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RAUB/1112: Dem eigenen Niedergang Wohlgeschmack abgewinnen ... (SB)



Papst Franziskus weiß, wovon er spricht, wenn er CO2-Kompensationen für Flugreisen als scheinheilig anprangert [1]. Ein Klimaschutz, der andernorts Verschmutzungsrechte aufkauft, um selber mit gutem Gewissen und unter Einhaltung vereinbarter Emissionsreduktionen verschmutzen zu können, wird aus naheliegenden Gründen auch als moderner Ablaßhandel kritisiert. Wohin der die katholische Kirche führte, weiß der Bischof von Rom schon aus aktuellem Anlaß, der 500-Jahrfeier der Reformation, ganz genau. Sein drastischer Vergleich mit Rüstungskonzernen, die sich mit dem Bau von Kinderkrankenhäusern für die Opfer ihrer Produkte reinwaschen wollten, richtet sich gegen eine geldvermittelte Umlastungslogik, die insbesondere auf den Leichenfeldern kolonialistischer Ausplünderung gedeiht, wo der immense Produktivitätsunterschied zwischen dem Globalen Süden und den hochindustrialisierten Metropolengesellschaften Nordamerikas, Westeuropas und Japans seinen Anfang nahm.

Wenn heute ein Bruchteil des Ticketpreises der ökologisch mit Abstand zerstörerischsten Fortbewegungsweise in die Länder des Südens fließt, um dort sogenannte CO2-Senken zu erhalten, von denen niemand wirklich weiß, ob sie überhaupt abgeholzt worden wären, dann setzt sich dieser Kolonialismus in ökologisch wertvoller Gestalt ungebrochen fort. Die Verwandlung eines Waldes, bei dem es sich nicht um ansonsten unwiederbringlich verlorengegangenen Urwald handeln muß, sondern der auch Folge einer Plantagenwirtschaft sein kann, in eine handelbare Ware setzt ein Stück Natur in Wert, das der sie traditionell nutzenden Bevölkerung ebenso entzogen wird wie im Falle ihrer Zerstörung. Diese findet andernorts statt und wird dadurch, daß nun auch noch Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, die in der Regel niemals fliegen und auf einem ganz anderen Konsumtionsniveau leben als die globale Business Class, verdoppelt. Menschenfeindliche Folgen wie die Vertreibung indigener Bevölkerungen aus ihrem Lebensumfeld sind umfassend dokumentiert, und der Widerstand gegen das dafür zuständige Klimaschutzprogramm REDD+ wächst, wie zahlreiche Initiativen im Globalen Süden belegen.

Die Wachstumsraten der Luftfahrtindustrie steigen so steil in den Himmel wie die Passagierflugzeuge, die sonnenhungrige Touristen gen Süden über die Köpfe der Flüchtlinge hinweg bringen, die in umgekehrter Richtung Rettung vor kriegerischer Gewalt und sozialer Verelendung suchen. Während letzteren immer mehr Hindernisse in den Weg gelegt werden und einige von ihnen bei der gewaltsam vollzogenen Abschiebung das erste und wahrscheinlich letzte Mal in ihrem Leben ein Flugzeug betreten, erscheint die bloße Vorstellung, daß Touristen und Geschäftsleuten das Erreichen ihrer Destinationen auf vergleichbare Weise schwergemacht würde, absurd [2]. Schließlich bringen sie Devisen und Investitionen, von denen die einheimische Kompradoren-Bourgeoisie profitieren will, während der vom stummen Rest bitter benötigte Ertrag einer Wirtschaft, die nicht nur den Extraktivismus der Rohstoffkonzerne befeuert oder als verlängerte Werkbank güterproduzierender Industrie fungiert, meist ausbleibt.

Eine Schuld zu konstatieren und ihre Vergebung in Aussicht zu stellen ist das Geschäftsmodell der Kirche des Papstes. Wenn Franziskus angeblich klimaneutrales Fliegen als "Heuchelei" verurteilt, dann operiert er mit einer nicht minder validen Währung, als es die Manager von Industrien tun, die ihre ökologischen Kosten externalisieren und in Kompensation dessen die Kommodifizierung von Naturzerstörung in Form von Karboneinheiten, Biodiversitäts-Offsets oder anderen Verschmutzungsrechten betreiben. So erfreulich das Wort eines Papstes ist, der schon in seiner vielbeachteten Enzyklika "Laudato Si" den Emissionshandel als trickreiche Methode zur Beibehaltung der exzessiven Konsumtion mancher Länder und Sektoren kritisierte, so wenig wirksam sind moralische Interventionen in Praktiken menschlichen Raubes. Diese gedeihen im Schatten von Schuld und Sühne am besten, weil so die Grundlage dafür gelegt wird, die eigene Zerstörungspraxis durch Verweis auf das Nichtstun oder die Übermacht des jeweils anderen zu legitimieren und fortzusetzen.

Wer es nötig hat, die Inanspruchnahme eines Flugzeuges durch den Kauf von CO2-Zertifikaten moralisch zu rechtfertigen, sorgt dafür, daß sich an der grundlegenden Problematik eines zerstörerischen Mensch-Natur-Stoffwechsels und ihrer naheliegendsten Bewältigung, sie überall dort zu bekämpfen, wo sie an erster Stelle vollzogen wird, nichts ändert [3]. Nichts kann gegen den Konsum eines guten Gefühls oder sauberen Gewissens sprechen, wenn der Mensch die sozialökonomische Ordnung, die derartigen Bedarf erzeugt, für akzeptabel und alternativlos hält. Ohne derartige Symbolhandlungen stände der alles und jeden verwertenden Kapitalismus nackt und angreifbar da.

Wo der Primat privatwirtschaftlicher Aneignung Schuld produziert, bedarf er der Moral, die ihre Tilgung verlangt, so aussichtslos sie auch sein mag. Nur so läßt sich die aus Schulden hervorgehende Verfügungsgewalt des Gläubigers über den Schuldner als soziales Zwangsverhältnis etablieren, dem sich die Menschen freiwillig unterwerfen. Die Kompensation in ihrer Materialität unverändert aufrechterhaltener Widerspruchslagen mit Sinn zu erfüllen ist denn auch die wesentliche Aufgabe der Kultur- und Bewußtseinsindustrie, wie der Niedergang aller gesellschaftlich wirksamen Kritikfähigkeit belegt. Um das Feuer einer Produktivität, auf dem der eigene Niedergang als wohlschmeckendes Mahl zubereitet wird, noch zu bekämpfen kann dann sogar ein Papst hilfreich sein.


Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/reise/fluege-papst-co-kompensation-fuer-flugreisen-ist-heuchelei-1.3364175

[2] RAUB/1091: Black Lives Matter ... nicht im internationalen Flugverkehr (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1091.html

[3] RAUB/1096: Kein Flugzeug entkommt seiner Brandspur (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1096.html

12. Februar 2017


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