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RAUB/1132: Fahrverbote - Substanzverzehr im Stadtverkehr ... (SB)



Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, daß das Verhängen von Fahrverboten für Dieselautos in Städten auch ohne Bundesgesetz rechtens sei, wird von Umweltverbänden als großer Erfolg gefeiert. Ob in Zukunft der ganze Stadtraum, einzelne Quartiere oder Straßenzüge dieselfrei sein werden, so ist damit doch wenig gewonnen. Zwar ist die Belastung der Atemluft mit Stickoxiden der Gesundheit abträglich, und es ist nicht einzusehen, daß die davon ausgehenden Gefahren einfach hingenommen werden. Die akute Bedrohung insbesondere heranwachsender und älterer Menschen an bestimmten Verkehrsknotenpunkten, deren Anlieger den schädigenden Auswirkungen der Stickoxide durch das besonders hohe Verkehrsaufkommen permanent ausgesetzt sind, ließen sich allerdings auch ohne Fahrverbote umschiffen. So könnten die Hauptverkehrsrouten verlegt oder betroffenen Anwohnern Wohnraum in weniger belasteten Gebieten angeboten werden.

In der Debatte um Fahrverbote hat sich allerdings auch gezeigt, daß mit Normalbenzin betriebene Fahrzeuge andere Nachteile wie etwa hohe CO2-Emissionen haben. Feinstaub, der als weit gefährlicher für die menschliche Gesundheit gilt als das Einatmen entsprechender Mengen von Stickoxiden, fällt bei allen motorisierten Fahrzeugen insbesondere durch den Reifenabrieb, aber auch andere Faktoren mechanischer Abnutzung in erheblichem Ausmaß an. Dem Problem der allgemeinen gesellschaftlichen Belastung durch eine bestimmte Gruppe von Verursachern ist durch die Anprangerung von Dieselfahrzeugen jedenfalls nicht beizukommen.

Die ausbleibende Debatte um die sozialen Bedingungen des motorisierten Individualverkehrs brächte schnell die Forderung einer fundamentalen Mobilitätswende hervor. Wer nicht nur aus ökonomischen, sondern auch ökologischen oder anderen Gründen kein Auto fahren will, kann sich gegen die Zumutungen der seit den 1950er Jahren zum Leitbild der Stadtplanung erklärten "autogerechten Stadt", die den urbanen Raum zugunsten des schnellen motorisierten Straßenverkehrs organisiert und fragmentiert, nicht wehren. Wer an einer vielbefahrenen Straße wohnt, was üblicherweise einkommensarme Menschen betrifft, der ist schon in den eigenen vier Wänden dem dröhnenden Lärm und Gestank so sehr ausgesetzt, daß das Fenster trotz des Bedürfnisses nach frischer Luft meist geschlossen bleibt. Tritt der Mensch aus der Haustür auf den Bürgersteig, ist er womöglich mit einem schnellfahrenden Durchgangsverkehr konfrontiert, der schon das Überqueren der Straße zu einem Problem machen kann. Wer in den von Glas und Blech umgebenen Sitzgruppen an ihm vorbeirauscht, verbindet mit dem konkreten Ort nur eins - schnell weiter.

Wenn die grundverschiedenen Welten der per Fuß und Fahrrad vorankommenden und motorisierten Verkehrsteilnehmer aufeinandertreffen, tritt schon aufgrund der kinetischen Energie der beschleunigten Fahrzeuge ein Gewaltverhältnis hervor. Sich ihnen unbedacht in den Weg zu stellen und dabei überfahren zu werden hat bei aller Verrechtlichung des Straßenverkehrs für das Unfallopfer nur Nachteile. Die Schuldfrage ändert am fatalen Ergebnis etwaiger Kollisionen nichts. Im feuchten Grab ist die Gewißheit, Recht gehabt zu haben, wenig hilfreich. So kommen im Straßenverkehr andauernd Menschen schuldlos zu Schaden, einfach weil der andere das schwerere und schneller beschleunigende Gefährt steuert.

Weitet man den Blick auf die ganze Kette für den Automobilismus in Anspruch genommener Vorleistungen und Folgen, dann zeigt sich erst recht, daß diese Verkehrsform stets zu Lasten nicht in den Fahrzeugen sitzender Menschen geht. Sie leiden im globalen Süden unter den imperialistischen Bedingungen der Ressourcensicherung, ohne die sich keine hochentwickelte Automobilindustrie wie die der Bundesrepublik unterhalten läßt, sie müssen die Versiegelung des Bodens durch toten Asphalt wie die durch Schadstoffe kontaminierte Luft hinnehmen, sie sind mit einer Privatisierung des öffentlichen Raumes konfrontiert, der diese essentielle Form des Gemeinwesens denjenigen unterwirft, die über Mittel und Wege verfügen, sich in ihren Fahrgastzellen nach außen abzuschirmen und so sehr zu beschleunigen, daß die Straße so oder so ihnen gehört.

Die dabei in Kauf zu nehmenden körperlichen Schäden gehen weit über die Beeinträchtigungen hinaus, die die NOX-Emissionen der Dieselautos verursachen. Über eine Million Verkehrstote weltweit und weit mehr auf den Straßen überfahrene Wildtiere im Jahr sind die blutige Bilanz eines permanenten Krieges, der um das jeweils schnellere Erreichen eines Zieles geführt wird. Hier stellt sich heraus, daß das Privileg des größeren Fahrzeuges nicht nur symbolischer Art ist, sondern ganz konkreten Überlebenszwecken dient. Die ungleichen Bedingungen im Straßenverkehr verhalten sich analog zu anderen Parametern sozialer Daseinsqualität wie der Qualität und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, trinkbarem Wasser, atembarer Luft, medizinischer Versorgung, von Wohnraum und Kleidung, um von den Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs auf den Klimawandel ganz zu schweigen.

Der geldwerte Vorteil, der mit dem Kauf eines technisch hochentwickelten Autos erstanden wird, kann schon auf der Ebene individuellen Konsums in sein Gegenteil umschlagen. Stellte der jeweilige Fahrzeughalter alle Leistungen, die er zu erbringen hat, um sich von seinem Gefährt von hier nach dort transportieren zu lassen, zeitlich in Rechnung, dann wäre wenig gewonnen. Die unter Einbeziehung aller Verbrauchs- und Zeitfaktoren erreichte Geschwindigkeit ist kaum schneller als die eines Fahrrades. Die Suggestion der besonderen Freiheit des Autobesitzers erweist sich, wenn die gesamtgesellschaftlichen Kosten des Automobilismus dazugerechnet werden, erst recht als eine besonders verstiegene Form freiwilliger Unterwerfung unter das Regime einer industriellen Produktionsweise, deren fremdbestimmter Charakter mit der globalen Aneignung erforderlicher Ressourcen ihren Lauf nimmt und mit der instrumentellen Zurichtung des Menschen auf das Korsett automobiler Mechanik und die Infrastruktur der befahrbaren Wege längst nicht an ihr Ende gelangt ist. Die Funktionalität der Regel- und Steuermodule wie das Band der Straße und die Ordnung ihres Befahrens dampfen die Entscheidungsfähigkeit des Verkehrsteilnehmers auf die Prozeßlogik einer Raumüberwindung ein, die sich naheliegenderweise auch von computerisierten Steuerautomaten ausführen läßt.

Nachzudenken wäre mithin nicht so sehr über Gerechtigkeitsfragen innerhalb der automobilen Produktionsweise als über deren prinzipielle Existenzberechtigung. Die Zukunft gesamtgesellschaftlicher Gestaltung von Mobilität liegt in der Frage, wie die dabei in Anspruch genommenen Verbrauchsfaktoren sozialökologisch verträglich organisiert werden können [1]. Das betrifft auch die vielgerühmte E-Mobilität, in der sich maßgebliche Belastungs- und Verbrauchfaktoren der fossil betriebenen Fortbewegungsart mit grünem Vorzeichen reproduzieren. Die seit Jahren geführte Debatte um Abgasnormen und betrügerische Konzernstrategien ist ihrem Gegenstand zutiefst verwandt - mit großem zeitlichen Aufwand wird viel heiße Luft erzeugt, während es um nichts anderes geht, als weiterhin vertraute und - ausschließlich im Sinne individueller Aneignung - profitable Destruktivenergien abzufackeln.


Fußnote:

[1] BERICHT/100: Emissionsarmer Verkehr - die ersten Schritte noch schwer ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0100.html

27. Februar 2018


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