fasern, die die Eigenschaft haben, sehr beständig und daher auf lange Zeit in den verschiedenen Ökosystemen nachweisbar zu sein. Primäres Mikroplastik wird bestimmten Industrieprodukten wie Kosmetika oder Druckerfarben schon bei der Herstellung beigefügt oder bei der Nutzung von Gebrauchsartikeln und Werkstoffen wie Autoreifen und Anstrichfarben freigesetzt. Sekundäres Mikroplastik ensteht bei der Verwitterung von Makroplastik aller Art, wobei vor allem an Einkaufstüten und Produktverpackungen zu denken ist. Insgesamt entfallen 74 Prozent der in Deutschland bilanzierten Kunststoffemissionen auf Mikroplastik und 26 Prozent auf Makroplastik.

Bislang wurde das Problem der langfristigen Beständigkeit von Mikroplastik in der Umwelt vor allem an Produkten festgemacht, in denen es bestimmte Funktionen erfüllt wie etwa in Haarwaschmitteln. Jedoch entfallen in der Auflistung der Fraunhofer-Studie nur 19 Gramm pro Kopf und Jahr an freigesetztem Mikroplastik auf Kosmetika, die damit auf Platz 18 von 51 untersuchten Quellen für Kunststoffemissionen rangieren. Allein 998 Gramm pro Kopf und Jahr entstehen beim Reifenabrieb im Pkw-Verkehr. Lkws sind für 89 und der Abrieb von Bitumen aus dem Asphalt für 228 Gramm pro Kopf und Jahr verantwortlich. Der zweitgrößte Posten nach dem Reifenabrieb entsteht bei der Abfallentsorgung mit 302,8 Gramm pro Kopf und Jahr an freigesetztem Mikroplastik.

Auch wenn in der Studie nicht direkt miteinander in Verbindung gebracht, erinnert das Problem, körperlich mit kleinsten Partikeln, deren minimale Größe im Nanobereich angesiedelt ist, aus industrieller Fertigung, aus Straßenverkehr und Landwirtschaft konfrontiert zu sein, an die Feinstaubproblematik. Deren auf mechanischen Wirkfaktoren basierende Gefährlichkeit besteht in der Ablagerung der Partikel in Blutgefäßen, wo sie entzündliche Prozesse hervorrufen, die zu Vernarbungen und einer Verkleinerung des Gefäßquerschnittes mit entsprechenden Herz-Kreislauf-Risiken führen.

Wie in der Studie betont wird, steht die Erforschung der physiologischen Wirkungen relevanter Mengen an Mikroplastik im Organismus noch ganz am Anfang. Aus medizinischen Studien, die sich hauptsächlich mit Polymeren als Vektor für Medikamente beschäftigen, lasse sich lediglich ableiten, daß insbesondere Partikel im Nanometerbereich über die Darmwand in den Blutkreislauf aufgenommen, zur Leber und Gallenblase transportiert und über Darm und die Blase wieder ausgeschieden würden.

Unmittelbar toxische Wirkung wird den verschiedenen Kunststoffen eher nicht zugeschrieben, allerdings handelt es sich bei den zugefügten Additiven, die bestimmte Eigenschaften wie Verwitterungsresistenz, geringe Entflammbarkeit, hohe Formstabilität oder Elastizität u. ä. erzeugen sollen, zum Teil um seit langem bekannte Umweltgifte wie Bisphenol A oder Phthalate, über deren krankheitserzeugende Wirkungen bereits Untersuchungen vorliegen. Das in die Umwelt entlassene Mikroplastik ist insbesondere im Wasser vorhanden und reichert sich in Biorganismen aller Art wie Fischen und Muscheln an. Zwar wird ein Großteil der im gebrauchten Wasser vorhandenen Plastikpartikel in Kläranlagen herausgefiltert, dennoch gelangt dieses Mikroplastik über die Verwendung des Klärschlammes als Düngemittel in der Landwirtschaft zu 35 Prozent wieder in die Umwelt.

Die VerfasserInnen der Studie empfehlen eingedenk der nur bedingt erfolgten Erforschung des Problems und des insgesamt eher vagen Erkenntnisstandes zu den physiologischen und ökologischen Auswirkungen des Mikroplastiks, die Emissionen von Kunststoffen, also von Mikro- und Makroplastik, zur Begrenzung weiterer Schäden in der Umwelt von 5400 Gramm pro Kopf und Jahr um den Faktor 27 auf ca. 200 Gramm pro Kopf und Jahr zu reduzieren. Diese angesichts des belegten Sachstandes wiederum erstaunlich weitgehende Empfehlung läßt vermuten, daß es relevante Indizien dafür gibt, bei ungebremster Akkumulation von Mikroplastik in der Umwelt eines Tages vor kaum mehr zu bewältigenden Herausforderungen zu stehen.

Eine davon läßt sich allerdings schon heute benennen: die Überwindung des Automobilismus als gesellschaftliche und industrielle Fehlentwicklung. Aufgrund des hohen Anteils, den der motorisierte, auf der Straße stattfindende Individual- und Güterverkehr an der Entstehung des Problems hat - wobei alle Mikroplastikemissionen, die bei der Produktion wie Entsorgung der Fahrzeuge und der Erzeugung ihres Treibstoffes aus Erdöl oder Biomasse anfallen, noch gar nicht eingerechnet sind -, bieten sich hier relevante Anknüpfungspunkte für die Forderung nach einer Mobilitätswende. Da viele weitere sozialökologische Probleme gegen diese historisch noch junge Fortbewegungsform sprechen, ist die Belastung der Umwelt mit Mikroplastik ein weiterer guter Grund, die Umstellung der Mobilität von Menschen wie Gütern auf den ÖPNV, ein gut ausgebautes Fernstreckennetz der Bahn als auch den Ausbau öffentlicher Wege zugunsten von Fahrrädern und Fußgängern zum Bestandteil ernstzunehmender Maßnahmen gegen den Klimawandel und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zu machen.


Fußnote:

[1] https://www.umsicht.fraunhofer.de/content/dam/umsicht/de/dokumente/publikationen/2018/kunststoffe-id-umwelt-konsortialstudie-mikroplastik.pdf

10. September 2018


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