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RAUB/1110: Ein bißchen "Tierwohl" ... (SB)



Wenig Freude macht das Tier auf dem Teller, wenn es den Tötungsvorgang nicht widerstandslos über sich ergehen läßt, sondern sich quält, verkrampft und für Angst und Schmerz spezifische hormonelle Reaktionen auslöst. Das ist keine bloße Mutmaßung wie die von manchen Vegetariern gehegte Befürchtung, beim Verzehr von Fleisch übertrügen sich die durch das ohnmächtige Erleiden tödlicher Gewalt beim Schlachttier ausgelösten Emotionen auf den Menschen. So findet bei gestreßten Schweinen eine erhöhte Ausschüttung von Milchsäure ins Gewebe statt, die nach ihrem Tod nicht mehr abgebaut wird und zusammen mit einer Enzymausschüttung, die die Muskeltätigkeit schlagartig erhöht, zu einer Absenkung des pH-Wertes ins saure Milieu führt. Im Ergebnis spricht man von PSE-Fleisch (Pale, Soft, Exudative), das blaß aussieht und über eine weiche und wässrige Konsistenz verfügt.

Was der Schlachtindustrie auf der einen Seite nicht recht ist, weil sich diese Qualitätsminderung negativ auf den Ertrag ihres Produktes auswirkt, hat sie auf der anderen Seite selbst zu verantworten. Je höher die Taktrate des Fließbandverfahrens, bei dem die Schweine betäubt, getötet und verarbeitet werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Tiere unter Streß geraten. Das betrifft den Transport und den Zutrieb zur Schlachtanlage ebenso wie den Tötungsvorgang selbst.

Da die Betäubung durch Stromstöße den unwillkommenen Nebeneffekt hat, daß es im Muskelgewebe zu Blutungen kommen kann, die später als rote Einsprengselungen sichtbar werden und die Verkäuflichkeit des schieren Fleisches erschweren, ist die Schlachtindustrie weitgehend zur Gasbetäubung mit Kohlendioxid übergegangen. Für einen Zeitraum von 15 bis 25 Sekunden vor Eintreten der Bewußtlosigkeit sind die Schweine dabei qualvollen Erstickungsempfindungen und schmerzhaften Schleimhautverätzungen ausgesetzt, was wiederum die Fleischqualität mindert und ebenfalls zu wertmindernden Blutungen führen kann.

Wie der Deutschlandfunk in der Sendung Hintergrund Wirtschaft [1] unter dem Titel "Gestresstes Schwein schmeckt nicht gut" berichtet, soll die Verwendung der Edelgase Argon und Helium vor der Tötung weniger Streß bei den Schweinen erzeugen. Da diese Gase jedoch keine vollständige und langanhaltende Betäubung erzeugen, die Schweine also vor ihrer Verarbeitung erwachen könnten, wird nun über die Einführung eines zweistufigen Verfahrens - erst das angeblich sanfte Entschlafen mit Argon oder Helium, dann die vollständige Betäubung mit Kohlendioxid - nachgedacht.

Doch dieser Aufwand kostet Zeit, senkt also die Produktivität, und die Edelgase sind zudem zehn Mal so teuer wie das inzwischen bei den meisten Großschlachthöfen verwendete CO2. Die Tierschutz-Schlachtverordnung (TierSchlV) sieht jedoch vor, daß die Tiere vor dem Schlachten so zu betäuben sind, "dass sie schnell und unter Vermeidung von Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit versetzt werden". [2] Abgesehen davon, daß mit "Vermeidung" ein bloßer Anspruch formuliert wird und über das subjektive Element des Sterbens bei nichtmenschlichen wie menschlichen Tieren nur spekuliert werden kann, müssen bis zu einem Prozent der in der Bundesrepublik jährlich geschlachteten 59 Millionen Schweine weit mehr als das aushalten. Selbst das Stechkarusell, wo pro Minute zwölf Schweine nach einem Stich in die Blutgefäße am Herzen ausbluten, überleben einige Tiere mit der Folge, daß sie in dem 64,5 Grad heißen Brühbad noch atmen [3], was sich anhand einer sogenannten Brühwasserlunge nachweisen läßt.

Glaubt man den Ankündigungen der Tierwohl-Initiativen, mit denen die Fleischindustrie ihrer Kundschaft das Gefühl vermittelt, ein nach allen Regeln der Kunst für das Tier so wenig qualvoll wie möglich erzeugtes Produkt zu genießen, dann sollte dieser gute Glaube schon ein Paar Cent mehr für das Kotelett wert sein. Doch wo käme man hin, wenn alles nur Erdenkliche getan würde, um das kurze Leben der Schlachttiere so optimal wie möglich zu gestalten? Der Fluchtpunkt der Überlegung, was man dem Tier zuliebe alles tun könnte, um ihm so wenig Schmerzen wie möglich zuzufügen, besteht naheliegenderweise darin, es gar nicht mehr zu verbrauchen und nicht millionenfach einer Qualzucht auszusetzen, die maximale Fleischausbeute zum Ziel hat.

Das betrifft mithin auch die angeblich glücklicheren Schweine auf dem Biohof, wenn sie nach einem Bruchteil ihrer biologischen Lebenserwartung der Tod ereilt. Ausgehend davon, daß sich kein Tier freiwillig auf noch so zugewandte Art gewaltsam in den Tod befördern läßt und jedem Sterbevorgang der Moment auswegloser Ohnmacht und totalen Schmerzes immanent ist, bestätigen alle tierschützerischen Überlegungen zum weniger grausamen Schlachten den Status quo, daß die Verstoffwechselung anderer Lebewesen deren zweifellos niemals angenehme Auslöschung voraussetzt.

Dem Zusammenhang von Tötungsakt und Fleischqualität gemäß nimmt man sich eines ökonomischen Problems der Schlachtindustrie an, das sich in diesem Rahmen nur über den Preis regeln läßt. Auch das moralische Dilemma derjenigen Verbraucher, denen die Geschichte des Nahrungsmittels, das sie auf die Gabel nehmen, nicht völlig gleichgültig ist, hat ein Preisschild. Da die Regelung derartiger Probleme über den Markt ärmere Menschen stets benachteiligt, müßten Tierschützer auch die soziale Frage aufwerfen und etwa höhere Löhne fordern, um ihre Vorstellungen von Tierwohl nicht zu Lasten des Menschenwohls gehen zu lassen.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/umgang-mit-schlachttieren-gestresstes-schwein-schmeckt.724.de.html?dram:article_id=376999

[2] https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/tierschlv_2013/gesamt.pdf

[3] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zu-besuch-in-einer-schlachtfabrik-die-letzten-minuten-1.2500746

23. Januar 2017


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