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RAUB/1064: Mit ethischer Abwägung in die biomedizinisch formierte Gesellschaft (SB)




Die Aufregung ist zwar groß, doch ist die Debatte um das therapeutische Klonen, so weit es die Medien betrifft, weitgehend zugunsten der Ausschöpfung der davon erhofften therapeutischen Möglichkeiten entschieden. Durch die Aussicht darauf, mit Hilfe von klonierten Stammzellen Ersatzgewebe und -organe im Labor erzeugen zu können, tut sich eine vielversprechende Abteilung im Warenangebot der weißen Fabrik auf. Wesentlich länger als bisher leben zu können, indem genetisch identisches und damit immunreaktiv verträgliches Gewebe an die Stelle verbrauchter Körperteile tritt, kann in seiner verheißungsvollen Attraktivität wohl kaum überschätzt werden.

Vor diesem Hintergrund haben es die Bedenkenträger schwer. Das ist nicht zuletzt der von ihnen eingenommenen Position geschuldet, das Für und Wider anhand ethischer Kriterien zu ermessen. So lautet ein Standardargument für das therapeutische Klonen, daß die Möglichkeit, einem Menschen mit medizinischen Mitteln helfen zu können, ein Verbot der Erforschung dieser Methode aus ethischen Gründen ausschließt. Das höchste Gebot - und da müssen auch christliche Kritiker der Biomedizin zustimmen - sei das der Nächstenliebe. Vor dieser hätten alle Bedenken etwa zur Möglichkeit des fließenden Übergangs vom therapeutischen zum reproduktiven Klonen zurückzutreten. Um letzteres zu verhindern, bedürfe es entsprechender internationaler Vereinbarungen und Kontrollregimes, so die die Geschichte der relativen Unwirksamkeit derartiger Konventionen stur ignorierende Anmahnung von Verboten, die im Wellenschlag von erklärter Absicht und realpolitischer Widerlegung von vornherein zur Disposition ihrer Überwindung stehen.

Geht man die Frage von herrschaftskritischer Seite an und fragt danach, ob sich neue Formen der Menschenversklavung aus der humangenetischen Nutzung reproduktionsmedizinischer Verfahren ergeben könnten, dann wird man schon im ersten Schritt bei der Produktion von Eizellen fündig. Daß diese nur von Frauen geleistet werden kann, die sich dazu einer hormonellen Behandlung unterziehen müssen, die ihrer Gesundheit im Zweifelsfall nicht zuträglich ist, ist allgemein bekannt und wird beim Plädoyer für das therapeutische Klonen selbstredend in Kauf genommen. Ein Blick auf die kommerzielle Produktion von Eizellen in den USA reicht aus, um zu wissen, daß damit ein Markt für biologische Dienstleistungen eröffnet würde, der insbesondere mittellose Frauen in die Lage brächte, fremdnützige Interventionen in ihren Körper aus schlichten Überlebensgründen zuzulassen. Wie im Falle der Forderung, die Praxis der Organspende zu kommerzialisieren, entscheidet allein die Zahlungsfähigkeit darüber, ob der Mensch sich als Inkubator biologischer Substrate zur Verfügung zu stellen hat oder Nutznießer der Lebensenergie fremder Körper ist.

Denn ums Überleben auf Kosten anderer geht es in der politökonomischen Freßkette der kapitalistischen Gesellschaft allemal. Setzen sich Frauen dem Risiko eines Hyperstimulationssyndroms der Ovarien aus, das zu Flüssigkeitsansammlungen in Brust und Abdomen, Nierenversagen und sogar Tod führen kann, dann steht dieses "Berufsrisiko" in Relation zu anderen Formen der Ausbeutung durch Arbeit, wird also gesellschaftlich so akzeptiert wie jeder andere Tausch der eigenen Lebenszeit und -kraft gegen einen Mehrwert für Dritte produzierenden Lohn. Doch der ethische Primat des Helfens um jeden Preis zerlegt sich nicht erst bei dem Blick auf den anwachsenden Bedarf an Eizellen, der den Beruf der Eizellproduzentin in den Katalog jener Arbeitsverpflichtungen einreihte, die bei Inanspruchnahme staatlicher Sozialtransfers zu übernehmen wären. Er krankt von vornherein an der absichtsvollen Selektivität der geltend gemachten Pflicht zur Nächstenliebe. Indem nicht in Rechnung gestellt wird, daß weltweit Milliarden Menschen unter unzureichender medizinischer Versorgung leiden und die zur Entwicklung und Anwendung biomedizinischer Spitzenleistungen erforderlichen Mittel einer ungleich größeren Zahl dieser von Schmerz und Not Betroffenen Linderung verschaffen könnten, als es bei der erst noch zu verwirklichenden Option der Organsubstitution durch klonierte Stammzellen der Fall ist, demonstriert der Imperativ des Helfens um jeden Preis seine moralische Blendwirkung. Er gerät weit im Vorwege des Horizonts medizinischer Innovation unter die Räder einer abstrakten, dem jeweiligen Verwendungszweck des Kapitaleinsatzes gleichgültigen Verwertungslogik.

Es ist also um so naheliegender, die mit dem therapeutischen Klonen näherrückende Erforschung und Anwendung des reproduktiven Klonens als Zurichtung des Menschen auf Zwecke zu verstehen, die den fleischgewordenen Resultaten humangenetischer Optimierung ebenso zum Nachteil gereichen, wie es bei denjenigen Menschen der Fall ist, die nicht der negativen Krankheitsprävention und der positiven Steigerung angeblich vererbbarer Fähigkeiten Genüge getan haben und so zu suboptimalen Mängelwesen degradiert werden. Um in die Falle des Rechtfertigungszwanges zu geraten, bedarf es nicht des Nachweises objektiver Defizite - der Tatbestand, sich der biomedizinisch formierten Gesellschaft nicht genügend angepaßt und unterworfen zu haben, genügt der Feststellung eines schwerwiegenden Problems. Die immer weiter um sich greifende Konditionierung des Menschen auf spezifische Körperideale und Verhaltensnormen ist lediglich der Vorschein auf einen biologistischen Rassismus, der den Menschen mit humangenetischer Totalität erfaßt, um auch die verbliebenen Unwägbarkeiten des erbbiologisch Unbestimmbaren beherrschbar und verfügbar zu machen.

Wäre das wissenschaftliche Ansinnen von dem uneigennützigen Interesse eines Humanismus gespeist, der das Leben aller Menschen zu verbessern trachtet, dann wäre im Vorfeld des biotechnologischen Zugriffs so viel anderes zu bewältigen, bei dem der individuelle wie kollektive Nutzen unmittelbar in Erscheinung träte, daß das reproduktive Klonen in der vergleichenden Evaluation zu unterstützender Forschung keine Chance hätte. Damit ist die Frage nach den Normen und Kriterien, denen die neue Menschenzucht unterworfen wäre, noch gar nicht gestellt. Mit ihr allein tun sich in Anbetracht der Geschichte von Ausbeutung und Unterdrückung wie des zusehends sozialdarwinistischen Charakters gesellschaftlicher Organisation Abgründe der Ausgrenzung und Vernichtung auf, die die derzeit noch zum Ausdruck gebrachten Vorbehalte gegen das Klonen menschlicher Gewebe allerdings höchst unzureichend erschließen.

Sie beanspruchen, um zur Relativierung des prinzipiellen Eintretens für Schwache und Verletzliche in der Bioethik zurückzukommen, lediglich im Gefolge technologischer und wissenschaftlicher Innovation zu regulieren, was im ersten Schritt bereits zu verwerfen wäre. Bioethische Maßgaben haben weder die fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen noch das florierende Gewerbe des Organhandels oder anderer Formen biologischer Ausbeutung verhindert, die erst durch ethisch anerkannte medizinische Forschungs- und Behandlungsmethoden möglich wurden. Schon gar nicht in Rechnung gestellt wird der materielle Zwang kapitalgetriebener Interessen, die den Körper des Menschen in Wert setzen und damit zu einem Objekt abstrakter Tauschvorgänge machen. Eine Ethik, die nicht auf der Basis materialistischer Widerspruchslagen antizipiert, was es an Schaden zu verhindern gilt, sondern der bloßen Empirie einer Wissenschaft folgt, die die Gültigkeit positivistischer Erkenntnis aus Prinzip nicht in Frage stellt, ist zu nichts anderem geeignet, als Feigenblätter am Busch der Partikularinteressen treiben zu lassen und als Katalysator einer Forschung zu dienen, die Überleben groß schreibt, weil sie vom Leben keinen Begriff hat, der nicht im Warencharakter der Life Sciences in jede Richtung verkehrsfähig und wechselbar gemacht würde.

17. Mai 2013