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RAUB/1134: Tierwohl - Sterben und Qual kollateral ... (SB)



Fast 580.000 Rinder starben 2016 krankheits- oder verletzungsbedingt in deutschen Ställen. Da weder sogenanntes Schlacht- noch Milchvieh seine natürliche Lebenserwartung auch nur annähernd erreicht, hat bei 3,6 Millionen in diesem Jahr geschlachteten Rindern jedes siebte Tier nicht einmal die wenigen Monate oder Jahre überdauert, nach denen sich die Haltung veterinärmedizinisch als unbedenklich eingestufter Tiere nicht mehr rechnet und sie zwecks Verbrauch getötet werden. Wer nicht einmal die kurze Strecke der Rindermast, die je nach Geschlecht maximal anderthalb Jahre beträgt, die spätestens nach sieben Monaten endende Kälbermast oder die Vernutzung als Milchkuh, die meist nach fünf Schwangerschaften beendet ist, durchhält, endet in einer staatlich subventionierten Anlage zur Tierkörperbeseitigung. Dort wird das "gefallene" Tier je nach Todesursache in drei Risikokategorien eingeteilt und, wenn nicht aus seuchenmedizinischen Gründen vollständig entsorgt, der finalen Nutzung in der Energieerzeugung, als Düngemittel, Fischfutter, Rohstoff für die Chemieindustrie und vieles mehr zugeführt.

Manche Rinder erblicken das Licht der Welt allerdings erst im Schlachthof. Rund 180.000 Kälber sterben jedes Jahr bei ihrer Entnahme aus dem Mutterleib, weil bei zum Endverbrauch vorgesehenen Milchkühen nicht genügend darauf geachtet wird, ob die notorisch geschwängerte Milchproduzentin nicht schon wieder ein Kalb austrägt. Der Todeskampf des unentdeckten Kalbes soll bis zu 20 Minuten währen, weil die Schlachtung der Mutter nicht den sofortigen Tod ihres Kindes bedeutet. Da Kühe nur wenige Wochen nach der Geburt eines Kalbes wieder künstlich befruchtet werden, um während der neunmonatigen Schwangerschaft und der züchtungstechnisch von früher sechs auf bis zu elf Monate ausgedehnten Laktationszeit weiterhin Milch zu geben, sind sie fast permanent schwanger.

Heute ist allgemein bekannt, daß in der Bundesrepublik jährlich bis zu 60 Millionen Schweine geschlachtet werden. 26.000 Schweine am Tag kommen etwa im Schlachthof des Unternehmens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ums Leben, geplant ist die Ausweitung auf 30.400 Tiere. Großschlachtereien dieser Art werden von Masthöfen beliefert, die ihrerseits unter Hochdruck aus dem Schwein herausholen, was an schnellem Fleischwachstum möglich ist. Zu den 60 Millionen Tieren, die auf dem Teller ihrer Endverwertung zugeführt werden, sind jedoch mehr als 13 Millionen Schweine hinzuzuzählen, die die Mast nicht überleben, weil sie an unversorgten Wunden, Streß oder infektiösen Krankheiten sterben. Auch sie werden in früher Abdeckerei genannten Tierkörperbeseitigungsanstalten verwertet, deren staatliche Subventionierung eine finanzielle Begünstigung der Fleischproduzenten darstellt, die bereits in mehreren Landesparlamenten in Frage gestellt wurde.

Rund sechs Millionen Ferkel im Jahr werden tot geboren, davon ersticken bis zu zwei Drittel durch zuchtbedingtes Reißen der Nabelschnur im Mutterleib. Zudem werden rund vier Millionen Ferkel noch am ersten Lebenstag getötet. Vor der Präsentation auf der Fleischtheke, wohin ein Mastschwein nach gerade mal sechs Monaten seines Daseins in der industriellen Massentierhaltung gelangt - wobei sein Leben in Biohaltung nur wenig erträglicher ist -, werden mithin weit mehr Tiere verbraucht, als - abzüglich der nicht geringen Menge im Mülleimer entsorgter Fleischprodukte - überhaupt verzehrt werden. Erkranktes Schlachtvieh nach allen Regeln tierärztlicher Kunst schmerzfrei und gesund zu machen mag ethisch geboten sein, ist aber ein ökonomischer Widersinn in sich. Wenn sich die medizinischen Anwendungen in Grenzen halten, was sie aus betriebswirtschaftlichen Gründen in der Regel müssen, bleibt die Notschlachtung.

Ob Schwein, Rind, Geflügel oder Fisch - wer als Nutztier auf die Welt kommt, verläßt sie nicht nur bald wieder, sondern existiert als mit Emotion und Kognition ausgestattetes Individuum für den Menschen nicht. Der Produktion von "Fleisch" und "Milch", in der Abtrennung vom tierlichen Leben und der Kategorisierung als Nahrungsmittel nicht minder euphemistisch verklärt als andere dem noch auf viele Jahre hinaus lebensfähigen Leib entrissene Produkte, ein wenig "Tierwohl" abzuringen scheint dem Unbehagen in der Regel Genüge zu tun.

2. Mai 2018


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