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RAUB/0944: Sachleistungen für Kinder von Hartz IV-Familien vertieft Klassenspaltung (SB)



Das gegenüber Eltern von Familien, die auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, ausgesprochene Mißtrauen steht nur scheinbar in Widerspruch zu der im breiten Konsens der Parteien erhobenen Stärkung der Familie als zentrale gesellschaftliche Organisationsform. Indem den Verwaltern des staatlichen Familieneinkommens unterstellt wird, das für ihre Kinder erhaltene Geld zu mißbrauchen, wird ihnen praktisch der Anspruch auf elterliche Autonomie abgesprochen. Wiewohl es genügend Untersuchungen gibt, die belegen, daß die allermeisten Eltern in großer Sorge darum sind, ihre Kinder vor den Folgen der Armut zu schützen, fungiert die kleine Zahl sogenannter Rabeneltern als Dreh- und Angelpunkt einer sozialpolitischen Debatte, deren Ziel darin besteht, verschärfte Formen der Lenkung und Kontrolle der ausbezahlten Mittel durchzusetzen.

Das würde die Stigmatisierung der Betroffenen, die für viele Kinder noch schwieriger zu ertragen ist als der konkrete materielle Mangel, jedoch eher vertiefen. Die vielfach geforderten Sachleistungen für Hartz IV-Bezieher liefen auf eine normierte Versorgung der Kinder hinaus, mit denen ein in der Schule und auf der Straße noch eindeutiger identifizierbares, schon die Heranwachsenden in den Augen ihrer Altersklasse als "Verlierer" markierendes Subproletariat entstünde. Die angebliche Sorge um das Kindeswohl dient mithin in erster Linie, frei nach der Logik des "Forderns", der Einschränkung elterlicher Verfügungsgewalt durch Dritte.

Fernab davon, sich ernsthaft Gedanken über die Probleme zu machen, die Eltern belasten, die ihren Kindern bieten möchten, was unter ihren Spiel- und Schulkameraden selbstverständlich ist, wird die Klassenspaltung auf eine Weise vertieft, anhand derer der Mensch schon in sehr jungen Jahren begreift, zu wem er gehört und auf wen er herunterzublicken hat. Das frühzeitige Erlernen von Chiffren sozialer Unterscheidung anstelle des solidarischen Umgangs mit dem Schwächeren ist eine besonders zerstörerische Auswirkung der neokonservativen Gesellschaftsdoktrin eines quasi naturgegebenen Vorrechts der Eliten. Indem die Kinder armer Familien durch abfällige Sticheleien mit dem Eindruck belastet werden, gegenüber ihren bessergestellten Spielkameraden und Mitschülern minderwertig zu sein, werden im späteren Leben desto widerstandsloser ausbeutbare Sklavenexistenzen vorgeprägt.

So wird die nach den aufklärerischen Impulsen herrschaftskritischer Pädagogik ins Wanken geratene Aufgabe der Familie, als Vermittlungsorgan gesellschaftlicher Disziplin und staatlicher Autorität zu fungieren, von einer verschärften Sozialkonkurrenz abgelöst, in der es sich nur noch reiche Familien leisten können, ihren Kindern alle Möglichkeiten einer Entwicklung zu bieten, die sie nicht von vornherein auf das Ertragen von Zwangs- und Notlagen fixiert. Ihnen wird nicht nur am Beispiel armer Kinder ihrer Altersgruppe vor Augen geführt wird, wie sehr man unter sozialer Deklassierung leiden kann, sie werden gezielt auf verletzende Formen der sozialen Verachtung zugerichtet, wie das reiche Arsenal an Schmähworten belegt, das für die Kinder unterprivilegierter Familien vorgesehen ist. Nicht der Schutz durch Armut besonders verletzlicher Kinder, sondern die Durchsetzung einer hierarchischen Gesellschaftsordnung, als deren kleinste Einheit die Kleinfamilie fungieren soll, steht im Mittelpunkt der neokonservativen Sozialagenda.

Wenn nun versucht wird, das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Festlegung der Regelsätze für Hartz IV gegen die elterliche Autonomie zu wenden, dann erweist sich einmal mehr, daß das Problem nicht nur in zu geringen Sozialleistungen liegt, sondern in einer mit Zwang und Druck arbeitenden Sozialstaatlichkeit. Diese zugunsten der diskriminierungsfreien Vergabe von Sozialleistungen abzuschaffen bleibt daher als Forderung aller Menschen bestehen, die Freiheit und Demokratie nicht als Chiffren zum Ausbau der Kapitalmacht verstehen.

27. Februar 2010