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RAUB/0973: "I feel your pain" ... in karitativer Distanz die Verhältnisse sichern (SB)



"I feel your pain" beschwichtigte Präsidentschaftskanditat Bill Clinton den AIDS-Aktivisten Bob Rafsky, als dieser seinen Protest über die Mißachtung insbesondere schwarzer HIV-Infizierter im Wahlkampf 1992 kundtat. Das berühmt gewordene Zitat steht für ein Mitgefühl, das Distanz zum Adressaten der Emotion herstellt, indem es sich ihm auf besonders zugewandte Weise anzunähern scheint. Die größte Nähe bleibt jedoch die größte Entfernung, wenn sie nicht in eine Solidarität mündet, die den gemeinsamen Kampf um die Beseitigung elendsproduzierender Verhältnisse an die Stelle des hierarchischen Verhältnisses zwischen Helfer und Notleidendem setzt.

Karitatives Engagement ist niemals frei davon, die Not und Elend erzeugenden Verwertungsverhältnisse nicht nur zu belassen, wie sie sind, sondern zu bekräftigen. Wenn der ehemalige US-Präsident im Rahmen seiner Stiftung Clinton Global Initiative (CGI) für wohltätige Initiativen wirbt und Public-Private-Partnership-Projekte lanziert, dann liegt das auf der gleichen ideologischen Linie wie die von ihm durchgesetzte Sozialhilfereform, die Löcher in das ohnehin dünne soziale Netz der US-Gesellschafts riß, durch die heute Millionen verlendeter Bürger fallen. Beidem liegt die Ideologie des Marktes als letztlich ultimative Lösung aller Probleme zugrunde. An die Stelle von sozialen Rechtsansprüchen, die in einer arbeitsteiligen kapitalistischen Gesellschaft, in der die Möglichkeit des Überlebens ohne Erwerbsarbeit kaum mehr gegeben ist, als Mindestanspruch derjenigen verstanden werden sollte, die nicht kraft ihrer Herkunft oder Befähigung am gesamtgesellschaftlichen Reichtum teilhaben, wird eine Almosenordnung geschaffen, die die vom Überfluß Abgebenden mit dem Heiligenschein besonderer Menschlichkeit krönt, während die von ihnen Begünstigten als zu Dankbarkeit verpflichtete Bittsteller erniedrigt werden.

"I feel your pain", denkt der Mäzen, wenn er im Fonds seines gutgeheizten Bentley durch London gleitet und durchs Seitenfenster vermummte Gestalten erblickt, die vor Kälte zusammengekrümmt auf Bänken sitzen oder in Hauseingängen liegen. Aber Obacht, dem Bettler nichts geben, könnte er die milde Gabe doch für harte Drogen wie Crack oder Heroin mißbrauchen. Mit dieser Warnung hat die Obdachlosenstiftung Thames Reach ihrer Sorge darüber Ausdruck verliehen, daß unter den von ihr unterstützten Obdachlosen "viele Leben durch harte Drogen und Alkoholmißbrauch zerstört" [1] worden wären. Passanten, die ihnen Geld gegeben hätten, hätten ihr Leben in Gefahr gebracht, so der Thames Reach-Sprecher Mike Nicholas unter Verweis auf Todesfälle durch Überdosis unter Wohnungslosen. Mit dieser Erklärung setzt die Organisation ihre Kampagne gegen Bettler fort, die sie mit einer Plakataktion begonnen hatte, auf der ein aus Münzen gebildeter Körper und die Aufschrift "Your kindness could kill" abgebildet waren.

Britannien befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise, die mit einem gigantischen Sparpaket bewältigt werden soll, das die erwerbslose und erwerbsarme Bevölkerung am härtesten trifft, während es die Kapitaleliten gemäß des Vorwands, sie seien die eigentlichen Leistungsträger, schont. In einer gesellschaftlichen Lage, in der die Chance auf ein angemessenes Leben für sozial ausgegrenzte Menschen kaum aussichtsloser sein könnte, Gesundheitsgründe vorzuschützen, um Menschen die geringe Freiheit zu nehmen, sich Almosen zu welchem Zweck auch immer, und sei es darum, die Kälte von Körper und Gemüt mit einem Schmerzmittel etwas erträglicher zu machen, zu erbitten entspricht der grausamen Logik einiger Strafvollzugsbehörden in den USA, Todeskandidaten auf dem Weg zur Hinrichtung die letzte Zigarette mit nämlicher Begründung zu verwehren. Hierzulande spiegelt sich die Ansicht, man dürfe Menschen, die Genußmittel aufgrund ihrer desolaten Lage besonders nötig haben könnten, gerade deshalb keine gewähren, in der Streichung der Posten für Tabakwaren und Alkohol im Regelsatz für Hartz IV.

Die Verabsolutierung der Gesundheitsdoktrin bei Ausblendung der materiellen Widersprüche, die vor allem anderen krankmachen, ist ein signifikantes Merkmal der Zurichtung der Menschen auf Anpassung an die herrschende Gesellschaftsordnung in jeder nur erdenklichen Situation. Es geht nicht einmal darum, sie unter allen Umständen verwertbar zu machen, kann die Abpressung des Mehrwerts doch durchaus gut funktionieren, wenn der damit angerichtete Schaden an Körper und Geist durch ein Genußgift erträglicher gemacht wird. Die Unterwerfung auch und gerade derjenigen, die ganz unten sind, unter den herrschenden Leistungsethos impliziert die Anerkennung einer Verhaltensnorm, die ihren Handlungsraum so sehr verengt, daß der Funken widerständiger Streitbarkeit gar nicht erst erglimmt.

Fußnote:

[1] http://www.guardian.co.uk/society/2010/dec/19/beggars-homelessness-drugs-thames-reach

24. Dezember 2010