Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1125: Tiertransporte ... so weit die Schmerzen reichen (SB)



Schlachttiertransporte, Lebendtierexporte - zwei Verwaltungsbegriffe aus dem Bereich der Nahrungsmittelproduktion, die auf den ersten Blick nicht ahnen lassen, daß sie einen von besonders grausamen Praktiken bestimmten Bereich der Verwertung sogenannter Nutztiere betreffen. Was der Dokumentarfilmer Manfred Karremann unter dem Titel "Geheimsache Tiertransporte - Wenn Gesetze nicht schützen" [1] in Bild und Ton aufgenommen hat, gehört zum Schlimmsten, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Thema Tierquälerei jemals ausgestrahlt wurde. Nicht wegzugucken, wenn Rinder, mit einem Bein an eine Kette gebunden, aus dem Bauch eines Frachtschiffes gehievt werden, so daß das eigene, bis zu 800 Kilogramm betragende Körpergewicht ihnen die Knochen bricht, wenn sie beim Verladen geprügelt und getreten werden, so daß sie kopfüber über Rampen stürzen und aufeinanderfallen, wenn ihnen am Zielort mit langen Messern im Lauf die Fußsehnen durchgeschnitten werden und sie unter angst- und schmerzerfülltem Gebrüll zusammenbrechen, wenn ihnen die Augen ausgestochen werden, wenn ihnen schließlich der Hals in einer regelrechten Metzelei mit vielen Schnitten geöffnet wird, so daß sie bei Bewußtsein ausbluten, ist nicht jedes Menschen Sache.

Das Pandämonium aus Angst und Schmerz, das sich dem Publikum dieser am 21. November im ZDF ausgestrahlten Dokumentation eröffnet, weist jede Faszination am bezeugten Grauen in die Schranken eigener Beteiligung an Formen der Tierausbeutung, die an dieser Stelle in besonderer Deutlichkeit hervortritt. Weil diese Bilder und Töne nur schwer auf Distanz ungerührter Beobachtung zu halten sind, stellt sich dem Zuschauer sofort die Frage, wer für diese Grausamkeiten verantwortlich ist. Da die Zielorte der Transporte, wo besonders eindrückliche Bilder aufgenommen wurden, vor allem in der Türkei und Ägypten liegen, ist die Antwort schnell gefunden. So werden in den Kommentaren auf You Tube, wo die Dokumentation eingestellt wurde, häufig Muslime für die Qualen der Tiere nicht nur verantwortlich gemacht, sondern auf rassistisch verallgemeinernde Weise beschimpft.

Dabei richtet sich die Kritik des Dokumentarfilmers und der TierschützerInnen, die die Transporte in nicht der EU angehörende Staaten im Nahen und Mittleren Osten begleiten, vor allem gegen die Politik der Europäischen Union, diese Exporte nicht wirksam genug zu überwachen. Während die Zahl der in Drittstaaten gelieferten Tiere stetig zunimmt und sie auf dem Landweg in großer Hitze, unter Bewegungs- und Wassermangel Tausende von Kilometern transportiert werden, unterbleibt die Kontrolle des Tierwohls spätestens nach dem Überqueren der EU-Außengrenzen. Daß diese bis zum Zielort der Lebendtierexporte gewährleistet werden könnte, wie der Europäische Gerichtshof anläßlich einer Klage verlangte, ist auch deshalb ein frommer Wunsch, weil EU-Recht in diesen Drittstaaten schlichtweg keine Gültigkeit hat.

Zwar wirft Karremann, der schon seit 1989 mit dem Thema Tiertransporte befaßt ist, die Frage auf, wieso überhaupt lebende Rinder und Schafe in Länder exportiert werden müssen, in denen ihnen schlimmste Qualen drohen. Doch kratzt die Einengung des Themas auf die in Staaten mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung übliche Praxis des Schächtens und einer daraus erwachsenden Nachfrage nach lebendigen Tieren, die zu tagelangen, qualvollen Wartezeiten an den EU-Außengrenzen führen kann, gerade einmal an der Oberfläche des Problems.

Exportiert wird nach der Maßgabe einer EU-europäischen Handelspolitik, die gerade im Agrarbereich für ihre expansive, die Existenzgrundlage lokaler ProduzentInnen häufig vernichtende Aggressivität bekannt ist. Produziert wird das dazu benötigte Schlacht- und Milchvieh nach den Kriterien einer global ausgespannten Marktkonkurrenz, in der die Kosten der Arbeit darüber befinden, wo welches Tier auf welche Weise mit welchem Maß an externalisierten Kosten in Form vergifteter Umwelt, ausgeplünderter Natur und verkürzter Lebenserwartung der ArbeiterInnen ausgeschlachtet wird. So ist das bettelarme Bangladesh nicht nur ein Zentrum der globalen Textil-, sondern auch Lederindustrie. Die dort zum Preis toter Gewässer, krebskranker Kinder und einer Klassengesellschaft frühkapitalistischen Zuschnitts gegerbten und gefärbten Häute werden heute vor allem nach China exportiert. Dort werden aus ihnen Schuhe und andere Lederwaren hergestellt, die zu einem großen Teil auch in die Bundesrepublik exportiert werden.

Auf dem Weltmarkt besteht nur, wer Milch- und Fleischerzeugung immer produktiver macht. Das Wachstum - in diesem Fall auch ganz körperlich als das der Tiere zu verstehen, denen unter Qualen immer größere Milch- und Fleischleistungen bei entsprechend verkürztem Leben abverlangt werden - wird maximiert. Die Kosten der Arbeit, des Verbrauches an Land und Wasser, des Transportes und des verlangten Tierschutzes werden nach Kräften gesenkt und neben den Tieren einer Allgemeinheit aufgebürdet, die die Folgen intensiver Nutztierhaltung, selbst wenn sie keine Tierprodukte konsumiert, in Form massiver Nitratbelastung des Trinkwassers, weittragender Kontamination der Atemluft mit Feinstaub, anwachsender Antibiotikaresistenzen, von Artenschwund, Naturzerstörung und Klimawandel zu tragen hat.

Wenn in einem Land wie Ägypten, in dem das Gros der Bevölkerung in großer Armut lebt und von einem Despoten unterdrückt wird, den man in Berlin auch und gerade deshalb, weil er sie mit massiver Repression am Aufstand hindert, gerne und mit Ehren empfängt, Tiere auf groteske Weise gequält werden, dann kann es dafür viele Gründe geben, die aus der Perspektive des gutversorgten Westeuropäers nicht nachvollziehbar sind. Anstatt ein pauschalisierendes Urteil über die Grausamkeit von Muslimen gegenüber Tieren zu fällen, könnte ebensogut gefragt werden, wieso in den kaum erträglichen Bildern aus ägyptischen Schlachthöfen ausschließlich Männer als Täter agieren? Gleiches gilt für das Personal an deutschen Schlachthöfen - die Station, an denen die Tiere getötet werden, sind fast immer mit männlichen Metzgern besetzt. Es könnte auch gefragt werden, was an der nicht immer funktionierenden Betäubung und anschließenden Tötung im Stechkarussell, die ebenfalls von einigen Tieren überlebt wird, bevor sie im Brühbad elendiglich sterben, bei einer Zahl von fast 60 Millionen geschlachteten Schweinen in der Bundesrepublik im Jahr so viel tierfreundlicher ist? Allein 1200 Schweine am Tag werden in Abdeckereien entsorgt, die zu Lebzeiten nachweislich erheblich gelitten haben [2].

Der Schmerz der Ohnmacht, den ein Lebewesen überwältigt, wenn es gewaltsam getötet wird, bleibt für diejenigen, die davon nicht betroffen sind, unauslotbar. Zweifellos gibt es graduelle Unterschiede in der Grausamkeit des Tötens. Die eigene Lust am Fleisch dadurch zu rechtfertigen, daß das zu verkonsumierende Lebewesen so überraschend und schnell wie möglich vom Leben in den Tod befördert wird, dient jedoch in erster Linie dem dabei erzeugten Leibeswohl. So hat sich der Tierschutzverein Uria unter dem Motto "Es ist Zeit für glückliche Tiere!" dem Zweck verschrieben, "Nutztierhaltungen zu fördern, die sich kompromisslos an den Bedürfnissen der Tiere orientieren" [3]. Der Nutzen der Menschen und die Bedürfnisse der Tiere sind, da kein Lebewesen gewaltsam seines Lebens beraubt werde möchte, dennoch nicht unter einen Hut zu bringen. So sinnvoll das Anliegen des Vereins, mit der von ihm beworbenen Tötungsart die "schrittweise Abschaffung der Schlachttiertransporte" zu bewirken, erscheinen mag, so grotesk ist die Unterstellung, die von ihm propagierte Methode des Schlachtens entspreche ganz und gar dem Interesse der dabei getöteten Tiere.

Die Rinder werden in gewohnter Umgebung auf der Weide - während sie fressen oder ruhen - überraschend durch einen Schuss in den Kopf betäubt. Nach Kontrolle der Vitalzeichen werden sie mittels Seilwinde in die Schlachtbox verbracht, wo sie durch Blutentzug getötet werden. Die Herdenmitglieder reagieren auf den Schuss (schallgedämpfte Langwaffe) minimal bis gar nicht. [4]

Wird die zu diesem Zweck entwickelte und unter Markenschutz stehende Technik auch noch damit beworben, daß Fleisch ohne Stresshormone gesünder und von besonderer Qualität sei, dann erweist sich die schöne neue Welt des tiergerechten Schlachtens als bloße Variation menschengerechter Ausbeutung an und für sich autonomer Lebewesen. Bei der Erforschung weniger belastender Formen des Tötens ist denn auch die Beschaffenheit des Fleisches das wissenschaftliche Hauptkriterium [5], macht doch die unterstellte Win-Win-Situation - besseres Fleisch, weniger Schmerzen - die Rechnung nur für den Wirt auf.

Gleiches gilt für das sogenannte Milchvieh. In der ZDF-Dokumentation wird das Beispiel eines Kalbes gezeigt, das auf einem deutschen Biohof geboren und kreuz und quer durch Mastbetriebe in Deutschland und der EU weiterverkauft wurde, um schließlich in Ägypten ein trauriges Ende zu nehmen. Es handelt sich um das Kind einer Kuh, die in einem deutschen Biobetrieb als Milchproduzentin eingesetzt wird. Das Beispiel einer anderen, 14jährigen Kuh, die bereits 12 Kälber geboren hat, wird auf diesem Hof als Beleg für die besondere Zuwendung präsentiert, mit der die Rinder dort bewirtschaftet werden. Tatsächlich werden Milchkühe selten älter als fünf Jahre, wenn sie die körperliche Hochleistung, die ihnen das jährliche Kalben und fast permanente Milchproduzieren in Quantitäten, die sich innerhalb weniger Jahrzehnte mehr als verdoppelt haben, abverlangt, überhaupt so lange durchhalten.

12 Kälber zu gebären heißt aber auch, 12mal gewaltsam geschwängert zu werden, bleibt der Kuh doch nicht die Wahl, sich der künstlichen Besamung zu verweigern. Es bedeutet, 12 Kinder in die Welt zu setzen und kurz darauf von ihnen getrennt zu werden, um, wenn sie überhaupt die Schlachtreife eines jungen Bullen erreichen, was schon nach wenig mehr als einem Jahr der Fall ist, als Kalbsfleischmedaillons oder Kalbsleberwurst, als besonders weiche Lederhandschuhe oder exklusive Handtaschen zu enden. Die Tragik sozialer Wesen, die lebenslange Beziehungen unterhalten und ganz individuelle Verhaltensweisen ausbilden, erschließt sich nicht darin, auf besonders grausame Weise umgebracht zu werden. Von aller Welt verlassen sind sie nicht erst in der Hölle der Viehtransporte und Schlachthöfe, sondern überall dort, wo sie als atmende Ware zum Verkauf zugerichtet, als blutdurchströmte Produktionsstätte für Muttermilch, die das Kind nie erreicht, abgezapft, als nervlich hoch angespanntes Produktionsmittel in engen Käfigen gehalten und als Zahl, der man die zu ihrer Entstehung erlittenen Schmerzen nicht ansieht, in den Bilanzen ihrer Besitzer aufgelistet zum Gegenstand ihnen fremder Interessen gemacht werden.


Fußnoten:

[1] https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-geheimsache-tiertransporte-100.html

[2] https://www.noz.de/deutschland-welt/wirtschaft/artikel/979640/untersuchung-dokumentiert-leiden-kranker-schweine

[3] http://uria.de/?page_id=151

[4] a.a.O.

[5] RAUB/1110: Ein bißchen "Tierwohl" ... (SB)

27. November 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang